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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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des Talentes aufgeschlossen. Das Talent an sich ist
ganz theatralisch, es ist die absolute Maskirung.
Oben haben wir unsre ganze neuere Poesie als die
theatralische charakterisirt, und hier finden wir das¬
selbe in ihrem großen Repräsentanten Göthe wieder.
Er vereinigt beinahe alle Rollen der übrigen Dichter
in seinem Spiel allein. Daher kommt es denn auch,
daß man Göthe für den Repräsentanten aller Poesie
überhaupt halten konnte, indem man unschuldiger¬
weise die Poesie der Darstellung mit derjenigen der
Empfindung und des Gegenstandes, das Kleid mit
dem Wesen verwechselte.

Das Talent ist eine Hetäre und giebt sich Je¬
dem Preis. Unfähig selbständig zu seyn, hängt es
sich an alles an. Indem ihm ein innerer Haltpunkt
ein inneres Motiv seiner Äusserung mangelt, ist es
jedem äussern Eindruck hingegeben, und wird von
einem zum andern fortgezogen. So sehn wir Göthe's
Talent, wie das Chamäleon, in allen Farben wech¬
seln. Heute beschönigt er dieß, morgen jenes. Alle
seine Widersprüche erklären sich aus diesem Rollen¬
wechsel und umsonst versucht man sie anders zu er¬
klären oder gar zu vereinbaren. Man hat wohl eine
Philosophie, eine Politik, ja sogar eine Religion
aus Göthe's Schriften extrahiren wollen. Auf einem
solchen Wechselbalge müßten sich aber z. B. die Pa¬
rallelstellen über Politik im Götz, Egmont, Tasso,
Wilhelm Meister, dem Bürgergeneral, Epimenides
Erwachen etc. zu einer artigen Hanswurstjacke zusam¬

des Talentes aufgeſchloſſen. Das Talent an ſich iſt
ganz theatraliſch, es iſt die abſolute Maskirung.
Oben haben wir unſre ganze neuere Poeſie als die
theatraliſche charakteriſirt, und hier finden wir das¬
ſelbe in ihrem großen Repraͤſentanten Goͤthe wieder.
Er vereinigt beinahe alle Rollen der uͤbrigen Dichter
in ſeinem Spiel allein. Daher kommt es denn auch,
daß man Goͤthe fuͤr den Repraͤſentanten aller Poeſie
uͤberhaupt halten konnte, indem man unſchuldiger¬
weiſe die Poeſie der Darſtellung mit derjenigen der
Empfindung und des Gegenſtandes, das Kleid mit
dem Weſen verwechſelte.

Das Talent iſt eine Hetaͤre und giebt ſich Je¬
dem Preis. Unfaͤhig ſelbſtaͤndig zu ſeyn, haͤngt es
ſich an alles an. Indem ihm ein innerer Haltpunkt
ein inneres Motiv ſeiner Äuſſerung mangelt, iſt es
jedem aͤuſſern Eindruck hingegeben, und wird von
einem zum andern fortgezogen. So ſehn wir Goͤthe's
Talent, wie das Chamaͤleon, in allen Farben wech¬
ſeln. Heute beſchoͤnigt er dieß, morgen jenes. Alle
ſeine Widerſpruͤche erklaͤren ſich aus dieſem Rollen¬
wechſel und umſonſt verſucht man ſie anders zu er¬
klaͤren oder gar zu vereinbaren. Man hat wohl eine
Philoſophie, eine Politik, ja ſogar eine Religion
aus Goͤthe's Schriften extrahiren wollen. Auf einem
ſolchen Wechſelbalge muͤßten ſich aber z. B. die Pa¬
rallelſtellen uͤber Politik im Goͤtz, Egmont, Taſſo,
Wilhelm Meiſter, dem Buͤrgergeneral, Epimenides
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[214/0224] des Talentes aufgeſchloſſen. Das Talent an ſich iſt ganz theatraliſch, es iſt die abſolute Maskirung. Oben haben wir unſre ganze neuere Poeſie als die theatraliſche charakteriſirt, und hier finden wir das¬ ſelbe in ihrem großen Repraͤſentanten Goͤthe wieder. Er vereinigt beinahe alle Rollen der uͤbrigen Dichter in ſeinem Spiel allein. Daher kommt es denn auch, daß man Goͤthe fuͤr den Repraͤſentanten aller Poeſie uͤberhaupt halten konnte, indem man unſchuldiger¬ weiſe die Poeſie der Darſtellung mit derjenigen der Empfindung und des Gegenſtandes, das Kleid mit dem Weſen verwechſelte. Das Talent iſt eine Hetaͤre und giebt ſich Je¬ dem Preis. Unfaͤhig ſelbſtaͤndig zu ſeyn, haͤngt es ſich an alles an. Indem ihm ein innerer Haltpunkt ein inneres Motiv ſeiner Äuſſerung mangelt, iſt es jedem aͤuſſern Eindruck hingegeben, und wird von einem zum andern fortgezogen. So ſehn wir Goͤthe's Talent, wie das Chamaͤleon, in allen Farben wech¬ ſeln. Heute beſchoͤnigt er dieß, morgen jenes. Alle ſeine Widerſpruͤche erklaͤren ſich aus dieſem Rollen¬ wechſel und umſonſt verſucht man ſie anders zu er¬ klaͤren oder gar zu vereinbaren. Man hat wohl eine Philoſophie, eine Politik, ja ſogar eine Religion aus Goͤthe's Schriften extrahiren wollen. Auf einem ſolchen Wechſelbalge muͤßten ſich aber z. B. die Pa¬ rallelſtellen uͤber Politik im Goͤtz, Egmont, Taſſo, Wilhelm Meiſter, dem Buͤrgergeneral, Epimenides Erwachen ꝛc. zu einer artigen Hanswurſtjacke zuſam¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/224>, abgerufen am 24.11.2024.