Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

in sich selbst vermag er die dunkle Gewalt nicht zu
meistern, und je mehr man draußen die wilden Kräfte
bezähmt, desto zorniger scheinen sie in dem innern
Schlupfwinkel rege zu werden. Kaum läßt die Iro¬
nie der Natur sich verkennen, die uns mit der Beute
der ausgeplünderten Tropenländer, und mit jener
rastlosen Arbeit, die über und unter der Erde wühlt
und gräbt, löst und bindet, trotzend gegen jedes Ele¬
ment und gegen Gift und Tod, um dem grollenden
Naturgeist den verborgnen Schatz abzuzwingen, jenes
Heer von Krankheiten gesendet hat, das dem alten
Fluche gleich, der den Hort der Niebelungen ver¬
folgt, den Besitzer alles Reichthums durch den Besitz
selbst zu verderben droht. Die Europäer waren viel
gesünder, als sie noch ärmer und auf den Genuß der
Produkte beschränkt waren, die ihnen die Natur auf
ihrem eignen Boden freiwillig darbot. Welches in¬
deß auch die Ursachen der jetzt so allgemein geword¬
nen Krankheiten seyen, wie viel dazu die sitzende
Lebensart so vieler Millionen und die Lüderlichkeit
beigetragen haben mag, genug, die Thatsache selbst
läßt sich nicht verkennen. Es herrschen jetzt bei wei¬
tem mehr Krankheiten, als früher. Der Arzt ist in
unsrer Zeit unentbehrlicher geworden, als es der
Priester im Mittelalter war.

Gegen diesen übermächtigen Feind haben sich nun
die Menschen aufgemacht, und lange Schlachtlinien
gebildet, doch ist keine Einigkeit unter den Führern,
und die Waffen fehlen oder der Feind weiß sich un¬

in ſich ſelbſt vermag er die dunkle Gewalt nicht zu
meiſtern, und je mehr man draußen die wilden Kraͤfte
bezaͤhmt, deſto zorniger ſcheinen ſie in dem innern
Schlupfwinkel rege zu werden. Kaum laͤßt die Iro¬
nie der Natur ſich verkennen, die uns mit der Beute
der ausgepluͤnderten Tropenlaͤnder, und mit jener
raſtloſen Arbeit, die uͤber und unter der Erde wuͤhlt
und graͤbt, loͤst und bindet, trotzend gegen jedes Ele¬
ment und gegen Gift und Tod, um dem grollenden
Naturgeiſt den verborgnen Schatz abzuzwingen, jenes
Heer von Krankheiten geſendet hat, das dem alten
Fluche gleich, der den Hort der Niebelungen ver¬
folgt, den Beſitzer alles Reichthums durch den Beſitz
ſelbſt zu verderben droht. Die Europaͤer waren viel
geſuͤnder, als ſie noch aͤrmer und auf den Genuß der
Produkte beſchraͤnkt waren, die ihnen die Natur auf
ihrem eignen Boden freiwillig darbot. Welches in¬
deß auch die Urſachen der jetzt ſo allgemein geword¬
nen Krankheiten ſeyen, wie viel dazu die ſitzende
Lebensart ſo vieler Millionen und die Luͤderlichkeit
beigetragen haben mag, genug, die Thatſache ſelbſt
laͤßt ſich nicht verkennen. Es herrſchen jetzt bei wei¬
tem mehr Krankheiten, als fruͤher. Der Arzt iſt in
unſrer Zeit unentbehrlicher geworden, als es der
Prieſter im Mittelalter war.

Gegen dieſen uͤbermaͤchtigen Feind haben ſich nun
die Menſchen aufgemacht, und lange Schlachtlinien
gebildet, doch iſt keine Einigkeit unter den Fuͤhrern,
und die Waffen fehlen oder der Feind weiß ſich un¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0039" n="29"/>
in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t vermag er die dunkle Gewalt nicht zu<lb/>
mei&#x017F;tern, und je mehr man draußen die wilden Kra&#x0364;fte<lb/>
beza&#x0364;hmt, de&#x017F;to zorniger &#x017F;cheinen &#x017F;ie in dem innern<lb/>
Schlupfwinkel rege zu werden. Kaum la&#x0364;ßt die Iro¬<lb/>
nie der Natur &#x017F;ich verkennen, die uns mit der Beute<lb/>
der ausgeplu&#x0364;nderten Tropenla&#x0364;nder, und mit jener<lb/>
ra&#x017F;tlo&#x017F;en Arbeit, die u&#x0364;ber und unter der Erde wu&#x0364;hlt<lb/>
und gra&#x0364;bt, lo&#x0364;st und bindet, trotzend gegen jedes Ele¬<lb/>
ment und gegen Gift und Tod, um dem grollenden<lb/>
Naturgei&#x017F;t den verborgnen Schatz abzuzwingen, jenes<lb/>
Heer von Krankheiten ge&#x017F;endet hat, das dem alten<lb/>
Fluche gleich, der den Hort der Niebelungen ver¬<lb/>
folgt, den Be&#x017F;itzer alles Reichthums durch den Be&#x017F;itz<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu verderben droht. Die Europa&#x0364;er waren viel<lb/>
ge&#x017F;u&#x0364;nder, als &#x017F;ie noch a&#x0364;rmer und auf den Genuß der<lb/>
Produkte be&#x017F;chra&#x0364;nkt waren, die ihnen die Natur auf<lb/>
ihrem eignen Boden freiwillig darbot. Welches in¬<lb/>
deß auch die Ur&#x017F;achen der jetzt &#x017F;o allgemein geword¬<lb/>
nen Krankheiten &#x017F;eyen, wie viel dazu die &#x017F;itzende<lb/>
Lebensart &#x017F;o vieler Millionen und die Lu&#x0364;derlichkeit<lb/>
beigetragen haben mag, genug, die That&#x017F;ache &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht verkennen. Es herr&#x017F;chen jetzt bei wei¬<lb/>
tem mehr Krankheiten, als fru&#x0364;her. Der Arzt i&#x017F;t in<lb/>
un&#x017F;rer Zeit unentbehrlicher geworden, als es der<lb/>
Prie&#x017F;ter im Mittelalter war.</p><lb/>
        <p>Gegen die&#x017F;en u&#x0364;berma&#x0364;chtigen Feind haben &#x017F;ich nun<lb/>
die Men&#x017F;chen aufgemacht, und lange Schlachtlinien<lb/>
gebildet, doch i&#x017F;t keine Einigkeit unter den Fu&#x0364;hrern,<lb/>
und die Waffen fehlen oder der Feind weiß &#x017F;ich un¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0039] in ſich ſelbſt vermag er die dunkle Gewalt nicht zu meiſtern, und je mehr man draußen die wilden Kraͤfte bezaͤhmt, deſto zorniger ſcheinen ſie in dem innern Schlupfwinkel rege zu werden. Kaum laͤßt die Iro¬ nie der Natur ſich verkennen, die uns mit der Beute der ausgepluͤnderten Tropenlaͤnder, und mit jener raſtloſen Arbeit, die uͤber und unter der Erde wuͤhlt und graͤbt, loͤst und bindet, trotzend gegen jedes Ele¬ ment und gegen Gift und Tod, um dem grollenden Naturgeiſt den verborgnen Schatz abzuzwingen, jenes Heer von Krankheiten geſendet hat, das dem alten Fluche gleich, der den Hort der Niebelungen ver¬ folgt, den Beſitzer alles Reichthums durch den Beſitz ſelbſt zu verderben droht. Die Europaͤer waren viel geſuͤnder, als ſie noch aͤrmer und auf den Genuß der Produkte beſchraͤnkt waren, die ihnen die Natur auf ihrem eignen Boden freiwillig darbot. Welches in¬ deß auch die Urſachen der jetzt ſo allgemein geword¬ nen Krankheiten ſeyen, wie viel dazu die ſitzende Lebensart ſo vieler Millionen und die Luͤderlichkeit beigetragen haben mag, genug, die Thatſache ſelbſt laͤßt ſich nicht verkennen. Es herrſchen jetzt bei wei¬ tem mehr Krankheiten, als fruͤher. Der Arzt iſt in unſrer Zeit unentbehrlicher geworden, als es der Prieſter im Mittelalter war. Gegen dieſen uͤbermaͤchtigen Feind haben ſich nun die Menſchen aufgemacht, und lange Schlachtlinien gebildet, doch iſt keine Einigkeit unter den Fuͤhrern, und die Waffen fehlen oder der Feind weiß ſich un¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/39
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/39>, abgerufen am 21.11.2024.