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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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selben auf, die den Namen: "Oberst Jakob Ruinell" als
Ueberschrift trug. Sie war von oben bis unten mit
langen Zahlenreihen bedeckt. Er tunkte die Feder ein
und zog zwei dicke Striche kreuzweis über das ganze
Blatt. Dann setzte er ein Kreuzchen auch neben den
Namen und schrieb dazu: obiit diem supremum, ulti¬
mus suae gentis
und das Datum. "Requiescat in
pace
. Seine Schuld sei ihm erlassen", sagte er. "Man
versenkt den Letzten seines Geschlechts mit Wappen und
Helm. Ich begrabe mit dem Ruinell seine Rechnung.
Bezahlen würde sie mir doch niemand."

"Nun schleppe ich auch das noch hinter mir her!"
seufzte der Andere.

"Werdet Ihr Euch flüchten? fragte Fausch.

"Nein, ich gehe nicht aus Venedig, ich lasse mich
nicht vom Herzog Rohan hinwegreißen", versetzte Jenatsch
leidenschaftlich, "jetzt, da der Kampf zur Befreiung
meines Vaterlandes wieder entbrennen soll".

"Merkt wohl, Jenatsch", sagte Fausch, den Zeige¬
finger an die Nase legend, mit listigem Blicke, "der
Provveditore hat Euch nicht umsonst hinüber nach Dal¬
matien geschickt. Sein Zweck ist, Euch von Rohan fern
zu halten. Ahnt er doch, daß Euer gerades natürliches
Wesen im Fluge das Vertrauen des edlen Herzogs ge¬
wänne, und daß Ihr in Bünden seine rechte Hand

ſelben auf, die den Namen: „Oberſt Jakob Ruinell“ als
Ueberſchrift trug. Sie war von oben bis unten mit
langen Zahlenreihen bedeckt. Er tunkte die Feder ein
und zog zwei dicke Striche kreuzweis über das ganze
Blatt. Dann ſetzte er ein Kreuzchen auch neben den
Namen und ſchrieb dazu: obiit diem supremum, ulti¬
mus suae gentis
und das Datum. „Requiescat in
pace
. Seine Schuld ſei ihm erlaſſen“, ſagte er. „Man
verſenkt den Letzten ſeines Geſchlechts mit Wappen und
Helm. Ich begrabe mit dem Ruinell ſeine Rechnung.
Bezahlen würde ſie mir doch niemand.“

„Nun ſchleppe ich auch das noch hinter mir her!“
ſeufzte der Andere.

„Werdet Ihr Euch flüchten? fragte Fauſch.

„Nein, ich gehe nicht aus Venedig, ich laſſe mich
nicht vom Herzog Rohan hinwegreißen“, verſetzte Jenatſch
leidenſchaftlich, „jetzt, da der Kampf zur Befreiung
meines Vaterlandes wieder entbrennen ſoll“.

„Merkt wohl, Jenatſch“, ſagte Fauſch, den Zeige¬
finger an die Naſe legend, mit liſtigem Blicke, „der
Provveditore hat Euch nicht umſonſt hinüber nach Dal¬
matien geſchickt. Sein Zweck iſt, Euch von Rohan fern
zu halten. Ahnt er doch, daß Euer gerades natürliches
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[133/0143] ſelben auf, die den Namen: „Oberſt Jakob Ruinell“ als Ueberſchrift trug. Sie war von oben bis unten mit langen Zahlenreihen bedeckt. Er tunkte die Feder ein und zog zwei dicke Striche kreuzweis über das ganze Blatt. Dann ſetzte er ein Kreuzchen auch neben den Namen und ſchrieb dazu: obiit diem supremum, ulti¬ mus suae gentis und das Datum. „Requiescat in pace. Seine Schuld ſei ihm erlaſſen“, ſagte er. „Man verſenkt den Letzten ſeines Geſchlechts mit Wappen und Helm. Ich begrabe mit dem Ruinell ſeine Rechnung. Bezahlen würde ſie mir doch niemand.“ „Nun ſchleppe ich auch das noch hinter mir her!“ ſeufzte der Andere. „Werdet Ihr Euch flüchten? fragte Fauſch. „Nein, ich gehe nicht aus Venedig, ich laſſe mich nicht vom Herzog Rohan hinwegreißen“, verſetzte Jenatſch leidenſchaftlich, „jetzt, da der Kampf zur Befreiung meines Vaterlandes wieder entbrennen ſoll“. „Merkt wohl, Jenatſch“, ſagte Fauſch, den Zeige¬ finger an die Naſe legend, mit liſtigem Blicke, „der Provveditore hat Euch nicht umſonſt hinüber nach Dal¬ matien geſchickt. Sein Zweck iſt, Euch von Rohan fern zu halten. Ahnt er doch, daß Euer gerades natürliches Weſen im Fluge das Vertrauen des edlen Herzogs ge¬ wänne, und daß Ihr in Bünden ſeine rechte Hand

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/143>, abgerufen am 29.11.2024.