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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Die Hörner dröhnen. Zu der blut'gen Pforte
Strömt her das Volk aus jedem Thal und Orte,
Groß wundert sich am Joch die Kinderschaar,
Ein Mädelreigen springt in heller Freude
Um das von Schande triefende Gebäude,
Den blüh'nden Veilchenkranz im Haar.
Der Manlierstirn verzogne Brauen grollen,
Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen --
Der Hirtenknabe geißelt wie ein Rind
Den Brutusenkel. Sich durchs Joch zu bücken,
Krümmt jetzt das erste Römerpaar den Rücken
Und gellend lacht das Alpenkind.
Mit starren Zügen blickt, als ob er spotte,
Ein Felsenblock, der eigen ist dem Gotte,
Drauf hoch des Landes Priesterinnen stehn:
Ein hell Geschöpf in sonnenlichten Flechten
Und eine Drude mit geballter Rechten
Und rabenschwarzer Haare Wehn.
Die Dunkle höhnt: "Geht, Römer! Schneidet Stecken!
Wir rüsten euch zur Fahrt mit Bettelsäcken!
Euch peitsch' ein wildes Wetter durch die Schlucht!
Verflucht der Steg, darüber ihr gekommen,
Und wen ihr euch zum Führer habt genommen,
Er sei am ganzen Leib verflucht!"
Die Hörner dröhnen. Zu der blut'gen Pforte
Strömt her das Volk aus jedem Thal und Orte,
Groß wundert ſich am Joch die Kinderſchaar,
Ein Mädelreigen ſpringt in heller Freude
Um das von Schande triefende Gebäude,
Den blüh'nden Veilchenkranz im Haar.
Der Manlierſtirn verzogne Brauen grollen,
Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen —
Der Hirtenknabe geißelt wie ein Rind
Den Brutusenkel. Sich durchs Joch zu bücken,
Krümmt jetzt das erſte Römerpaar den Rücken
Und gellend lacht das Alpenkind.
Mit ſtarren Zügen blickt, als ob er ſpotte,
Ein Felſenblock, der eigen iſt dem Gotte,
Drauf hoch des Landes Prieſterinnen ſtehn:
Ein hell Geſchöpf in ſonnenlichten Flechten
Und eine Drude mit geballter Rechten
Und rabenſchwarzer Haare Wehn.
Die Dunkle höhnt: „Geht, Römer! Schneidet Stecken!
Wir rüſten euch zur Fahrt mit Bettelſäcken!
Euch peitſch' ein wildes Wetter durch die Schlucht!
Verflucht der Steg, darüber ihr gekommen,
Und wen ihr euch zum Führer habt genommen,
Er ſei am ganzen Leib verflucht!“
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[204/0218] Die Hörner dröhnen. Zu der blut'gen Pforte Strömt her das Volk aus jedem Thal und Orte, Groß wundert ſich am Joch die Kinderſchaar, Ein Mädelreigen ſpringt in heller Freude Um das von Schande triefende Gebäude, Den blüh'nden Veilchenkranz im Haar. Der Manlierſtirn verzogne Brauen grollen, Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen — Der Hirtenknabe geißelt wie ein Rind Den Brutusenkel. Sich durchs Joch zu bücken, Krümmt jetzt das erſte Römerpaar den Rücken Und gellend lacht das Alpenkind. Mit ſtarren Zügen blickt, als ob er ſpotte, Ein Felſenblock, der eigen iſt dem Gotte, Drauf hoch des Landes Prieſterinnen ſtehn: Ein hell Geſchöpf in ſonnenlichten Flechten Und eine Drude mit geballter Rechten Und rabenſchwarzer Haare Wehn. Die Dunkle höhnt: „Geht, Römer! Schneidet Stecken! Wir rüſten euch zur Fahrt mit Bettelſäcken! Euch peitſch' ein wildes Wetter durch die Schlucht! Verflucht der Steg, darüber ihr gekommen, Und wen ihr euch zum Führer habt genommen, Er ſei am ganzen Leib verflucht!“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/218>, abgerufen am 24.11.2024.