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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Herbe das Blut nur langsam wärmenden Veltliner
und den gefährlichern hellen Traubensaft der vier wein¬
berühmten Dörfer am Rhein, nach Landessitte in zwei
verschiedenen Stuben aus, die rechts und links von
dem gepflasterten Flur sich gegenüberlagen. Der eine
Raum, die eigentliche Schenke mit den rohen Bänken
und Tischen aus Tannenholz war von lärmenden Markt¬
leuten, Viehhändlern, Sennen und Jägern dermaßen
überfüllt, daß es schwer wurde, sein eigenes Wort zu
verstehen. Die jugendliche Schenkin, eine ruhige, dunkel¬
haarige Prätigauerin, hatte mehr zu thun, als ihr lieb
war um die bauchigen Steinkrüge wieder und wieder
zu füllen und warf, von allen Seiten gerufen und
festgehalten, immer trotziger den Kopf zurück, zog
immer finsterer die Brauen zusammen. In der Herren¬
stube gegenüber ließen sich die vornehmen Kriegsleute
nicht weniger laut vernehmen und setzten dem Becher
noch schärfer zu.

Zwischen beiden Räumen schritt, das Chaos über¬
blickend, der feste Wirth, Ammann Müller, in uner¬
schütterlicher gelassener Gutmüthigkeit hin und her.
Eben füllte seine breite viereckige Gestalt wieder die
Thür der Schenke. Hier wurde gerade Politik getrieben,
natürlich wie es der gemeine Mann zu thun pflegt, nur
von dem Standpunkte persönlicher Bedrängniß aus.

Herbe das Blut nur langſam wärmenden Veltliner
und den gefährlichern hellen Traubenſaft der vier wein¬
berühmten Dörfer am Rhein, nach Landesſitte in zwei
verſchiedenen Stuben aus, die rechts und links von
dem gepflaſterten Flur ſich gegenüberlagen. Der eine
Raum, die eigentliche Schenke mit den rohen Bänken
und Tiſchen aus Tannenholz war von lärmenden Markt¬
leuten, Viehhändlern, Sennen und Jägern dermaßen
überfüllt, daß es ſchwer wurde, ſein eigenes Wort zu
verſtehen. Die jugendliche Schenkin, eine ruhige, dunkel¬
haarige Prätigauerin, hatte mehr zu thun, als ihr lieb
war um die bauchigen Steinkrüge wieder und wieder
zu füllen und warf, von allen Seiten gerufen und
feſtgehalten, immer trotziger den Kopf zurück, zog
immer finſterer die Brauen zuſammen. In der Herren¬
ſtube gegenüber ließen ſich die vornehmen Kriegsleute
nicht weniger laut vernehmen und ſetzten dem Becher
noch ſchärfer zu.

Zwiſchen beiden Räumen ſchritt, das Chaos über¬
blickend, der feſte Wirth, Ammann Müller, in uner¬
ſchütterlicher gelaſſener Gutmüthigkeit hin und her.
Eben füllte ſeine breite viereckige Geſtalt wieder die
Thür der Schenke. Hier wurde gerade Politik getrieben,
natürlich wie es der gemeine Mann zu thun pflegt, nur
von dem Standpunkte perſönlicher Bedrängniß aus.

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[245/0255] Herbe das Blut nur langſam wärmenden Veltliner und den gefährlichern hellen Traubenſaft der vier wein¬ berühmten Dörfer am Rhein, nach Landesſitte in zwei verſchiedenen Stuben aus, die rechts und links von dem gepflaſterten Flur ſich gegenüberlagen. Der eine Raum, die eigentliche Schenke mit den rohen Bänken und Tiſchen aus Tannenholz war von lärmenden Markt¬ leuten, Viehhändlern, Sennen und Jägern dermaßen überfüllt, daß es ſchwer wurde, ſein eigenes Wort zu verſtehen. Die jugendliche Schenkin, eine ruhige, dunkel¬ haarige Prätigauerin, hatte mehr zu thun, als ihr lieb war um die bauchigen Steinkrüge wieder und wieder zu füllen und warf, von allen Seiten gerufen und feſtgehalten, immer trotziger den Kopf zurück, zog immer finſterer die Brauen zuſammen. In der Herren¬ ſtube gegenüber ließen ſich die vornehmen Kriegsleute nicht weniger laut vernehmen und ſetzten dem Becher noch ſchärfer zu. Zwiſchen beiden Räumen ſchritt, das Chaos über¬ blickend, der feſte Wirth, Ammann Müller, in uner¬ ſchütterlicher gelaſſener Gutmüthigkeit hin und her. Eben füllte ſeine breite viereckige Geſtalt wieder die Thür der Schenke. Hier wurde gerade Politik getrieben, natürlich wie es der gemeine Mann zu thun pflegt, nur von dem Standpunkte perſönlicher Bedrängniß aus.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/255>, abgerufen am 22.11.2024.