gesucht und dem unermeßlichen Reich der Phantasie einverleibt, davon die Literatur zahllose Landcharten entwirft. In dieser universellen Richtung folgt aber die Poesie nur dem Verstände, der ihr vorausgegan¬ gen. Diese neuere Poesie hängt innig mit der neuern Wissenschaft zusammen. Von ihr empfängt sie den Charakter, wie die Poesie des Mittelalters ihren Cha¬ rakter von der Religion empfangen. Damals herrschte mehr das Gemüth, jetzt der Verstand. Die Phan¬ tasie, unfähig jemals selbständig zu werden, folgt dem Impuls, den sie dort mehr vom Gemüth, hier mehr vom Verstand empfängt. Dort verwandelt sie Stimmungen, Gefühle, hier Begriffe, Gedanken in Bilder und Worte. Das Gemüth kehrt sich mehr nach innen, zieht die Welt mit geheimnißvollem Zuge in das Innere hinein, der Verstand kehrt sich mehr nach außen, und die Gedanken werden Schwingen, die den Menschen durch alle Räume, durch alle Zei¬ ten tragen. Dort concentrirt sich alles Licht und Leben in eine volle glühende Sonne. Hier fährt es sprühend, funkelnd auseinander in unzählige Sterne, das Unendliche zu durchdringen, zu bevölkern.
Jenes große Reich der neuern Poesie, dessen Gränzen nirgend sind, läßt sich doch in gewisse Sy¬ steme eintheilen. Der Eintheilungsgrund liegt theils in den Gegenständen, theils in den Formen, vor allem aber in dem Geist, der Auffassungsweise, der Weltansicht unsrer Dichtungen. Darnach haben sich gewisse Schulen gebildet. Es ist aber schwer, sie
geſucht und dem unermeßlichen Reich der Phantaſie einverleibt, davon die Literatur zahlloſe Landcharten entwirft. In dieſer univerſellen Richtung folgt aber die Poeſie nur dem Verſtaͤnde, der ihr vorausgegan¬ gen. Dieſe neuere Poeſie haͤngt innig mit der neuern Wiſſenſchaft zuſammen. Von ihr empfaͤngt ſie den Charakter, wie die Poeſie des Mittelalters ihren Cha¬ rakter von der Religion empfangen. Damals herrſchte mehr das Gemuͤth, jetzt der Verſtand. Die Phan¬ taſie, unfaͤhig jemals ſelbſtaͤndig zu werden, folgt dem Impuls, den ſie dort mehr vom Gemuͤth, hier mehr vom Verſtand empfaͤngt. Dort verwandelt ſie Stimmungen, Gefuͤhle, hier Begriffe, Gedanken in Bilder und Worte. Das Gemuͤth kehrt ſich mehr nach innen, zieht die Welt mit geheimnißvollem Zuge in das Innere hinein, der Verſtand kehrt ſich mehr nach außen, und die Gedanken werden Schwingen, die den Menſchen durch alle Raͤume, durch alle Zei¬ ten tragen. Dort concentrirt ſich alles Licht und Leben in eine volle gluͤhende Sonne. Hier faͤhrt es ſpruͤhend, funkelnd auseinander in unzaͤhlige Sterne, das Unendliche zu durchdringen, zu bevoͤlkern.
Jenes große Reich der neuern Poeſie, deſſen Graͤnzen nirgend ſind, laͤßt ſich doch in gewiſſe Sy¬ ſteme eintheilen. Der Eintheilungsgrund liegt theils in den Gegenſtaͤnden, theils in den Formen, vor allem aber in dem Geiſt, der Auffaſſungsweiſe, der Weltanſicht unſrer Dichtungen. Darnach haben ſich gewiſſe Schulen gebildet. Es iſt aber ſchwer, ſie
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geſucht und dem unermeßlichen Reich der Phantaſie
einverleibt, davon die Literatur zahlloſe Landcharten
entwirft. In dieſer univerſellen Richtung folgt aber
die Poeſie nur dem Verſtaͤnde, der ihr vorausgegan¬
gen. Dieſe neuere Poeſie haͤngt innig mit der neuern
Wiſſenſchaft zuſammen. Von ihr empfaͤngt ſie den
Charakter, wie die Poeſie des Mittelalters ihren Cha¬
rakter von der Religion empfangen. Damals herrſchte
mehr das Gemuͤth, jetzt der Verſtand. Die Phan¬
taſie, unfaͤhig jemals ſelbſtaͤndig zu werden, folgt
dem Impuls, den ſie dort mehr vom Gemuͤth, hier
mehr vom Verſtand empfaͤngt. Dort verwandelt ſie
Stimmungen, Gefuͤhle, hier Begriffe, Gedanken in
Bilder und Worte. Das Gemuͤth kehrt ſich mehr
nach innen, zieht die Welt mit geheimnißvollem Zuge
in das Innere hinein, der Verſtand kehrt ſich mehr
nach außen, und die Gedanken werden Schwingen,
die den Menſchen durch alle Raͤume, durch alle Zei¬
ten tragen. Dort concentrirt ſich alles Licht und
Leben in eine volle gluͤhende Sonne. Hier faͤhrt es
ſpruͤhend, funkelnd auseinander in unzaͤhlige Sterne,
das Unendliche zu durchdringen, zu bevoͤlkern.
Jenes große Reich der neuern Poeſie, deſſen
Graͤnzen nirgend ſind, laͤßt ſich doch in gewiſſe Sy¬
ſteme eintheilen. Der Eintheilungsgrund liegt theils
in den Gegenſtaͤnden, theils in den Formen, vor
allem aber in dem Geiſt, der Auffaſſungsweiſe, der
Weltanſicht unſrer Dichtungen. Darnach haben ſich
gewiſſe Schulen gebildet. Es iſt aber ſchwer, ſie
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/75>, abgerufen am 29.11.2024.
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