immer auf einer gewissen Willkür der individuellen Eigenthümlichkeit und der ästhetische Genuß immer auf einer gewissen Selbstbeschränkung beruhen, doch auch dafür gibt es allgemeine Gesetze und diese wer¬ den eben nicht erkannt. Man raisonnirt, verwirft, und vergöttert, wie das Gefühl es eingibt, aber ein Gefühl, das fast nie gebildet ist, und selten sich gleich bleibt, wenn ihm irgend ein Andrer, den man für einen Kenner hält, eine andre Richtung gibt. Aus diesem Hin- und Herschwanken der Gefühle und aus diesem Hin- und Herraisonniren der angeblichen Kenner ist eine Anarchie des ästhetischen Urtheils ent¬ sprungen, die den wahren Kenner unterdrückt, den Künstler bald durch Lob, bald durch Tadel verdirbt und dem Publikum statt eines wahren und dauernden Genusses nur die berauschenden Freuden einer ewig wechselnden Modelust gewährt.
Über die einzelnen bildenden Künste ist nach und nach Einiges geschrieben worden, meist von Dillettanten. Die historischen Studien über die alten Kunstwerke sind davon das Beste, wiewohl auch hie¬ für noch weit mehr geschehen könnte. Noch immer ist die bildende Kunst zu sehr blos eine Angelegenheit der Gelehrten und Vornehmen, das Volk in Masse nimmt zu wenig Theil daran. Sodann sind die Kräfte zu sehr an die verschiednen Akademien vertheilt und nicht selten unter ein einseitiges Interesse derselben gebracht, so daß alle Thätigkeit für die bildende Kunst fragmentarisch bleibt. Doch gibt es einige treffliche
immer auf einer gewiſſen Willkuͤr der individuellen Eigenthuͤmlichkeit und der aͤſthetiſche Genuß immer auf einer gewiſſen Selbſtbeſchraͤnkung beruhen, doch auch dafuͤr gibt es allgemeine Geſetze und dieſe wer¬ den eben nicht erkannt. Man raiſonnirt, verwirft, und vergoͤttert, wie das Gefuͤhl es eingibt, aber ein Gefuͤhl, das faſt nie gebildet iſt, und ſelten ſich gleich bleibt, wenn ihm irgend ein Andrer, den man fuͤr einen Kenner haͤlt, eine andre Richtung gibt. Aus dieſem Hin- und Herſchwanken der Gefuͤhle und aus dieſem Hin- und Herraiſonniren der angeblichen Kenner iſt eine Anarchie des aͤſthetiſchen Urtheils ent¬ ſprungen, die den wahren Kenner unterdruͤckt, den Kuͤnſtler bald durch Lob, bald durch Tadel verdirbt und dem Publikum ſtatt eines wahren und dauernden Genuſſes nur die berauſchenden Freuden einer ewig wechſelnden Modeluſt gewaͤhrt.
Über die einzelnen bildenden Kuͤnſte iſt nach und nach Einiges geſchrieben worden, meiſt von Dillettanten. Die hiſtoriſchen Studien uͤber die alten Kunſtwerke ſind davon das Beſte, wiewohl auch hie¬ fuͤr noch weit mehr geſchehen koͤnnte. Noch immer iſt die bildende Kunſt zu ſehr blos eine Angelegenheit der Gelehrten und Vornehmen, das Volk in Maſſe nimmt zu wenig Theil daran. Sodann ſind die Kraͤfte zu ſehr an die verſchiednen Akademien vertheilt und nicht ſelten unter ein einſeitiges Intereſſe derſelben gebracht, ſo daß alle Thaͤtigkeit fuͤr die bildende Kunſt fragmentariſch bleibt. Doch gibt es einige treffliche
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immer auf einer gewiſſen Willkuͤr der individuellen
Eigenthuͤmlichkeit und der aͤſthetiſche Genuß immer
auf einer gewiſſen Selbſtbeſchraͤnkung beruhen, doch
auch dafuͤr gibt es allgemeine Geſetze und dieſe wer¬
den eben nicht erkannt. Man raiſonnirt, verwirft,
und vergoͤttert, wie das Gefuͤhl es eingibt, aber ein
Gefuͤhl, das faſt nie gebildet iſt, und ſelten ſich
gleich bleibt, wenn ihm irgend ein Andrer, den man
fuͤr einen Kenner haͤlt, eine andre Richtung gibt.
Aus dieſem Hin- und Herſchwanken der Gefuͤhle und
aus dieſem Hin- und Herraiſonniren der angeblichen
Kenner iſt eine Anarchie des aͤſthetiſchen Urtheils ent¬
ſprungen, die den wahren Kenner unterdruͤckt, den
Kuͤnſtler bald durch Lob, bald durch Tadel verdirbt
und dem Publikum ſtatt eines wahren und dauernden
Genuſſes nur die berauſchenden Freuden einer ewig
wechſelnden Modeluſt gewaͤhrt.
Über die einzelnen bildenden Kuͤnſte iſt
nach und nach Einiges geſchrieben worden, meiſt von
Dillettanten. Die hiſtoriſchen Studien uͤber die alten
Kunſtwerke ſind davon das Beſte, wiewohl auch hie¬
fuͤr noch weit mehr geſchehen koͤnnte. Noch immer iſt
die bildende Kunſt zu ſehr blos eine Angelegenheit
der Gelehrten und Vornehmen, das Volk in Maſſe
nimmt zu wenig Theil daran. Sodann ſind die Kraͤfte
zu ſehr an die verſchiednen Akademien vertheilt und
nicht ſelten unter ein einſeitiges Intereſſe derſelben
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fragmentariſch bleibt. Doch gibt es einige treffliche
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/60>, abgerufen am 04.12.2024.
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