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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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liedern dadurch, daß sie nicht aus dem Volk hervor¬
gegangen, sondern demselben angedichtet worden sind.
Wie sehr der Dichter sich bemüht, ein Bauer zu
scheinen, er bleibt doch immer nur ein Bauer aus
der Theatergarderobe. Ich kann die Begeisterung für
Hebel's und ähnliche Gedichte nicht theilen, sie wi¬
dern mich vielmehr grade so an, wie die Schwei¬
zerinnen und Tyrolerinnen auf Redouten. Es ist
eine alberne Affectation sogenannter Naivetät darin,
die sich in der Wirklichkeit ganz anders verhält.
Merkt man nun gar, daß der Dichter seinen Bauern
wieder den längst versauerten Milchbrei politischer
Kindlichkeit einpappelt und sie gleich einem Dorf¬
schulmeister bei der Ankunft hoher Herrschaften zum
Vivat einexercirt, so geht die Illusion gänzlich ver¬
loren und man sieht statt der Natur nur ein theatra¬
lisches Machwerk, wie die Götheschen Festzüge und
gewisse Wiener Vorspiele.

Wir gehn zum Drama über. Wenn der An¬
fang unsres poetischen Zeitalters mehr lyrische Ge¬
dichte hervorgebracht hat, und im gegenwärtigen Au¬
genblick mehr Romane zum Vorschein kommen, so ist
die Mitte zwischen beiden vorzüglich von Schauspie¬
len ausgefüllt. Die glänzende Zeit des Dramas ist
jetzt schon vorüber, wenigstens unterbrochen, dage¬
gen erlebt jetzt der Roman sein goldnes Alter.

Es verdient bemerkt zu werden, daß die Schau¬
spiele fast ausschließlich der neuern Periode der deut¬
schen Poesie angehören. Das Mittelalter war groß

liedern dadurch, daß ſie nicht aus dem Volk hervor¬
gegangen, ſondern demſelben angedichtet worden ſind.
Wie ſehr der Dichter ſich bemuͤht, ein Bauer zu
ſcheinen, er bleibt doch immer nur ein Bauer aus
der Theatergarderobe. Ich kann die Begeiſterung fuͤr
Hebel's und aͤhnliche Gedichte nicht theilen, ſie wi¬
dern mich vielmehr grade ſo an, wie die Schwei¬
zerinnen und Tyrolerinnen auf Redouten. Es iſt
eine alberne Affectation ſogenannter Naivetaͤt darin,
die ſich in der Wirklichkeit ganz anders verhaͤlt.
Merkt man nun gar, daß der Dichter ſeinen Bauern
wieder den laͤngſt verſauerten Milchbrei politiſcher
Kindlichkeit einpappelt und ſie gleich einem Dorf¬
ſchulmeiſter bei der Ankunft hoher Herrſchaften zum
Vivat einexercirt, ſo geht die Illuſion gaͤnzlich ver¬
loren und man ſieht ſtatt der Natur nur ein theatra¬
liſches Machwerk, wie die Goͤtheſchen Feſtzuͤge und
gewiſſe Wiener Vorſpiele.

Wir gehn zum Drama uͤber. Wenn der An¬
fang unſres poetiſchen Zeitalters mehr lyriſche Ge¬
dichte hervorgebracht hat, und im gegenwaͤrtigen Au¬
genblick mehr Romane zum Vorſchein kommen, ſo iſt
die Mitte zwiſchen beiden vorzuͤglich von Schauſpie¬
len ausgefuͤllt. Die glaͤnzende Zeit des Dramas iſt
jetzt ſchon voruͤber, wenigſtens unterbrochen, dage¬
gen erlebt jetzt der Roman ſein goldnes Alter.

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[257/0267] liedern dadurch, daß ſie nicht aus dem Volk hervor¬ gegangen, ſondern demſelben angedichtet worden ſind. Wie ſehr der Dichter ſich bemuͤht, ein Bauer zu ſcheinen, er bleibt doch immer nur ein Bauer aus der Theatergarderobe. Ich kann die Begeiſterung fuͤr Hebel's und aͤhnliche Gedichte nicht theilen, ſie wi¬ dern mich vielmehr grade ſo an, wie die Schwei¬ zerinnen und Tyrolerinnen auf Redouten. Es iſt eine alberne Affectation ſogenannter Naivetaͤt darin, die ſich in der Wirklichkeit ganz anders verhaͤlt. Merkt man nun gar, daß der Dichter ſeinen Bauern wieder den laͤngſt verſauerten Milchbrei politiſcher Kindlichkeit einpappelt und ſie gleich einem Dorf¬ ſchulmeiſter bei der Ankunft hoher Herrſchaften zum Vivat einexercirt, ſo geht die Illuſion gaͤnzlich ver¬ loren und man ſieht ſtatt der Natur nur ein theatra¬ liſches Machwerk, wie die Goͤtheſchen Feſtzuͤge und gewiſſe Wiener Vorſpiele. Wir gehn zum Drama uͤber. Wenn der An¬ fang unſres poetiſchen Zeitalters mehr lyriſche Ge¬ dichte hervorgebracht hat, und im gegenwaͤrtigen Au¬ genblick mehr Romane zum Vorſchein kommen, ſo iſt die Mitte zwiſchen beiden vorzuͤglich von Schauſpie¬ len ausgefuͤllt. Die glaͤnzende Zeit des Dramas iſt jetzt ſchon voruͤber, wenigſtens unterbrochen, dage¬ gen erlebt jetzt der Roman ſein goldnes Alter. Es verdient bemerkt zu werden, daß die Schau¬ ſpiele faſt ausſchließlich der neuern Periode der deut¬ ſchen Poeſie angehoͤren. Das Mittelalter war groß

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/267>, abgerufen am 24.11.2024.