der letzten Kriege hervorgegangen ist. Die Völker haben sich unter die Soldaten mischen müssen, der Volkskrieg hat den Soldatenkrieg entscheiden helfen. Jetzt wird in militärischer Hinsicht dieselbe Frage aufgeworfen, welche die Politiker so emsig beschäftigt, ob das Volkselement seinen Einfluß behaupten und erweitern dürfe? In Büchern wird diese Frage mehr bejaht, im Leben selbst mehr verneint. Es herrscht Frieden, und im Frieden, besonders in monarchischen Staaten, muß nothwendig das stehende Heerwesen ein Übergewicht bekommen. Erst in neuen allgemei¬ nen Kriegen kann die Volksbewaffnung wieder ihre Nothwendigkeit praktisch geltend machen. Auch diese Frage kann, wie so manche andre, nur von der Zu¬ kunft beantwortet werden.
Die technischen Wissenschaften, die der Industrie und Ökonomie dienen, haben seit kaum fünfzig Jah¬ ren eine unübersehbare Literatur geschaffen, zum Be¬ weis, wie sehr man auf den Nutzen und äußern Wohlstand bedacht ist. Man sehe jeden Meßkatalog an, hundert und aber hundert Bücher handeln von Landbau, Viehzucht, Haushalt und Fabrikation aller Art. So lange die Deutschen noch mehr im Gemüth lebten, also im ganzen Mittelalter bis zum Ausgang der Reformation, herrschte das theokratische System. Seitdem der Verstand herrschend geworden ist, ist an die Stelle jenes frühern das physiokratische System getreten. Damals lebte man in Gott, und Weltent¬ sagung war das Höchste, wornach man strebte. Jetzt
der letzten Kriege hervorgegangen iſt. Die Voͤlker haben ſich unter die Soldaten miſchen muͤſſen, der Volkskrieg hat den Soldatenkrieg entſcheiden helfen. Jetzt wird in militaͤriſcher Hinſicht dieſelbe Frage aufgeworfen, welche die Politiker ſo emſig beſchaͤftigt, ob das Volkselement ſeinen Einfluß behaupten und erweitern duͤrfe? In Buͤchern wird dieſe Frage mehr bejaht, im Leben ſelbſt mehr verneint. Es herrſcht Frieden, und im Frieden, beſonders in monarchiſchen Staaten, muß nothwendig das ſtehende Heerweſen ein Übergewicht bekommen. Erſt in neuen allgemei¬ nen Kriegen kann die Volksbewaffnung wieder ihre Nothwendigkeit praktiſch geltend machen. Auch dieſe Frage kann, wie ſo manche andre, nur von der Zu¬ kunft beantwortet werden.
Die techniſchen Wiſſenſchaften, die der Induſtrie und Ökonomie dienen, haben ſeit kaum fuͤnfzig Jah¬ ren eine unuͤberſehbare Literatur geſchaffen, zum Be¬ weis, wie ſehr man auf den Nutzen und aͤußern Wohlſtand bedacht iſt. Man ſehe jeden Meßkatalog an, hundert und aber hundert Buͤcher handeln von Landbau, Viehzucht, Haushalt und Fabrikation aller Art. So lange die Deutſchen noch mehr im Gemuͤth lebten, alſo im ganzen Mittelalter bis zum Ausgang der Reformation, herrſchte das theokratiſche Syſtem. Seitdem der Verſtand herrſchend geworden iſt, iſt an die Stelle jenes fruͤhern das phyſiokratiſche Syſtem getreten. Damals lebte man in Gott, und Weltent¬ ſagung war das Hoͤchſte, wornach man ſtrebte. Jetzt
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der letzten Kriege hervorgegangen iſt. Die Voͤlker
haben ſich unter die Soldaten miſchen muͤſſen, der
Volkskrieg hat den Soldatenkrieg entſcheiden helfen.
Jetzt wird in militaͤriſcher Hinſicht dieſelbe Frage
aufgeworfen, welche die Politiker ſo emſig beſchaͤftigt,
ob das Volkselement ſeinen Einfluß behaupten und
erweitern duͤrfe? In Buͤchern wird dieſe Frage mehr
bejaht, im Leben ſelbſt mehr verneint. Es herrſcht
Frieden, und im Frieden, beſonders in monarchiſchen
Staaten, muß nothwendig das ſtehende Heerweſen
ein Übergewicht bekommen. Erſt in neuen allgemei¬
nen Kriegen kann die Volksbewaffnung wieder ihre
Nothwendigkeit praktiſch geltend machen. Auch dieſe
Frage kann, wie ſo manche andre, nur von der Zu¬
kunft beantwortet werden.
Die techniſchen Wiſſenſchaften, die der Induſtrie
und Ökonomie dienen, haben ſeit kaum fuͤnfzig Jah¬
ren eine unuͤberſehbare Literatur geſchaffen, zum Be¬
weis, wie ſehr man auf den Nutzen und aͤußern
Wohlſtand bedacht iſt. Man ſehe jeden Meßkatalog
an, hundert und aber hundert Buͤcher handeln von
Landbau, Viehzucht, Haushalt und Fabrikation aller
Art. So lange die Deutſchen noch mehr im Gemuͤth
lebten, alſo im ganzen Mittelalter bis zum Ausgang
der Reformation, herrſchte das theokratiſche Syſtem.
Seitdem der Verſtand herrſchend geworden iſt, iſt an
die Stelle jenes fruͤhern das phyſiokratiſche Syſtem
getreten. Damals lebte man in Gott, und Weltent¬
ſagung war das Hoͤchſte, wornach man ſtrebte. Jetzt
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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