Gefühl zu dämmern anfangen, wie im fauligen Schlam¬ me das neue Leben in Infusorien zu dämmern be¬ ginnt, und die ersten Dichterschulen mußten sich in der Empfindung, in einem dunklen Ahnen, in einem gewissen poetischen Mesmerismus zusammenfinden, be¬ vor sie den höhern Sinn für alles Schöne entfalten könnten, wie die orgarnisirende Natur die Oberfläche des Lebermeers, worin die Keime künftiger Schöpfun¬ gen noch chaotisch durcheinander gähren, zuerst mit der Pristhleyschen grünen Materie, mit breiweichen Wasser¬ pflanzen und Schaaren von reizbaren und phosphores¬ cireuden Wasserthieren bedeckt, bevor die höhern Orga¬ nismen vielgestaltig an das Licht reifen. So sehn wir jene lyrischen Dichter von Opitz bis Voß, was¬ serreich und doch lebendig sich fühlend, und nicht we¬ nig leuchtend in der alten Hexennacht, die neue Ent¬ wicklung der Poesie beginnen. Ihnen folgen dann bald höhere, freiere, edlere Gestalten, und ein neues Paradies tritt sonnenhell aus der Nacht und über dem kalten prosaischen Gewässer hervor. Was in der Lyra zuerst sich nur gefühlt, wird frei im Dra¬ ma, und ordnet sich harmonisch zum Ganzen im Epos. Es liegt etwas Rührendes in den ersten leisen An¬ fängen der jetzt so mächtig gewordnen Poesie, wie etwa in der gleichzeitigen und eben so raschen Ent¬ wicklung der bürgerlichen Freiheit in Nordamerika; und herzerhebend ist der Gedanke, daß wir in einer Zeit des Blühens und Frühlings, nicht des Welkens leben, daß wir aufwärts, nicht nieder steigen. Mö¬
Gefuͤhl zu daͤmmern anfangen, wie im fauligen Schlam¬ me das neue Leben in Infuſorien zu daͤmmern be¬ ginnt, und die erſten Dichterſchulen mußten ſich in der Empfindung, in einem dunklen Ahnen, in einem gewiſſen poetiſchen Mesmerismus zuſammenfinden, be¬ vor ſie den hoͤhern Sinn fuͤr alles Schoͤne entfalten koͤnnten, wie die orgarniſirende Natur die Oberflaͤche des Lebermeers, worin die Keime kuͤnftiger Schoͤpfun¬ gen noch chaotiſch durcheinander gaͤhren, zuerſt mit der Priſthleyſchen gruͤnen Materie, mit breiweichen Waſſer¬ pflanzen und Schaaren von reizbaren und phosphores¬ cireuden Waſſerthieren bedeckt, bevor die hoͤhern Orga¬ nismen vielgeſtaltig an das Licht reifen. So ſehn wir jene lyriſchen Dichter von Opitz bis Voß, waſ¬ ſerreich und doch lebendig ſich fuͤhlend, und nicht we¬ nig leuchtend in der alten Hexennacht, die neue Ent¬ wicklung der Poeſie beginnen. Ihnen folgen dann bald hoͤhere, freiere, edlere Geſtalten, und ein neues Paradies tritt ſonnenhell aus der Nacht und uͤber dem kalten proſaiſchen Gewaͤſſer hervor. Was in der Lyra zuerſt ſich nur gefuͤhlt, wird frei im Dra¬ ma, und ordnet ſich harmoniſch zum Ganzen im Epos. Es liegt etwas Ruͤhrendes in den erſten leiſen An¬ faͤngen der jetzt ſo maͤchtig gewordnen Poeſie, wie etwa in der gleichzeitigen und eben ſo raſchen Ent¬ wicklung der buͤrgerlichen Freiheit in Nordamerika; und herzerhebend iſt der Gedanke, daß wir in einer Zeit des Bluͤhens und Fruͤhlings, nicht des Welkens leben, daß wir aufwaͤrts, nicht nieder ſteigen. Moͤ¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0256"n="246"/>
Gefuͤhl zu daͤmmern anfangen, wie im fauligen Schlam¬<lb/>
me das neue Leben in Infuſorien zu daͤmmern be¬<lb/>
ginnt, und die erſten Dichterſchulen mußten ſich in<lb/>
der Empfindung, in einem dunklen Ahnen, in einem<lb/>
gewiſſen poetiſchen Mesmerismus zuſammenfinden, be¬<lb/>
vor ſie den hoͤhern Sinn fuͤr alles Schoͤne entfalten<lb/>
koͤnnten, wie die orgarniſirende Natur die Oberflaͤche<lb/>
des Lebermeers, worin die Keime kuͤnftiger Schoͤpfun¬<lb/>
gen noch chaotiſch durcheinander gaͤhren, zuerſt mit der<lb/>
Priſthleyſchen gruͤnen Materie, mit breiweichen Waſſer¬<lb/>
pflanzen und Schaaren von reizbaren und phosphores¬<lb/>
cireuden Waſſerthieren bedeckt, bevor die hoͤhern Orga¬<lb/>
nismen vielgeſtaltig an das Licht reifen. So ſehn<lb/>
wir jene lyriſchen Dichter von Opitz bis Voß, waſ¬<lb/>ſerreich und doch lebendig ſich fuͤhlend, und nicht we¬<lb/>
nig leuchtend in der alten Hexennacht, die neue Ent¬<lb/>
wicklung der Poeſie beginnen. Ihnen folgen dann<lb/>
bald hoͤhere, freiere, edlere Geſtalten, und ein neues<lb/>
Paradies tritt ſonnenhell aus der Nacht und uͤber<lb/>
dem kalten proſaiſchen Gewaͤſſer hervor. Was in<lb/>
der Lyra zuerſt ſich nur gefuͤhlt, wird frei im Dra¬<lb/>
ma, und ordnet ſich harmoniſch zum Ganzen im Epos.<lb/>
Es liegt etwas Ruͤhrendes in den erſten leiſen An¬<lb/>
faͤngen der jetzt ſo maͤchtig gewordnen Poeſie, wie<lb/>
etwa in der gleichzeitigen und eben ſo raſchen Ent¬<lb/>
wicklung der buͤrgerlichen Freiheit in Nordamerika;<lb/>
und herzerhebend iſt der Gedanke, daß wir in einer<lb/>
Zeit des Bluͤhens und Fruͤhlings, nicht des Welkens<lb/>
leben, daß wir aufwaͤrts, nicht nieder ſteigen. Moͤ¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[246/0256]
Gefuͤhl zu daͤmmern anfangen, wie im fauligen Schlam¬
me das neue Leben in Infuſorien zu daͤmmern be¬
ginnt, und die erſten Dichterſchulen mußten ſich in
der Empfindung, in einem dunklen Ahnen, in einem
gewiſſen poetiſchen Mesmerismus zuſammenfinden, be¬
vor ſie den hoͤhern Sinn fuͤr alles Schoͤne entfalten
koͤnnten, wie die orgarniſirende Natur die Oberflaͤche
des Lebermeers, worin die Keime kuͤnftiger Schoͤpfun¬
gen noch chaotiſch durcheinander gaͤhren, zuerſt mit der
Priſthleyſchen gruͤnen Materie, mit breiweichen Waſſer¬
pflanzen und Schaaren von reizbaren und phosphores¬
cireuden Waſſerthieren bedeckt, bevor die hoͤhern Orga¬
nismen vielgeſtaltig an das Licht reifen. So ſehn
wir jene lyriſchen Dichter von Opitz bis Voß, waſ¬
ſerreich und doch lebendig ſich fuͤhlend, und nicht we¬
nig leuchtend in der alten Hexennacht, die neue Ent¬
wicklung der Poeſie beginnen. Ihnen folgen dann
bald hoͤhere, freiere, edlere Geſtalten, und ein neues
Paradies tritt ſonnenhell aus der Nacht und uͤber
dem kalten proſaiſchen Gewaͤſſer hervor. Was in
der Lyra zuerſt ſich nur gefuͤhlt, wird frei im Dra¬
ma, und ordnet ſich harmoniſch zum Ganzen im Epos.
Es liegt etwas Ruͤhrendes in den erſten leiſen An¬
faͤngen der jetzt ſo maͤchtig gewordnen Poeſie, wie
etwa in der gleichzeitigen und eben ſo raſchen Ent¬
wicklung der buͤrgerlichen Freiheit in Nordamerika;
und herzerhebend iſt der Gedanke, daß wir in einer
Zeit des Bluͤhens und Fruͤhlings, nicht des Welkens
leben, daß wir aufwaͤrts, nicht nieder ſteigen. Moͤ¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/256>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.