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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Im vorigen Jahrhundert gab es auch eine große
Menge didaktische, besonders moralische Gedichte, die
jedoch in dem jetzigen sehr abgekommen sind. Sie wa¬
ren niemals von poetischem Werth, wenn sie nicht
wie die Lehrgedichte Schillers zugleich eine edle und
große Leidenschaft und Begeisterung beurkundeten.
Eben so haben jetzt die Fabeln abgenommen.

Im neuern Jahrhundert sind dagegen die Ro¬
manzen häufiger geworden. Wir sind aus der Theo¬
rie in die Erfahrung, aus dem philosophischen Ge¬
biet ins historische übergegangen und so suchen wir
auch in der Poesie lieber die Beispiele, als die Be¬
lehrungen. Unsre größten Dichter haben Romanzen
gedichtet, und die Zahl der geringern Romanzendich¬
tern ist nicht zu berechnen. Gewisse sehr beliebte Sa¬
genstoffe sind zehn und zwanzigmal behandelt worden.
Einer unsrer verdientesten Romanzendichter ist Gustav
Schwab. Andre Dichter haben übrigens auch die
Romanzen, wie alles, ins Gemeine hinabgezogen.
Alle Thorheiten unsrer modernen Romane, fade
Galanterie, matte Grausamkeit und schwächliche
Resignation haben den alten Rittern und Damen
in neuen Romanzen aufgebürdet werden müssen, und
wir hören dabei nur das alterthümliche Versmaaß,
wie das Echo von alten Burgtrümmern wieder¬
hallen.

Die Volkslieder in besondern Mundarten, wie
die von Hebel, sind nur als poetische Curiosa zu be¬
trachten. Sie unterscheiden sich von echten alten Volks¬

Im vorigen Jahrhundert gab es auch eine große
Menge didaktiſche, beſonders moraliſche Gedichte, die
jedoch in dem jetzigen ſehr abgekommen ſind. Sie wa¬
ren niemals von poetiſchem Werth, wenn ſie nicht
wie die Lehrgedichte Schillers zugleich eine edle und
große Leidenſchaft und Begeiſterung beurkundeten.
Eben ſo haben jetzt die Fabeln abgenommen.

Im neuern Jahrhundert ſind dagegen die Ro¬
manzen haͤufiger geworden. Wir ſind aus der Theo¬
rie in die Erfahrung, aus dem philoſophiſchen Ge¬
biet ins hiſtoriſche uͤbergegangen und ſo ſuchen wir
auch in der Poeſie lieber die Beiſpiele, als die Be¬
lehrungen. Unſre groͤßten Dichter haben Romanzen
gedichtet, und die Zahl der geringern Romanzendich¬
tern iſt nicht zu berechnen. Gewiſſe ſehr beliebte Sa¬
genſtoffe ſind zehn und zwanzigmal behandelt worden.
Einer unſrer verdienteſten Romanzendichter iſt Guſtav
Schwab. Andre Dichter haben uͤbrigens auch die
Romanzen, wie alles, ins Gemeine hinabgezogen.
Alle Thorheiten unſrer modernen Romane, fade
Galanterie, matte Grauſamkeit und ſchwaͤchliche
Reſignation haben den alten Rittern und Damen
in neuen Romanzen aufgebuͤrdet werden muͤſſen, und
wir hoͤren dabei nur das alterthuͤmliche Versmaaß,
wie das Echo von alten Burgtruͤmmern wieder¬
hallen.

Die Volkslieder in beſondern Mundarten, wie
die von Hebel, ſind nur als poetiſche Curioſa zu be¬
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[252 [256]/0266] Im vorigen Jahrhundert gab es auch eine große Menge didaktiſche, beſonders moraliſche Gedichte, die jedoch in dem jetzigen ſehr abgekommen ſind. Sie wa¬ ren niemals von poetiſchem Werth, wenn ſie nicht wie die Lehrgedichte Schillers zugleich eine edle und große Leidenſchaft und Begeiſterung beurkundeten. Eben ſo haben jetzt die Fabeln abgenommen. Im neuern Jahrhundert ſind dagegen die Ro¬ manzen haͤufiger geworden. Wir ſind aus der Theo¬ rie in die Erfahrung, aus dem philoſophiſchen Ge¬ biet ins hiſtoriſche uͤbergegangen und ſo ſuchen wir auch in der Poeſie lieber die Beiſpiele, als die Be¬ lehrungen. Unſre groͤßten Dichter haben Romanzen gedichtet, und die Zahl der geringern Romanzendich¬ tern iſt nicht zu berechnen. Gewiſſe ſehr beliebte Sa¬ genſtoffe ſind zehn und zwanzigmal behandelt worden. Einer unſrer verdienteſten Romanzendichter iſt Guſtav Schwab. Andre Dichter haben uͤbrigens auch die Romanzen, wie alles, ins Gemeine hinabgezogen. Alle Thorheiten unſrer modernen Romane, fade Galanterie, matte Grauſamkeit und ſchwaͤchliche Reſignation haben den alten Rittern und Damen in neuen Romanzen aufgebuͤrdet werden muͤſſen, und wir hoͤren dabei nur das alterthuͤmliche Versmaaß, wie das Echo von alten Burgtruͤmmern wieder¬ hallen. Die Volkslieder in beſondern Mundarten, wie die von Hebel, ſind nur als poetiſche Curioſa zu be¬ trachten. Sie unterſcheiden ſich von echten alten Volks¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 252 [256]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/266>, abgerufen am 24.11.2024.