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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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der den Rückzug gedeckt hatte und von der Rolle, die
er gespielt, höchlich befriedigt schien.

"In der Festung wird Alarm geschlagen," sagte
Jenatsch. "Hinter jenem Waldhügel biegen wir links
ab von der Heerstraße, auf der man uns verfolgen
wird, reiten durch die seichten Nebenwasser der Adda
und gewinnen auf Wegen, die ich als gangbar kenne,
längs des Sees und über die Berge das sichere
Bellenz." --

Als die Pferde den beweglichen Kiesboden des
Flußbettes betraten, sprang Lucas ab und ergriff, sich
vor das Pferd seiner Herrin stellend, mit treuer Hand
dessen Zügel. "Im Grunde habt Ihr Recht," sagte
der Alte und blickte zu Lucretias glücklichem Angesichte
auf, "es war heute nicht der passende Anlaß und nicht
der richtige Ort. -- Euch zu liebe würd' ich mit
dem leidigen Satan selbander reiten, aber -- wahr
bleibt's -- einem ehrlichen Gaul und einem gut ka¬
tholischen Christen wird heutzutage viel Geduld zuge¬
muthet." --

Die darauf folgenden beschwerlichen Reisetage
lebten als selige Erinnerungen in dem Herzen Lucretias
fort. Nach dem ermüdenden Zuge quer über die süd¬
lichen Vorberge der Alpen hatte die Gesellschaft in
Bellenz gerastet und Jenatsch sich beritten gemacht.

der den Rückzug gedeckt hatte und von der Rolle, die
er geſpielt, höchlich befriedigt ſchien.

„In der Feſtung wird Alarm geſchlagen,“ ſagte
Jenatſch. „Hinter jenem Waldhügel biegen wir links
ab von der Heerſtraße, auf der man uns verfolgen
wird, reiten durch die ſeichten Nebenwaſſer der Adda
und gewinnen auf Wegen, die ich als gangbar kenne,
längs des Sees und über die Berge das ſichere
Bellenz.“ —

Als die Pferde den beweglichen Kiesboden des
Flußbettes betraten, ſprang Lucas ab und ergriff, ſich
vor das Pferd ſeiner Herrin ſtellend, mit treuer Hand
deſſen Zügel. „Im Grunde habt Ihr Recht,“ ſagte
der Alte und blickte zu Lucretias glücklichem Angeſichte
auf, „es war heute nicht der paſſende Anlaß und nicht
der richtige Ort. — Euch zu liebe würd' ich mit
dem leidigen Satan ſelbander reiten, aber — wahr
bleibt's — einem ehrlichen Gaul und einem gut ka¬
tholiſchen Chriſten wird heutzutage viel Geduld zuge¬
muthet.“ —

Die darauf folgenden beſchwerlichen Reiſetage
lebten als ſelige Erinnerungen in dem Herzen Lucretias
fort. Nach dem ermüdenden Zuge quer über die ſüd¬
lichen Vorberge der Alpen hatte die Geſellſchaft in
Bellenz geraſtet und Jenatſch ſich beritten gemacht.

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[224/0234] der den Rückzug gedeckt hatte und von der Rolle, die er geſpielt, höchlich befriedigt ſchien. „In der Feſtung wird Alarm geſchlagen,“ ſagte Jenatſch. „Hinter jenem Waldhügel biegen wir links ab von der Heerſtraße, auf der man uns verfolgen wird, reiten durch die ſeichten Nebenwaſſer der Adda und gewinnen auf Wegen, die ich als gangbar kenne, längs des Sees und über die Berge das ſichere Bellenz.“ — Als die Pferde den beweglichen Kiesboden des Flußbettes betraten, ſprang Lucas ab und ergriff, ſich vor das Pferd ſeiner Herrin ſtellend, mit treuer Hand deſſen Zügel. „Im Grunde habt Ihr Recht,“ ſagte der Alte und blickte zu Lucretias glücklichem Angeſichte auf, „es war heute nicht der paſſende Anlaß und nicht der richtige Ort. — Euch zu liebe würd' ich mit dem leidigen Satan ſelbander reiten, aber — wahr bleibt's — einem ehrlichen Gaul und einem gut ka¬ tholiſchen Chriſten wird heutzutage viel Geduld zuge¬ muthet.“ — Die darauf folgenden beſchwerlichen Reiſetage lebten als ſelige Erinnerungen in dem Herzen Lucretias fort. Nach dem ermüdenden Zuge quer über die ſüd¬ lichen Vorberge der Alpen hatte die Geſellſchaft in Bellenz geraſtet und Jenatſch ſich beritten gemacht.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/234>, abgerufen am 23.11.2024.