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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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einem Grunde sich in der Werkstätte eines Malers be¬
fand. Ich ward von ihr abgesandt, um den jetzigen
Thatbestand festzustellen. Es hängt wieder drüben,
und ich fliege, es den Herrschaften zu melden. Sie
werden ihre Wallfahrt zu dem Tizian gleich antreten
wollen."

"Herr, so dürft Ihr mir nicht fort," sagte Fausch,
und vertrat ihm mit seiner breiten Figur den Ausweg.
"Ihr verkennt mich grausam in dem was mir hoch und
heilig ist. -- Was hielte meinen Geist in diesem
schmerzvollen Exil lebhaft und aufrecht, wenn nicht die
Tag und Nacht genährte Hoffnung, mein Jahrzehnte
lang zerfleischtes, verheertes, gefesseltes Bünden wieder
befreit zu sehen! -- Und ich soll mich nicht um Neuig¬
keiten kümmern? Soll nicht die Fühlhörner nach allen
Seiten ausstrecken? Nicht jede günstige Nachricht mit
durstigen Poren einsaugen? -- Pocht denn Euch nichts
hier fürs Vaterland, Herr Wertmüller? . . ." Er drückte
tief athmend die fette Hand auf die Brust. "Glaubt
nicht, daß mir die für Bünden unrühmliche Hilfe der
Franzosen willkommen sei; ich heiße das den Teufel
durch Beelzebub vertreiben, aber sie ist, Gott sei's ge¬
klagt, der letzte Ausweg aus der härtesten Sklaverei!
Auch lebt jetzt in Bünden ein matteres Geschlecht. In
jener großen Zeit freilich, wo ich, der Würgengel Jenatsch

einem Grunde ſich in der Werkſtätte eines Malers be¬
fand. Ich ward von ihr abgeſandt, um den jetzigen
Thatbeſtand feſtzuſtellen. Es hängt wieder drüben,
und ich fliege, es den Herrſchaften zu melden. Sie
werden ihre Wallfahrt zu dem Tizian gleich antreten
wollen.“

„Herr, ſo dürft Ihr mir nicht fort,“ ſagte Fauſch,
und vertrat ihm mit ſeiner breiten Figur den Ausweg.
„Ihr verkennt mich grauſam in dem was mir hoch und
heilig iſt. — Was hielte meinen Geiſt in dieſem
ſchmerzvollen Exil lebhaft und aufrecht, wenn nicht die
Tag und Nacht genährte Hoffnung, mein Jahrzehnte
lang zerfleiſchtes, verheertes, gefeſſeltes Bünden wieder
befreit zu ſehen! — Und ich ſoll mich nicht um Neuig¬
keiten kümmern? Soll nicht die Fühlhörner nach allen
Seiten ausſtrecken? Nicht jede günſtige Nachricht mit
durſtigen Poren einſaugen? — Pocht denn Euch nichts
hier fürs Vaterland, Herr Wertmüller? . . .“ Er drückte
tief athmend die fette Hand auf die Bruſt. „Glaubt
nicht, daß mir die für Bünden unrühmliche Hilfe der
Franzoſen willkommen ſei; ich heiße das den Teufel
durch Beelzebub vertreiben, aber ſie iſt, Gott ſei's ge¬
klagt, der letzte Ausweg aus der härteſten Sklaverei!
Auch lebt jetzt in Bünden ein matteres Geſchlecht. In
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[124/0134] einem Grunde ſich in der Werkſtätte eines Malers be¬ fand. Ich ward von ihr abgeſandt, um den jetzigen Thatbeſtand feſtzuſtellen. Es hängt wieder drüben, und ich fliege, es den Herrſchaften zu melden. Sie werden ihre Wallfahrt zu dem Tizian gleich antreten wollen.“ „Herr, ſo dürft Ihr mir nicht fort,“ ſagte Fauſch, und vertrat ihm mit ſeiner breiten Figur den Ausweg. „Ihr verkennt mich grauſam in dem was mir hoch und heilig iſt. — Was hielte meinen Geiſt in dieſem ſchmerzvollen Exil lebhaft und aufrecht, wenn nicht die Tag und Nacht genährte Hoffnung, mein Jahrzehnte lang zerfleiſchtes, verheertes, gefeſſeltes Bünden wieder befreit zu ſehen! — Und ich ſoll mich nicht um Neuig¬ keiten kümmern? Soll nicht die Fühlhörner nach allen Seiten ausſtrecken? Nicht jede günſtige Nachricht mit durſtigen Poren einſaugen? — Pocht denn Euch nichts hier fürs Vaterland, Herr Wertmüller? . . .“ Er drückte tief athmend die fette Hand auf die Bruſt. „Glaubt nicht, daß mir die für Bünden unrühmliche Hilfe der Franzoſen willkommen ſei; ich heiße das den Teufel durch Beelzebub vertreiben, aber ſie iſt, Gott ſei's ge¬ klagt, der letzte Ausweg aus der härteſten Sklaverei! Auch lebt jetzt in Bünden ein matteres Geſchlecht. In jener großen Zeit freilich, wo ich, der Würgengel Jenatſch

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/134>, abgerufen am 29.11.2024.