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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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zichtet sein im Augenblicke da sich des Ruhmes glänzende
Staffeln hart vor seinen Augen erhoben?

Auch war Lucretia heute so weich, und als sie
ihm den kleinen Silberbecher in die Hand drückte, hatte
ihn aus ihren vertrauensvollen braunen Augen das
Mägdlein angeschaut, das ihn einst beim Kinderspiele
zu seinem Beschützer und Hüter erkoren! . . .

So bezwang er mit starkem Willen seine Leiden¬
schaft, legte ihr Haupt sanft an seine Brust, drückte
noch einen leisen Kuß auf ihre Stirn und sagte, wie
er vor vielen Jahren zu dem weinenden Mägdlein zu
sagen Pflegte, wenn sie sich einmal entzweit hatten:
"Sei gut und stille, Kind! Der Friede ist ge¬
schlossen." --

Lucretia hatte damit Ernst gemacht. Ruhe war
über ihr Gemüth gekommen mit dem Gefühle, daß die
Höhe des Lebens überstiegen und die Erinnerung ihr
größter Besitz sei. Nun wohnte sie seit Monaten in
den Klostermauern von Cazis. Das Wort des frommen
Herzogs, daß es sicherer sei, Frevel durch Opfer der
Liebe zu sühnen als durch neue Gewaltthat, begann in
ihrer gestillten Seele Wurzel zu schlagen. -- Wenn sie
den Wunsch der Frauen von Cazis nicht erfüllte, so
war der herüberschauende Thurm von Riedberg daran
schuld, der sie an ihre freien Kindertage erinnerte und

zichtet ſein im Augenblicke da ſich des Ruhmes glänzende
Staffeln hart vor ſeinen Augen erhoben?

Auch war Lucretia heute ſo weich, und als ſie
ihm den kleinen Silberbecher in die Hand drückte, hatte
ihn aus ihren vertrauensvollen braunen Augen das
Mägdlein angeſchaut, das ihn einſt beim Kinderſpiele
zu ſeinem Beſchützer und Hüter erkoren! . . .

So bezwang er mit ſtarkem Willen ſeine Leiden¬
ſchaft, legte ihr Haupt ſanft an ſeine Bruſt, drückte
noch einen leiſen Kuß auf ihre Stirn und ſagte, wie
er vor vielen Jahren zu dem weinenden Mägdlein zu
ſagen Pflegte, wenn ſie ſich einmal entzweit hatten:
„Sei gut und ſtille, Kind! Der Friede iſt ge¬
ſchloſſen.“ —

Lucretia hatte damit Ernſt gemacht. Ruhe war
über ihr Gemüth gekommen mit dem Gefühle, daß die
Höhe des Lebens überſtiegen und die Erinnerung ihr
größter Beſitz ſei. Nun wohnte ſie ſeit Monaten in
den Kloſtermauern von Cazis. Das Wort des frommen
Herzogs, daß es ſicherer ſei, Frevel durch Opfer der
Liebe zu ſühnen als durch neue Gewaltthat, begann in
ihrer geſtillten Seele Wurzel zu ſchlagen. — Wenn ſie
den Wunſch der Frauen von Cazis nicht erfüllte, ſo
war der herüberſchauende Thurm von Riedberg daran
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[230/0240] zichtet ſein im Augenblicke da ſich des Ruhmes glänzende Staffeln hart vor ſeinen Augen erhoben? Auch war Lucretia heute ſo weich, und als ſie ihm den kleinen Silberbecher in die Hand drückte, hatte ihn aus ihren vertrauensvollen braunen Augen das Mägdlein angeſchaut, das ihn einſt beim Kinderſpiele zu ſeinem Beſchützer und Hüter erkoren! . . . So bezwang er mit ſtarkem Willen ſeine Leiden¬ ſchaft, legte ihr Haupt ſanft an ſeine Bruſt, drückte noch einen leiſen Kuß auf ihre Stirn und ſagte, wie er vor vielen Jahren zu dem weinenden Mägdlein zu ſagen Pflegte, wenn ſie ſich einmal entzweit hatten: „Sei gut und ſtille, Kind! Der Friede iſt ge¬ ſchloſſen.“ — Lucretia hatte damit Ernſt gemacht. Ruhe war über ihr Gemüth gekommen mit dem Gefühle, daß die Höhe des Lebens überſtiegen und die Erinnerung ihr größter Beſitz ſei. Nun wohnte ſie ſeit Monaten in den Kloſtermauern von Cazis. Das Wort des frommen Herzogs, daß es ſicherer ſei, Frevel durch Opfer der Liebe zu ſühnen als durch neue Gewaltthat, begann in ihrer geſtillten Seele Wurzel zu ſchlagen. — Wenn ſie den Wunſch der Frauen von Cazis nicht erfüllte, ſo war der herüberſchauende Thurm von Riedberg daran ſchuld, der ſie an ihre freien Kindertage erinnerte und

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/240>, abgerufen am 23.11.2024.