und eben so oft wird ein vortreffliches verkannt, be¬ schimpft und vergessen. Was verjährt ist, fällt au¬ ßer dem Cours; aber die Kritik kann doch an das ephemere Interesse nicht gebunden seyn? In den Tag¬ blättern herrscht überdem die Mode auf eine tyran¬ nische Weise. Die Kritik, die von einem festen Punkte aus alle Bewegungen der Literatur prüfen sollte, wird selbst in die Richtungen derselben fortgerissen, denn es ist dasselbe Interesse, was die Bücher, wie die Recensionen in der Lesewelt verbreitet und für beide Käufer sucht.
Die Recensiranstalten selbst sind öfters nur ent¬ weder Ehrenthalber oder des Gewinns wegen ge¬ gründet, und in beiden Fällen wird fabrikmäßig re¬ censirt. Die Universitäten geben ihre Zeitschriften sehr oft nur heraus, um nicht den Vorwurf der Un¬ thätigkeit und Obscurität zu leiden, und man füllt die Blätter ex officio, so gut es gehn mag. Die meisten andern Zeitschriften sind Unternehmungen von Buchhändlern, auf Gewinn berechnet, und hier sitzen die Recensenten förmlich wie Fabrikarbeiter und schaf¬ fen ihr Pensum. Dieses handwerksmäßige Kritisiren bringt denn jene ungeheure Menge von Recensionen hervor, die niemand übersehn kann. Überall sind der¬ gleichen Fabriken angelegt, und von einer Mehrzahl hungriger Magen und seichter Köpfe besorgt, die in den Tag hinein schreiben, was schon im nächsten Jahr kein Mensch mehr lesen mag.
und eben ſo oft wird ein vortreffliches verkannt, be¬ ſchimpft und vergeſſen. Was verjaͤhrt iſt, faͤllt au¬ ßer dem Cours; aber die Kritik kann doch an das ephemere Intereſſe nicht gebunden ſeyn? In den Tag¬ blaͤttern herrſcht uͤberdem die Mode auf eine tyran¬ niſche Weiſe. Die Kritik, die von einem feſten Punkte aus alle Bewegungen der Literatur pruͤfen ſollte, wird ſelbſt in die Richtungen derſelben fortgeriſſen, denn es iſt daſſelbe Intereſſe, was die Buͤcher, wie die Recenſionen in der Leſewelt verbreitet und fuͤr beide Kaͤufer ſucht.
Die Recenſiranſtalten ſelbſt ſind oͤfters nur ent¬ weder Ehrenthalber oder des Gewinns wegen ge¬ gruͤndet, und in beiden Faͤllen wird fabrikmaͤßig re¬ cenſirt. Die Univerſitaͤten geben ihre Zeitſchriften ſehr oft nur heraus, um nicht den Vorwurf der Un¬ thaͤtigkeit und Obſcuritaͤt zu leiden, und man fuͤllt die Blaͤtter ex officio, ſo gut es gehn mag. Die meiſten andern Zeitſchriften ſind Unternehmungen von Buchhaͤndlern, auf Gewinn berechnet, und hier ſitzen die Recenſenten foͤrmlich wie Fabrikarbeiter und ſchaf¬ fen ihr Penſum. Dieſes handwerksmaͤßige Kritiſiren bringt denn jene ungeheure Menge von Recenſionen hervor, die niemand uͤberſehn kann. Überall ſind der¬ gleichen Fabriken angelegt, und von einer Mehrzahl hungriger Magen und ſeichter Koͤpfe beſorgt, die in den Tag hinein ſchreiben, was ſchon im naͤchſten Jahr kein Menſch mehr leſen mag.
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und eben ſo oft wird ein vortreffliches verkannt, be¬
ſchimpft und vergeſſen. Was verjaͤhrt iſt, faͤllt au¬
ßer dem Cours; aber die Kritik kann doch an das
ephemere Intereſſe nicht gebunden ſeyn? In den Tag¬
blaͤttern herrſcht uͤberdem die Mode auf eine tyran¬
niſche Weiſe. Die Kritik, die von einem feſten Punkte
aus alle Bewegungen der Literatur pruͤfen ſollte,
wird ſelbſt in die Richtungen derſelben fortgeriſſen,
denn es iſt daſſelbe Intereſſe, was die Buͤcher, wie
die Recenſionen in der Leſewelt verbreitet und fuͤr
beide Kaͤufer ſucht.
Die Recenſiranſtalten ſelbſt ſind oͤfters nur ent¬
weder Ehrenthalber oder des Gewinns wegen ge¬
gruͤndet, und in beiden Faͤllen wird fabrikmaͤßig re¬
cenſirt. Die Univerſitaͤten geben ihre Zeitſchriften
ſehr oft nur heraus, um nicht den Vorwurf der Un¬
thaͤtigkeit und Obſcuritaͤt zu leiden, und man fuͤllt
die Blaͤtter ex officio, ſo gut es gehn mag. Die
meiſten andern Zeitſchriften ſind Unternehmungen von
Buchhaͤndlern, auf Gewinn berechnet, und hier ſitzen
die Recenſenten foͤrmlich wie Fabrikarbeiter und ſchaf¬
fen ihr Penſum. Dieſes handwerksmaͤßige Kritiſiren
bringt denn jene ungeheure Menge von Recenſionen
hervor, die niemand uͤberſehn kann. Überall ſind der¬
gleichen Fabriken angelegt, und von einer Mehrzahl
hungriger Magen und ſeichter Koͤpfe beſorgt, die in
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kein Menſch mehr leſen mag.
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/302>, abgerufen am 27.11.2024.
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