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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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und eigensüchtig sich umhertreibt; sondern ich rede von
der Menschwerdung eines ganzen Volkes, das sich mit
seinem Geiste und seiner Leidenschaft, mit seinem Elende
und seiner Schmach, mit seinen Seufzern, mit seinem
Zorn und seiner Rache in mehrern, oder meinetwegen
in einem seiner Söhne verkörpert und den welchen
es besitzt und beseelt zu den nothwendigen Thaten be¬
vollmächtigt, daß er Wunder thun muß, auch wenn er
nicht wollte! . . .

"Blickt umher! Seht Euer und mein kleines Vater¬
land, wie es zusammengedrückt wird von der Wucht
ringsum sich bildender großer Monarchien und sprecht!
Genügt da, wenn wir ein selbständiges Leben behaup¬
ten wollen, eine gewöhnliche Vaterlandsliebe und ein
haushälterisches Maß von Opferlust?". . .

Diese mit der Heftigkeit eines verwundeten Ge¬
fühls hervorstürzenden Worte ließ der Locotenent an¬
fangs ohne Entgegnung. Er spielte mit seinem jungen
spitzen Kinnbarte und schaute nach der Stadt zurück, wo
sich auf dem in diesem Augenblicke hervorragendsten
Bauwerke, der neuen Jesuitenkirche, die effektvolle Sta¬
tuengruppe des Daches von der Rückseite in den wun¬
derlichsten Verkürzungen zeigte. Die von eisernen
Stangen gestützten Engel und Apostel mit ihren Flügeln

und eigenſüchtig ſich umhertreibt; ſondern ich rede von
der Menſchwerdung eines ganzen Volkes, das ſich mit
ſeinem Geiſte und ſeiner Leidenſchaft, mit ſeinem Elende
und ſeiner Schmach, mit ſeinen Seufzern, mit ſeinem
Zorn und ſeiner Rache in mehrern, oder meinetwegen
in einem ſeiner Söhne verkörpert und den welchen
es beſitzt und beſeelt zu den nothwendigen Thaten be¬
vollmächtigt, daß er Wunder thun muß, auch wenn er
nicht wollte! . . .

„Blickt umher! Seht Euer und mein kleines Vater¬
land, wie es zuſammengedrückt wird von der Wucht
ringsum ſich bildender großer Monarchien und ſprecht!
Genügt da, wenn wir ein ſelbſtändiges Leben behaup¬
ten wollen, eine gewöhnliche Vaterlandsliebe und ein
haushälteriſches Maß von Opferluſt?“. . .

Dieſe mit der Heftigkeit eines verwundeten Ge¬
fühls hervorſtürzenden Worte ließ der Locotenent an¬
fangs ohne Entgegnung. Er ſpielte mit ſeinem jungen
ſpitzen Kinnbarte und ſchaute nach der Stadt zurück, wo
ſich auf dem in dieſem Augenblicke hervorragendſten
Bauwerke, der neuen Jeſuitenkirche, die effektvolle Sta¬
tuengruppe des Daches von der Rückſeite in den wun¬
derlichſten Verkürzungen zeigte. Die von eiſernen
Stangen geſtützten Engel und Apoſtel mit ihren Flügeln

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[155/0165] und eigenſüchtig ſich umhertreibt; ſondern ich rede von der Menſchwerdung eines ganzen Volkes, das ſich mit ſeinem Geiſte und ſeiner Leidenſchaft, mit ſeinem Elende und ſeiner Schmach, mit ſeinen Seufzern, mit ſeinem Zorn und ſeiner Rache in mehrern, oder meinetwegen in einem ſeiner Söhne verkörpert und den welchen es beſitzt und beſeelt zu den nothwendigen Thaten be¬ vollmächtigt, daß er Wunder thun muß, auch wenn er nicht wollte! . . . „Blickt umher! Seht Euer und mein kleines Vater¬ land, wie es zuſammengedrückt wird von der Wucht ringsum ſich bildender großer Monarchien und ſprecht! Genügt da, wenn wir ein ſelbſtändiges Leben behaup¬ ten wollen, eine gewöhnliche Vaterlandsliebe und ein haushälteriſches Maß von Opferluſt?“. . . Dieſe mit der Heftigkeit eines verwundeten Ge¬ fühls hervorſtürzenden Worte ließ der Locotenent an¬ fangs ohne Entgegnung. Er ſpielte mit ſeinem jungen ſpitzen Kinnbarte und ſchaute nach der Stadt zurück, wo ſich auf dem in dieſem Augenblicke hervorragendſten Bauwerke, der neuen Jeſuitenkirche, die effektvolle Sta¬ tuengruppe des Daches von der Rückſeite in den wun¬ derlichſten Verkürzungen zeigte. Die von eiſernen Stangen geſtützten Engel und Apoſtel mit ihren Flügeln

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/165>, abgerufen am 27.11.2024.