steilem Bogensystem ganz über dem Gewölbebogen hinausfällt. Dies würde z. B. der Fall sein, wenn man den Halbmesser des Kreises, mit welchem man den Spitzbogen beschreibt, ohngefähr 11/2 mal so lang macht und darüber, als die lichte Oeffnung des Gewölbes ist.
Der Seitenschub eines solchen Gewölbes ist an sich viel geringer als der eines Halbkreisförmigen, und wird um so geringer, je steiler man den Bogen wählt, weshalb die Widerlager verhältnißmäßig be- deutend schwächer werden können, wodurch bedeutende Ersparung entsteht.
Hat man für die Wölbung der Gradbogen Lehrbogen aufge- stellt, so können die Kappen aus freier Hand eingewölbt werden, man braucht also kein anderweitiges Lehrgerüst und keine Verschalung.
Der Seitenschub geht hierbei wie bei der Kreuzkappe nur nach den Ecken des Gewölbegrundrisses, die Stirn- oder Schildmauern kön- nen demnach, da sie keinen Seitenschub auszuhalten haben, entweder ganz fehlen, oder sie brauchen nur so stark zu sein, um sich allein tragen zu können, wenn nur die Eckpfeiler stark genug gemacht wer- den. Man nennt bei dieser Art von Gewölben die Eckpfeiler Stre- bepfeiler, weil sie allein gegen den Seitenschub anstreben.
Die Steilheit der Bogen erlaubt die Stärke der Kappen sehr dünn anzunehmen, und man hat Beispiele, daß in altdeutschen Kir- chen die Stärke der Gewölbekappen nur vier Zoll beträgt. Da die Quergurten und Gradgurten das Ganze stützen und tragen, so wer- den sie bedeutend stärker als die Kappen und selten unter 1 Fuß stark gemacht; es wäre denn, daß das Gewölbe aus Mauersteinen bestünde, wo man alsdann die Kappen gewöhnlich einen halben Stein, und die Gurten und Grade einen ganzen Stein stark zu machen pflegt.
Es sind dergleichen Gewölbe häufig in Haustein ohne Mörtel, und in gebrannten Mauersteinen mit Mörtel ausgeführt worden, und ihre Kühnheit der Maaße, sowie ihre Dauer während nun mehr als 600 Jahren, bürgt gewiß sowohl für die Richtigkeit der dabei ange- wendeten Theorie, als für die Tüchtigkeit der Ausführung. Nichts destoweniger werden diese Gewölbe zu Unterkellerungen gar nicht mehr angewendet, da sie verhältnißmäßig einer zu großen Höhe bedürfen, welche man nicht hergeben will. Früher wölbte man vielfach auch die Räume oberer Stockwerke in dieser Art und hatte so vollkommen feuersichere Wohngebäude, allein die wohlfeilere Balkendecke hat längst alle Wölbungen dieser Art verdrängt, wenn erstere gleich feuer- gefährlich und nicht so dauerhaft sind.
Das Kreuzgewölbe kann in jeder Grundrißform stattfinden, das Quadrat und die regelmäßigen Vielecke sind die bequemsten, aber auch
ſteilem Bogenſyſtem ganz über dem Gewölbebogen hinausfällt. Dies würde z. B. der Fall ſein, wenn man den Halbmeſſer des Kreiſes, mit welchem man den Spitzbogen beſchreibt, ohngefähr 1½ mal ſo lang macht und darüber, als die lichte Oeffnung des Gewölbes iſt.
Der Seitenſchub eines ſolchen Gewölbes iſt an ſich viel geringer als der eines Halbkreisförmigen, und wird um ſo geringer, je ſteiler man den Bogen wählt, weshalb die Widerlager verhältnißmäßig be- deutend ſchwächer werden können, wodurch bedeutende Erſparung entſteht.
Hat man für die Wölbung der Gradbogen Lehrbogen aufge- ſtellt, ſo können die Kappen aus freier Hand eingewölbt werden, man braucht alſo kein anderweitiges Lehrgerüſt und keine Verſchalung.
Der Seitenſchub geht hierbei wie bei der Kreuzkappe nur nach den Ecken des Gewölbegrundriſſes, die Stirn- oder Schildmauern kön- nen demnach, da ſie keinen Seitenſchub auszuhalten haben, entweder ganz fehlen, oder ſie brauchen nur ſo ſtark zu ſein, um ſich allein tragen zu können, wenn nur die Eckpfeiler ſtark genug gemacht wer- den. Man nennt bei dieſer Art von Gewölben die Eckpfeiler Stre- bepfeiler, weil ſie allein gegen den Seitenſchub anſtreben.
Die Steilheit der Bogen erlaubt die Stärke der Kappen ſehr dünn anzunehmen, und man hat Beiſpiele, daß in altdeutſchen Kir- chen die Stärke der Gewölbekappen nur vier Zoll beträgt. Da die Quergurten und Gradgurten das Ganze ſtützen und tragen, ſo wer- den ſie bedeutend ſtärker als die Kappen und ſelten unter 1 Fuß ſtark gemacht; es wäre denn, daß das Gewölbe aus Mauerſteinen beſtünde, wo man alsdann die Kappen gewöhnlich einen halben Stein, und die Gurten und Grade einen ganzen Stein ſtark zu machen pflegt.
Es ſind dergleichen Gewölbe häufig in Hauſtein ohne Mörtel, und in gebrannten Mauerſteinen mit Mörtel ausgeführt worden, und ihre Kühnheit der Maaße, ſowie ihre Dauer während nun mehr als 600 Jahren, bürgt gewiß ſowohl für die Richtigkeit der dabei ange- wendeten Theorie, als für die Tüchtigkeit der Ausführung. Nichts deſtoweniger werden dieſe Gewölbe zu Unterkellerungen gar nicht mehr angewendet, da ſie verhältnißmäßig einer zu großen Höhe bedürfen, welche man nicht hergeben will. Früher wölbte man vielfach auch die Räume oberer Stockwerke in dieſer Art und hatte ſo vollkommen feuerſichere Wohngebäude, allein die wohlfeilere Balkendecke hat längſt alle Wölbungen dieſer Art verdrängt, wenn erſtere gleich feuer- gefährlich und nicht ſo dauerhaft ſind.
Das Kreuzgewölbe kann in jeder Grundrißform ſtattfinden, das Quadrat und die regelmäßigen Vielecke ſind die bequemſten, aber auch
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ſteilem Bogenſyſtem ganz über dem Gewölbebogen hinausfällt. Dies
würde z. B. der Fall ſein, wenn man den Halbmeſſer des Kreiſes,
mit welchem man den Spitzbogen beſchreibt, ohngefähr 1½ mal ſo
lang macht und darüber, als die lichte Oeffnung des Gewölbes iſt.
Der Seitenſchub eines ſolchen Gewölbes iſt an ſich viel geringer
als der eines Halbkreisförmigen, und wird um ſo geringer, je ſteiler
man den Bogen wählt, weshalb die Widerlager verhältnißmäßig be-
deutend ſchwächer werden können, wodurch bedeutende Erſparung entſteht.
Hat man für die Wölbung der Gradbogen Lehrbogen aufge-
ſtellt, ſo können die Kappen aus freier Hand eingewölbt werden,
man braucht alſo kein anderweitiges Lehrgerüſt und keine Verſchalung.
Der Seitenſchub geht hierbei wie bei der Kreuzkappe nur nach
den Ecken des Gewölbegrundriſſes, die Stirn- oder Schildmauern kön-
nen demnach, da ſie keinen Seitenſchub auszuhalten haben, entweder
ganz fehlen, oder ſie brauchen nur ſo ſtark zu ſein, um ſich allein
tragen zu können, wenn nur die Eckpfeiler ſtark genug gemacht wer-
den. Man nennt bei dieſer Art von Gewölben die Eckpfeiler Stre-
bepfeiler, weil ſie allein gegen den Seitenſchub anſtreben.
Die Steilheit der Bogen erlaubt die Stärke der Kappen ſehr
dünn anzunehmen, und man hat Beiſpiele, daß in altdeutſchen Kir-
chen die Stärke der Gewölbekappen nur vier Zoll beträgt. Da die
Quergurten und Gradgurten das Ganze ſtützen und tragen, ſo wer-
den ſie bedeutend ſtärker als die Kappen und ſelten unter 1 Fuß
ſtark gemacht; es wäre denn, daß das Gewölbe aus Mauerſteinen
beſtünde, wo man alsdann die Kappen gewöhnlich einen halben Stein,
und die Gurten und Grade einen ganzen Stein ſtark zu machen pflegt.
Es ſind dergleichen Gewölbe häufig in Hauſtein ohne Mörtel,
und in gebrannten Mauerſteinen mit Mörtel ausgeführt worden, und
ihre Kühnheit der Maaße, ſowie ihre Dauer während nun mehr als
600 Jahren, bürgt gewiß ſowohl für die Richtigkeit der dabei ange-
wendeten Theorie, als für die Tüchtigkeit der Ausführung. Nichts
deſtoweniger werden dieſe Gewölbe zu Unterkellerungen gar nicht mehr
angewendet, da ſie verhältnißmäßig einer zu großen Höhe bedürfen,
welche man nicht hergeben will. Früher wölbte man vielfach auch
die Räume oberer Stockwerke in dieſer Art und hatte ſo vollkommen
feuerſichere Wohngebäude, allein die wohlfeilere Balkendecke hat
längſt alle Wölbungen dieſer Art verdrängt, wenn erſtere gleich feuer-
gefährlich und nicht ſo dauerhaft ſind.
Das Kreuzgewölbe kann in jeder Grundrißform ſtattfinden, das
Quadrat und die regelmäßigen Vielecke ſind die bequemſten, aber auch
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Menzel, Carl August (Hrsg.): Der praktische Maurer. Halle, 1847, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_maurer_1847/223>, abgerufen am 16.02.2025.
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