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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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recht! Versichert Eure Bündner, daß der Vertrag von
Chiavenna, wenn auch heute noch nicht verkündet, doch
in Bälde in Kraft treten muß, und Ihr werdet bei
der Wahrheit bleiben, denn mit Gottes Hilfe überwin¬
den wir die Widerwärtigen. -- Heute Nacht noch zieh'
ich weiter nach Chur. Bringt mir dorthin bald über
die Stimmung des Landes Bericht."

Jenatsch bückte sich tief über die Hand des Her¬
zogs, und suchte dann noch einmal sein Auge mit einem
Ausdrucke sprachlosen Schmerzes. Rohan sah in diesem
langen seltsamen Blicke die Theilnahme eines Getreuen
an seinem ausnahmsweise herben Loose, er ahnte nicht,
welche Wandlung sich im Geiste des Bündners zu dieser
Stunde vollzog und daß Georg Jenatsch nach innerm
schweren Kampfe sich von ihm lossagte.

"Ihr thut wohl, edler Herr," sagte der Oberst
sich beurlaubend, "in der guten Stadt Chur Euern Sitz
zu nehmen. Ihr seid dort hochgeliebt, und solange die
Churer Euer Angesicht sehen, und Ihr es seid, o Herr,
der den König in Bünden vertritt, wird das Land nicht
aufhören von Frankreich das Beste zu hoffen."

Der Herzog sah dem Scheidenden sorgenvoll nach,
ohne Mißtrauen, aber im Gefühle, daß wie er selber
eine Zuversicht an den Tag gelegt, die nicht in seinem
müden Herzen war, auch der Bündner die Stürme

recht! Verſichert Eure Bündner, daß der Vertrag von
Chiavenna, wenn auch heute noch nicht verkündet, doch
in Bälde in Kraft treten muß, und Ihr werdet bei
der Wahrheit bleiben, denn mit Gottes Hilfe überwin¬
den wir die Widerwärtigen. — Heute Nacht noch zieh'
ich weiter nach Chur. Bringt mir dorthin bald über
die Stimmung des Landes Bericht.“

Jenatſch bückte ſich tief über die Hand des Her¬
zogs, und ſuchte dann noch einmal ſein Auge mit einem
Ausdrucke ſprachloſen Schmerzes. Rohan ſah in dieſem
langen ſeltſamen Blicke die Theilnahme eines Getreuen
an ſeinem ausnahmsweiſe herben Looſe, er ahnte nicht,
welche Wandlung ſich im Geiſte des Bündners zu dieſer
Stunde vollzog und daß Georg Jenatſch nach innerm
ſchweren Kampfe ſich von ihm losſagte.

„Ihr thut wohl, edler Herr,“ ſagte der Oberſt
ſich beurlaubend, „in der guten Stadt Chur Euern Sitz
zu nehmen. Ihr ſeid dort hochgeliebt, und ſolange die
Churer Euer Angeſicht ſehen, und Ihr es ſeid, o Herr,
der den König in Bünden vertritt, wird das Land nicht
aufhören von Frankreich das Beſte zu hoffen.“

Der Herzog ſah dem Scheidenden ſorgenvoll nach,
ohne Mißtrauen, aber im Gefühle, daß wie er ſelber
eine Zuverſicht an den Tag gelegt, die nicht in ſeinem
müden Herzen war, auch der Bündner die Stürme

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[266/0276] recht! Verſichert Eure Bündner, daß der Vertrag von Chiavenna, wenn auch heute noch nicht verkündet, doch in Bälde in Kraft treten muß, und Ihr werdet bei der Wahrheit bleiben, denn mit Gottes Hilfe überwin¬ den wir die Widerwärtigen. — Heute Nacht noch zieh' ich weiter nach Chur. Bringt mir dorthin bald über die Stimmung des Landes Bericht.“ Jenatſch bückte ſich tief über die Hand des Her¬ zogs, und ſuchte dann noch einmal ſein Auge mit einem Ausdrucke ſprachloſen Schmerzes. Rohan ſah in dieſem langen ſeltſamen Blicke die Theilnahme eines Getreuen an ſeinem ausnahmsweiſe herben Looſe, er ahnte nicht, welche Wandlung ſich im Geiſte des Bündners zu dieſer Stunde vollzog und daß Georg Jenatſch nach innerm ſchweren Kampfe ſich von ihm losſagte. „Ihr thut wohl, edler Herr,“ ſagte der Oberſt ſich beurlaubend, „in der guten Stadt Chur Euern Sitz zu nehmen. Ihr ſeid dort hochgeliebt, und ſolange die Churer Euer Angeſicht ſehen, und Ihr es ſeid, o Herr, der den König in Bünden vertritt, wird das Land nicht aufhören von Frankreich das Beſte zu hoffen.“ Der Herzog ſah dem Scheidenden ſorgenvoll nach, ohne Mißtrauen, aber im Gefühle, daß wie er ſelber eine Zuverſicht an den Tag gelegt, die nicht in ſeinem müden Herzen war, auch der Bündner die Stürme

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/276>, abgerufen am 21.11.2024.