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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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gen wir uns über die Richtung nicht täuschen, in der
wir begriffen sind. Der Winter liegt hinter uns,
nicht vor uns. Sendet er uns noch Aprilschauer und
Maifröste, sie halten den großen Gang der Natur
nicht auf. Welken die Wurzelblätter und fallen ab,
die noch nicht aufgeschoßne Krone wird desto schöner
sich entfalten.

Gehn wir nun von der Lyrik aus, so müssen wir
derselben, zufolgte des eben Gesagten, eine allgemeine
Bedeutung für die Entwicklung unsrer Poesie über¬
haupt zuerkennen, und sie auch darnach, nicht blos
nach ihrem besondern, gleichsam specifischen Werth
und Gewicht beurtheilen. Wollten wir nur das letz¬
tere berücksichtigen, so würden wir die meisten ältern
Lyriker als unbeholfene Anfänger beseitigen und sie
den meisten neuern unbedingt nachstellen müssen. Sehn
wir aber auf jene allgemeine Bedeutung, so erhalten
auch die schlechtern Lyriker der ersten Periode einen
Vorrang vor den meisten weit bessern der gegenwär¬
tigen Zeit, und das Publikum ist gerecht genug, dies
anzuerkennen. Es achtet noch immer einen Opitz,
Flemming, Haller, sogar Gleim, Kleist, Hölty, ob¬
gleich die neueste Lyrik sie sehr weit an ästhetischem
Gehalt übertrifft. Man denkt doch immer, jene Leute
haben das angefangen, was diese nun leicht und glück¬
lich fortsetzen.

Die lyrische Poesie hat nicht nur das neue goldne
Zeitalter begonnen, sondern auch fortwährend darin
einen vorzüglichen Rang behauptet. Ja die größten

gen wir uns uͤber die Richtung nicht taͤuſchen, in der
wir begriffen ſind. Der Winter liegt hinter uns,
nicht vor uns. Sendet er uns noch Aprilſchauer und
Maifroͤſte, ſie halten den großen Gang der Natur
nicht auf. Welken die Wurzelblaͤtter und fallen ab,
die noch nicht aufgeſchoßne Krone wird deſto ſchoͤner
ſich entfalten.

Gehn wir nun von der Lyrik aus, ſo muͤſſen wir
derſelben, zufolgte des eben Geſagten, eine allgemeine
Bedeutung fuͤr die Entwicklung unſrer Poeſie uͤber¬
haupt zuerkennen, und ſie auch darnach, nicht blos
nach ihrem beſondern, gleichſam ſpecifiſchen Werth
und Gewicht beurtheilen. Wollten wir nur das letz¬
tere beruͤckſichtigen, ſo wuͤrden wir die meiſten aͤltern
Lyriker als unbeholfene Anfaͤnger beſeitigen und ſie
den meiſten neuern unbedingt nachſtellen muͤſſen. Sehn
wir aber auf jene allgemeine Bedeutung, ſo erhalten
auch die ſchlechtern Lyriker der erſten Periode einen
Vorrang vor den meiſten weit beſſern der gegenwaͤr¬
tigen Zeit, und das Publikum iſt gerecht genug, dies
anzuerkennen. Es achtet noch immer einen Opitz,
Flemming, Haller, ſogar Gleim, Kleiſt, Hoͤlty, ob¬
gleich die neueſte Lyrik ſie ſehr weit an aͤſthetiſchem
Gehalt uͤbertrifft. Man denkt doch immer, jene Leute
haben das angefangen, was dieſe nun leicht und gluͤck¬
lich fortſetzen.

Die lyriſche Poeſie hat nicht nur das neue goldne
Zeitalter begonnen, ſondern auch fortwaͤhrend darin
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[247/0257] gen wir uns uͤber die Richtung nicht taͤuſchen, in der wir begriffen ſind. Der Winter liegt hinter uns, nicht vor uns. Sendet er uns noch Aprilſchauer und Maifroͤſte, ſie halten den großen Gang der Natur nicht auf. Welken die Wurzelblaͤtter und fallen ab, die noch nicht aufgeſchoßne Krone wird deſto ſchoͤner ſich entfalten. Gehn wir nun von der Lyrik aus, ſo muͤſſen wir derſelben, zufolgte des eben Geſagten, eine allgemeine Bedeutung fuͤr die Entwicklung unſrer Poeſie uͤber¬ haupt zuerkennen, und ſie auch darnach, nicht blos nach ihrem beſondern, gleichſam ſpecifiſchen Werth und Gewicht beurtheilen. Wollten wir nur das letz¬ tere beruͤckſichtigen, ſo wuͤrden wir die meiſten aͤltern Lyriker als unbeholfene Anfaͤnger beſeitigen und ſie den meiſten neuern unbedingt nachſtellen muͤſſen. Sehn wir aber auf jene allgemeine Bedeutung, ſo erhalten auch die ſchlechtern Lyriker der erſten Periode einen Vorrang vor den meiſten weit beſſern der gegenwaͤr¬ tigen Zeit, und das Publikum iſt gerecht genug, dies anzuerkennen. Es achtet noch immer einen Opitz, Flemming, Haller, ſogar Gleim, Kleiſt, Hoͤlty, ob¬ gleich die neueſte Lyrik ſie ſehr weit an aͤſthetiſchem Gehalt uͤbertrifft. Man denkt doch immer, jene Leute haben das angefangen, was dieſe nun leicht und gluͤck¬ lich fortſetzen. Die lyriſche Poeſie hat nicht nur das neue goldne Zeitalter begonnen, ſondern auch fortwaͤhrend darin einen vorzuͤglichen Rang behauptet. Ja die groͤßten

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/257>, abgerufen am 23.11.2024.