Nichts ist verächtlicher, als ein Theaterheld, der die politischen Windbeuteleien der Wirklichkeit nach¬ äfft. Diese selbst sind weniger verächtlich, weil die Wirklichkeit durchaus kein so liberales Land ist, als die Theaterwelt. Man sucht auf dem Theater etwas andres, und ist nicht zufrieden, wenn man dort nur wieder hört, was man am Morgen in der Zeitung gelesen.
Die pompösen Trauerspiele und romantischen Schauspiele mit Pferden, militairischen Aufzügen, überladnen Dekorationen, antiquarisch abgemessnen Trachten etc., diese eigentlichen Schaustücke, wobei man nur zu schauen, nicht zu denken hat, sind vor¬ züglich in der Periode Napoleon's aufgekommen und entsprechen zunächst der Liebhaberei an militairischen Paraden. Jetzt werden sie durch die Liebhaberei an Walter Scott's Romanen aufrecht erhalten und der Geschmack daran schweift immer mehr aus. Schon hat man angefangen, Walter Scott selbst auf die Bühne zu bringen und wahrscheinlich wird es noch öfter geschehen. Man braucht ja nur die so reich dekorirten und drappirten Schilderungen in seinen Romanen in tableaux vivans zu verwandeln, um alle Sinne, wenn auch nicht das Herz zu befriedigen. Wo der Haushalt der Theater zu so vieler Pracht nicht hinreicht, muß das Neue und Sonderbare die Pracht ersetzen. Man befriedigt die Schaulust durch Curiositäten, durch Mädchen in Uniform, durch den Hund des Aubry, durch den Bär und Bassa, durch
Nichts iſt veraͤchtlicher, als ein Theaterheld, der die politiſchen Windbeuteleien der Wirklichkeit nach¬ aͤfft. Dieſe ſelbſt ſind weniger veraͤchtlich, weil die Wirklichkeit durchaus kein ſo liberales Land iſt, als die Theaterwelt. Man ſucht auf dem Theater etwas andres, und iſt nicht zufrieden, wenn man dort nur wieder hoͤrt, was man am Morgen in der Zeitung geleſen.
Die pompoͤſen Trauerſpiele und romantiſchen Schauſpiele mit Pferden, militairiſchen Aufzuͤgen, uͤberladnen Dekorationen, antiquariſch abgemeſſnen Trachten ꝛc., dieſe eigentlichen Schauſtuͤcke, wobei man nur zu ſchauen, nicht zu denken hat, ſind vor¬ zuͤglich in der Periode Napoleon's aufgekommen und entſprechen zunaͤchſt der Liebhaberei an militairiſchen Paraden. Jetzt werden ſie durch die Liebhaberei an Walter Scott's Romanen aufrecht erhalten und der Geſchmack daran ſchweift immer mehr aus. Schon hat man angefangen, Walter Scott ſelbſt auf die Buͤhne zu bringen und wahrſcheinlich wird es noch oͤfter geſchehen. Man braucht ja nur die ſo reich dekorirten und drappirten Schilderungen in ſeinen Romanen in tableaux vivans zu verwandeln, um alle Sinne, wenn auch nicht das Herz zu befriedigen. Wo der Haushalt der Theater zu ſo vieler Pracht nicht hinreicht, muß das Neue und Sonderbare die Pracht erſetzen. Man befriedigt die Schauluſt durch Curioſitaͤten, durch Maͤdchen in Uniform, durch den Hund des Aubry, durch den Baͤr und Baſſa, durch
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Nichts iſt veraͤchtlicher, als ein Theaterheld, der
die politiſchen Windbeuteleien der Wirklichkeit nach¬
aͤfft. Dieſe ſelbſt ſind weniger veraͤchtlich, weil die
Wirklichkeit durchaus kein ſo liberales Land iſt, als
die Theaterwelt. Man ſucht auf dem Theater etwas
andres, und iſt nicht zufrieden, wenn man dort nur
wieder hoͤrt, was man am Morgen in der Zeitung
geleſen.
Die pompoͤſen Trauerſpiele und romantiſchen
Schauſpiele mit Pferden, militairiſchen Aufzuͤgen,
uͤberladnen Dekorationen, antiquariſch abgemeſſnen
Trachten ꝛc., dieſe eigentlichen Schauſtuͤcke, wobei
man nur zu ſchauen, nicht zu denken hat, ſind vor¬
zuͤglich in der Periode Napoleon's aufgekommen und
entſprechen zunaͤchſt der Liebhaberei an militairiſchen
Paraden. Jetzt werden ſie durch die Liebhaberei an
Walter Scott's Romanen aufrecht erhalten und der
Geſchmack daran ſchweift immer mehr aus. Schon
hat man angefangen, Walter Scott ſelbſt auf die
Buͤhne zu bringen und wahrſcheinlich wird es noch
oͤfter geſchehen. Man braucht ja nur die ſo reich
dekorirten und drappirten Schilderungen in ſeinen
Romanen in tableaux vivans zu verwandeln, um alle
Sinne, wenn auch nicht das Herz zu befriedigen.
Wo der Haushalt der Theater zu ſo vieler Pracht
nicht hinreicht, muß das Neue und Sonderbare die
Pracht erſetzen. Man befriedigt die Schauluſt durch
Curioſitaͤten, durch Maͤdchen in Uniform, durch den
Hund des Aubry, durch den Baͤr und Baſſa, durch
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/272>, abgerufen am 24.11.2024.
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