angeschlossen. Man wollte wissen, was ist in der Literatur erschienen, und welchen Werth hat es? und so knüpften sich die Recensionen an die Buch¬ händleranzeigen, und wie die Bücher periodisch er¬ schienen, so wurden sie auch periodisch besprochen, die kritische Literatur wurde wesentlich eine perio¬ dische.
Die periodische Form und die ausschließliche Rücksicht auf das Neue bedingen dieser Literatur so¬ gleich eine gewisse Einseitigkeit. Sie wird dadurch von dem wahren kritischen Interesse entfernt und ei¬ nem merkantilischen Preis gegeben. Eine Menge neuer Werke sind gar keiner Kritik werth, aber sie müssen angezeigt werden, weil sie einmal in den Buchläden stehn. Ein gutes Werk wird zufällig schlecht recen¬ sirt oder gar übergangen, und ist einmal der Zeit¬ punkt vorbei, ist es nicht mehr neu, so denkt man nicht mehr daran. Die Menge und Wichtigkeit der auf diese Art vergessnen oder falsch beurtheilten Werke ist so groß, daß Jean Paul mit vollem Recht eine Literaturzeitung für Restanten vorschlagen konnte, die ausschließlich literarischen Rettungen in Lessing's Manier gewidmet werden müßte. Man sollte in der That einmal einsehn, daß die Kritik kein bloßer Jahr¬ markt seyn darf, wo man im Gedränge der Gegen¬ wart sich überschreit, um seine Waare anzupreisen und andre zu verdrängen. Mit Hülfe der Bestechung, der Mode oder des Zufalls gewinnt oft ein nichts¬ würdiges Buch in zehn Blättern ein glänzendes Lob
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angeſchloſſen. Man wollte wiſſen, was iſt in der Literatur erſchienen, und welchen Werth hat es? und ſo knuͤpften ſich die Recenſionen an die Buch¬ haͤndleranzeigen, und wie die Buͤcher periodiſch er¬ ſchienen, ſo wurden ſie auch periodiſch beſprochen, die kritiſche Literatur wurde weſentlich eine perio¬ diſche.
Die periodiſche Form und die ausſchließliche Ruͤckſicht auf das Neue bedingen dieſer Literatur ſo¬ gleich eine gewiſſe Einſeitigkeit. Sie wird dadurch von dem wahren kritiſchen Intereſſe entfernt und ei¬ nem merkantiliſchen Preis gegeben. Eine Menge neuer Werke ſind gar keiner Kritik werth, aber ſie muͤſſen angezeigt werden, weil ſie einmal in den Buchlaͤden ſtehn. Ein gutes Werk wird zufaͤllig ſchlecht recen¬ ſirt oder gar uͤbergangen, und iſt einmal der Zeit¬ punkt vorbei, iſt es nicht mehr neu, ſo denkt man nicht mehr daran. Die Menge und Wichtigkeit der auf dieſe Art vergeſſnen oder falſch beurtheilten Werke iſt ſo groß, daß Jean Paul mit vollem Recht eine Literaturzeitung fuͤr Reſtanten vorſchlagen konnte, die ausſchließlich literariſchen Rettungen in Leſſing's Manier gewidmet werden muͤßte. Man ſollte in der That einmal einſehn, daß die Kritik kein bloßer Jahr¬ markt ſeyn darf, wo man im Gedraͤnge der Gegen¬ wart ſich uͤberſchreit, um ſeine Waare anzupreiſen und andre zu verdraͤngen. Mit Huͤlfe der Beſtechung, der Mode oder des Zufalls gewinnt oft ein nichts¬ wuͤrdiges Buch in zehn Blaͤttern ein glaͤnzendes Lob
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angeſchloſſen. Man wollte wiſſen, was iſt in der
Literatur erſchienen, und welchen Werth hat es?
und ſo knuͤpften ſich die Recenſionen an die Buch¬
haͤndleranzeigen, und wie die Buͤcher periodiſch er¬
ſchienen, ſo wurden ſie auch periodiſch beſprochen,
die kritiſche Literatur wurde weſentlich eine perio¬
diſche.
Die periodiſche Form und die ausſchließliche
Ruͤckſicht auf das Neue bedingen dieſer Literatur ſo¬
gleich eine gewiſſe Einſeitigkeit. Sie wird dadurch
von dem wahren kritiſchen Intereſſe entfernt und ei¬
nem merkantiliſchen Preis gegeben. Eine Menge neuer
Werke ſind gar keiner Kritik werth, aber ſie muͤſſen
angezeigt werden, weil ſie einmal in den Buchlaͤden
ſtehn. Ein gutes Werk wird zufaͤllig ſchlecht recen¬
ſirt oder gar uͤbergangen, und iſt einmal der Zeit¬
punkt vorbei, iſt es nicht mehr neu, ſo denkt man
nicht mehr daran. Die Menge und Wichtigkeit der
auf dieſe Art vergeſſnen oder falſch beurtheilten Werke
iſt ſo groß, daß Jean Paul mit vollem Recht eine
Literaturzeitung fuͤr Reſtanten vorſchlagen konnte,
die ausſchließlich literariſchen Rettungen in Leſſing's
Manier gewidmet werden muͤßte. Man ſollte in der
That einmal einſehn, daß die Kritik kein bloßer Jahr¬
markt ſeyn darf, wo man im Gedraͤnge der Gegen¬
wart ſich uͤberſchreit, um ſeine Waare anzupreiſen
und andre zu verdraͤngen. Mit Huͤlfe der Beſtechung,
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/301>, abgerufen am 27.11.2024.
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