und durchdrungen von dem Gefühle, daß sie diese Offen¬ barung nicht für sich behalten dürfe. So war sie denn gekommen das Gesicht Lucretia mitzutheilen und mit ihr dessen Bedeutung zu besprechen.
Der Eindruck des Traumbildes auf das Fräulein war indessen weniger erfreulich und überzeugend ge¬ wesen, als die Nonne gehofft, und sie hatte sich darauf lange bemüht zu ergründen, welche Wurzeln der Welt¬ lust oder der Weltsorge das Fräulein immer noch draußen zurückhielten, denn dieses sprach von dem Kloster, trotz seines Wohlwollens für dasselbe, nur als von seiner einstweiligen Herberge.
An irdischem Besitz schien Lucretias Herz nicht zu hangen, noch weniger an irdischer Liebe; denn einige bescheidene Klosterscherze, die sich Schwester Perpetua einzig in der Absicht das Fräulein zu erforschen in dieser Richtung erlaubte, wurden mit stolzem Lächeln abgewiesen.
Noch eine Möglichkeit halte die Schwester beun¬ ruhigt: Lucretia wolle in der Welt bleiben, bis sie einen würdigen Bluträcher finde, der nach altem Landesbrauche den Tod ihres grausam erschlagenen Vaters mit dem¬ jenigen der Mörder sühne, oder sie trage am Ende selbst blutige Gedanken mit sich herum, die sich mit dem Frieden des Klosters nicht vertrügen.
und durchdrungen von dem Gefühle, daß ſie dieſe Offen¬ barung nicht für ſich behalten dürfe. So war ſie denn gekommen das Geſicht Lucretia mitzutheilen und mit ihr deſſen Bedeutung zu beſprechen.
Der Eindruck des Traumbildes auf das Fräulein war indeſſen weniger erfreulich und überzeugend ge¬ weſen, als die Nonne gehofft, und ſie hatte ſich darauf lange bemüht zu ergründen, welche Wurzeln der Welt¬ luſt oder der Weltſorge das Fräulein immer noch draußen zurückhielten, denn dieſes ſprach von dem Kloſter, trotz ſeines Wohlwollens für daſſelbe, nur als von ſeiner einſtweiligen Herberge.
An irdiſchem Beſitz ſchien Lucretias Herz nicht zu hangen, noch weniger an irdiſcher Liebe; denn einige beſcheidene Kloſterſcherze, die ſich Schweſter Perpetua einzig in der Abſicht das Fräulein zu erforſchen in dieſer Richtung erlaubte, wurden mit ſtolzem Lächeln abgewieſen.
Noch eine Möglichkeit halte die Schweſter beun¬ ruhigt: Lucretia wolle in der Welt bleiben, bis ſie einen würdigen Bluträcher finde, der nach altem Landesbrauche den Tod ihres grauſam erſchlagenen Vaters mit dem¬ jenigen der Mörder ſühne, oder ſie trage am Ende ſelbſt blutige Gedanken mit ſich herum, die ſich mit dem Frieden des Kloſters nicht vertrügen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0227"n="217"/>
und durchdrungen von dem Gefühle, daß ſie dieſe Offen¬<lb/>
barung nicht für ſich behalten dürfe. So war ſie denn<lb/>
gekommen das Geſicht Lucretia mitzutheilen und mit<lb/>
ihr deſſen Bedeutung zu beſprechen.</p><lb/><p>Der Eindruck des Traumbildes auf das Fräulein<lb/>
war indeſſen weniger erfreulich und überzeugend ge¬<lb/>
weſen, als die Nonne gehofft, und ſie hatte ſich darauf<lb/>
lange bemüht zu ergründen, welche Wurzeln der Welt¬<lb/>
luſt oder der Weltſorge das Fräulein immer noch draußen<lb/>
zurückhielten, denn dieſes ſprach von dem Kloſter, trotz<lb/>ſeines Wohlwollens für daſſelbe, nur als von ſeiner<lb/>
einſtweiligen Herberge.</p><lb/><p>An irdiſchem Beſitz ſchien Lucretias Herz nicht zu<lb/>
hangen, noch weniger an irdiſcher Liebe; denn einige<lb/>
beſcheidene Kloſterſcherze, die ſich Schweſter Perpetua<lb/>
einzig in der Abſicht das Fräulein zu erforſchen in<lb/>
dieſer Richtung erlaubte, wurden mit ſtolzem Lächeln<lb/>
abgewieſen.</p><lb/><p>Noch eine Möglichkeit halte die Schweſter beun¬<lb/>
ruhigt: Lucretia wolle in der Welt bleiben, bis ſie einen<lb/>
würdigen Bluträcher finde, der nach altem Landesbrauche<lb/>
den Tod ihres grauſam erſchlagenen Vaters mit dem¬<lb/>
jenigen der Mörder ſühne, oder ſie trage am Ende ſelbſt<lb/>
blutige Gedanken mit ſich herum, die ſich mit dem<lb/>
Frieden des Kloſters nicht vertrügen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[217/0227]
und durchdrungen von dem Gefühle, daß ſie dieſe Offen¬
barung nicht für ſich behalten dürfe. So war ſie denn
gekommen das Geſicht Lucretia mitzutheilen und mit
ihr deſſen Bedeutung zu beſprechen.
Der Eindruck des Traumbildes auf das Fräulein
war indeſſen weniger erfreulich und überzeugend ge¬
weſen, als die Nonne gehofft, und ſie hatte ſich darauf
lange bemüht zu ergründen, welche Wurzeln der Welt¬
luſt oder der Weltſorge das Fräulein immer noch draußen
zurückhielten, denn dieſes ſprach von dem Kloſter, trotz
ſeines Wohlwollens für daſſelbe, nur als von ſeiner
einſtweiligen Herberge.
An irdiſchem Beſitz ſchien Lucretias Herz nicht zu
hangen, noch weniger an irdiſcher Liebe; denn einige
beſcheidene Kloſterſcherze, die ſich Schweſter Perpetua
einzig in der Abſicht das Fräulein zu erforſchen in
dieſer Richtung erlaubte, wurden mit ſtolzem Lächeln
abgewieſen.
Noch eine Möglichkeit halte die Schweſter beun¬
ruhigt: Lucretia wolle in der Welt bleiben, bis ſie einen
würdigen Bluträcher finde, der nach altem Landesbrauche
den Tod ihres grauſam erſchlagenen Vaters mit dem¬
jenigen der Mörder ſühne, oder ſie trage am Ende ſelbſt
blutige Gedanken mit ſich herum, die ſich mit dem
Frieden des Kloſters nicht vertrügen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/227>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.