Sprachweisen aller bündnerischen Thäler am Fuße des Heinzenbergs versammelt hatte. Manche waren auch gekommen, um den guten Herzog zu sehen, der, wie die Sage ging, gestern in einer Sänfte die Paßhöhe überwunden und im Dorfe Splügen genächtigt hatte. Diesen Abend wurde er in Thusis erwartet, wo ihm in einem etwas abseits liegenden Herrenhause ein ruhiges Nachtquartier bereitet war. Einige Splügner hatten ihn gestern in ihrem Dorfe von Angesicht geschaut und beschrieben den edeln Herrn als auffallend gealtert, blaß und abgezehrt; seine Haare seien völlig gebleicht.
Auch kühne, kriegerische Gestalten schritten in der Menge. Die Obersten der bündnerischen Regimenter waren gekommen, den Herzog zu empfangen. Hatten sie über ihrem stürmischen Verlangen ihn wiederzusehen, die kriegerische Disciplin außer Acht gesetzt, welche sie an der österreichischen Grenze festhielt? Auch ihre Truppen waren sonderbarer Weise zur Begrüßung des Herzogs auf seinem Wege von Thusis nach Chur in gleichmäßigen Entfernungen aufgestellt. Warum hatten die Obersten sie aus ihren Stellungen an der Grenze ins Innere des Landes zurückgezogen?
Wild und laut ging es diesen Abend in der ehr¬ baren Herberge zum schwarzen Adler zu. Das behäbige Haus schenkte sein Getränk, den dunkeln, mit seiner
Sprachweiſen aller bündneriſchen Thäler am Fuße des Heinzenbergs verſammelt hatte. Manche waren auch gekommen, um den guten Herzog zu ſehen, der, wie die Sage ging, geſtern in einer Sänfte die Paßhöhe überwunden und im Dorfe Splügen genächtigt hatte. Dieſen Abend wurde er in Thuſis erwartet, wo ihm in einem etwas abſeits liegenden Herrenhauſe ein ruhiges Nachtquartier bereitet war. Einige Splügner hatten ihn geſtern in ihrem Dorfe von Angeſicht geſchaut und beſchrieben den edeln Herrn als auffallend gealtert, blaß und abgezehrt; ſeine Haare ſeien völlig gebleicht.
Auch kühne, kriegeriſche Geſtalten ſchritten in der Menge. Die Oberſten der bündneriſchen Regimenter waren gekommen, den Herzog zu empfangen. Hatten ſie über ihrem ſtürmiſchen Verlangen ihn wiederzuſehen, die kriegeriſche Disciplin außer Acht geſetzt, welche ſie an der öſterreichiſchen Grenze feſthielt? Auch ihre Truppen waren ſonderbarer Weiſe zur Begrüßung des Herzogs auf ſeinem Wege von Thuſis nach Chur in gleichmäßigen Entfernungen aufgeſtellt. Warum hatten die Oberſten ſie aus ihren Stellungen an der Grenze ins Innere des Landes zurückgezogen?
Wild und laut ging es dieſen Abend in der ehr¬ baren Herberge zum ſchwarzen Adler zu. Das behäbige Haus ſchenkte ſein Getränk, den dunkeln, mit ſeiner
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Sprachweiſen aller bündneriſchen Thäler am Fuße des
Heinzenbergs verſammelt hatte. Manche waren auch
gekommen, um den guten Herzog zu ſehen, der, wie
die Sage ging, geſtern in einer Sänfte die Paßhöhe
überwunden und im Dorfe Splügen genächtigt hatte.
Dieſen Abend wurde er in Thuſis erwartet, wo ihm in
einem etwas abſeits liegenden Herrenhauſe ein ruhiges
Nachtquartier bereitet war. Einige Splügner hatten
ihn geſtern in ihrem Dorfe von Angeſicht geſchaut und
beſchrieben den edeln Herrn als auffallend gealtert, blaß
und abgezehrt; ſeine Haare ſeien völlig gebleicht.
Auch kühne, kriegeriſche Geſtalten ſchritten in der
Menge. Die Oberſten der bündneriſchen Regimenter
waren gekommen, den Herzog zu empfangen. Hatten
ſie über ihrem ſtürmiſchen Verlangen ihn wiederzuſehen,
die kriegeriſche Disciplin außer Acht geſetzt, welche ſie
an der öſterreichiſchen Grenze feſthielt? Auch ihre
Truppen waren ſonderbarer Weiſe zur Begrüßung des
Herzogs auf ſeinem Wege von Thuſis nach Chur in
gleichmäßigen Entfernungen aufgeſtellt. Warum hatten
die Oberſten ſie aus ihren Stellungen an der Grenze
ins Innere des Landes zurückgezogen?
Wild und laut ging es dieſen Abend in der ehr¬
baren Herberge zum ſchwarzen Adler zu. Das behäbige
Haus ſchenkte ſein Getränk, den dunkeln, mit ſeiner
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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