Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat, "Die Feinde, sie bedrohen dich, Das mehrt von Tag zu Tage sich, Wie dir doch gar nicht graut!" Das seh ich alles unbewegt, Sie zerren an der Schlangenhaut Die jünst ich abgelegt, Und ist die nächste reif genug, Abstreif ich die sogleich, Und wandle neu belebt und jung Im frischen Götterreich. In Göthe's beständigem Rollenwechsel liegt das und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat, „Die Feinde, ſie bedrohen dich, Das mehrt von Tag zu Tage ſich, Wie dir doch gar nicht graut!“ Das ſeh ich alles unbewegt, Sie zerren an der Schlangenhaut Die juͤnſt ich abgelegt, Und iſt die naͤchſte reif genug, Abſtreif ich die ſogleich, Und wandle neu belebt und jung Im friſchen Goͤtterreich. In Goͤthe's beſtaͤndigem Rollenwechſel liegt das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0223" n="213"/> und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat,<lb/> aͤußerlich darzuſtellen, vielmehr iſt ihm jede Empfin¬<lb/> dung und jeder Gegenſtand an ſich voͤllig gleichguͤl¬<lb/> tig, und gilt ihm nur etwas, ſofern er ihn darſtellt;<lb/> nur die Darſtellung gilt ihm, was auch immer das<lb/> Dargeſtellte ſey. Darum wird er auch durch keinen<lb/> beſondern Gegenſtand beherrſcht, er herrſcht vielmehr<lb/> uͤber alle, und gefaͤllt ſich im Wechſel derſelben, der<lb/> ſeine Herrſchaft beurkundet. So ſehn wir Goͤthe be¬<lb/> ſtaͤndig wechſeln, und es iſt eben deshalb thoͤricht,<lb/> irgend eine beſondere Darſtellung, irgend eine Rolle<lb/> an ihm feſthalten zu wollen. Gerade darin beſteht<lb/> das Weſen ſeiner Poeſie, daß er mit den Rollen be¬<lb/> ſtaͤndig gewechſelt hat, und noch ferner unaufhoͤrlich<lb/> wechſeln wuͤrde, wenn nicht jede Thaͤtigkeit endlich<lb/> ihr Ziel in der Ohnmacht faͤnde. Er ſpricht dieß<lb/> ſelbſt ſehr deutlich aus, indem er in einer ſeiner zah¬<lb/> men Xenien ſagt:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Die Feinde, ſie bedrohen dich,</l><lb/> <l>Das mehrt von Tag zu Tage ſich,</l><lb/> <l>Wie dir doch gar nicht graut!“</l><lb/> <l>Das ſeh ich alles unbewegt,</l><lb/> <l>Sie zerren an der <hi rendition="#g">Schlangenhaut</hi></l><lb/> <l>Die juͤnſt ich abgelegt,</l><lb/> <l>Und iſt die naͤchſte reif genug,</l><lb/> <l>Abſtreif ich die ſogleich,</l><lb/> <l>Und wandle neu belebt und jung</l><lb/> <l>Im friſchen Goͤtterreich.</l><lb/> </lg> <p>In Goͤthe's beſtaͤndigem Rollenwechſel liegt das<lb/> eigentliche Geheimniß ſeiner Poeſie und das Weſen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [213/0223]
und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat,
aͤußerlich darzuſtellen, vielmehr iſt ihm jede Empfin¬
dung und jeder Gegenſtand an ſich voͤllig gleichguͤl¬
tig, und gilt ihm nur etwas, ſofern er ihn darſtellt;
nur die Darſtellung gilt ihm, was auch immer das
Dargeſtellte ſey. Darum wird er auch durch keinen
beſondern Gegenſtand beherrſcht, er herrſcht vielmehr
uͤber alle, und gefaͤllt ſich im Wechſel derſelben, der
ſeine Herrſchaft beurkundet. So ſehn wir Goͤthe be¬
ſtaͤndig wechſeln, und es iſt eben deshalb thoͤricht,
irgend eine beſondere Darſtellung, irgend eine Rolle
an ihm feſthalten zu wollen. Gerade darin beſteht
das Weſen ſeiner Poeſie, daß er mit den Rollen be¬
ſtaͤndig gewechſelt hat, und noch ferner unaufhoͤrlich
wechſeln wuͤrde, wenn nicht jede Thaͤtigkeit endlich
ihr Ziel in der Ohnmacht faͤnde. Er ſpricht dieß
ſelbſt ſehr deutlich aus, indem er in einer ſeiner zah¬
men Xenien ſagt:
„Die Feinde, ſie bedrohen dich,
Das mehrt von Tag zu Tage ſich,
Wie dir doch gar nicht graut!“
Das ſeh ich alles unbewegt,
Sie zerren an der Schlangenhaut
Die juͤnſt ich abgelegt,
Und iſt die naͤchſte reif genug,
Abſtreif ich die ſogleich,
Und wandle neu belebt und jung
Im friſchen Goͤtterreich.
In Goͤthe's beſtaͤndigem Rollenwechſel liegt das
eigentliche Geheimniß ſeiner Poeſie und das Weſen
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