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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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einem traurigen Lächeln darauf antwortete, fuhr die
fromme Schwester mit steigendem Eifer fort: "Bleibet,
liebe Tochter, nicht kalt und ungläubig vor der glück¬
seligen Aussicht auf die mögliche Bekehrung eines so
gewaltigen Sünders! Betet lieber, daß dies Unerhörte
geschehe! Denn Euer Gebet, Fräulein Lucretia, die
Ihr den blutigen Mann nach dem natürlichen Men¬
schen hassen und verabscheuen müßt, wäre allerdings
bei den Heiligen besonders wirksam und ihnen als ein
schmerzliches Opfer vorzüglich angenehm. Noch kräftiger
wäre es freilich, wenn Ihr dieses Gebet als verlobte
Braut Gottes mit einem durch das dreifache Gelübde
von allen weltlichen Erinnerungen gelösten Herzen dar¬
bringen könntet."

Schwester Perpetua sagte dies mit einem tiefen
Seufzer und machte sich in Erwartung einer Antwort,
die ausblieb, mit dem Feuer zu schaffen. Ach, ihr war
nicht entgangen, daß der klösterliche Beruf Lucretia's,
an den sie unentwegt glaubte, dieser noch immer nicht
klar geworden, ja seit die Verwaiste in ihr väterliches
Haus eingezogen, ihr wieder mehr in die Ferne gerückt
war. Sie stand allein unter dem in diesen kriegerischen
Zeitläuften verwilderten Schloßgesinde und den verarmten
über die französische Bedrückung tägliche Klagen vor
ihr Ohr bringenden Dorfleuten. Und diese Einsamkeit

einem traurigen Lächeln darauf antwortete, fuhr die
fromme Schweſter mit ſteigendem Eifer fort: „Bleibet,
liebe Tochter, nicht kalt und ungläubig vor der glück¬
ſeligen Ausſicht auf die mögliche Bekehrung eines ſo
gewaltigen Sünders! Betet lieber, daß dies Unerhörte
geſchehe! Denn Euer Gebet, Fräulein Lucretia, die
Ihr den blutigen Mann nach dem natürlichen Men¬
ſchen haſſen und verabſcheuen müßt, wäre allerdings
bei den Heiligen beſonders wirkſam und ihnen als ein
ſchmerzliches Opfer vorzüglich angenehm. Noch kräftiger
wäre es freilich, wenn Ihr dieſes Gebet als verlobte
Braut Gottes mit einem durch das dreifache Gelübde
von allen weltlichen Erinnerungen gelöſten Herzen dar¬
bringen könntet.“

Schweſter Perpetua ſagte dies mit einem tiefen
Seufzer und machte ſich in Erwartung einer Antwort,
die ausblieb, mit dem Feuer zu ſchaffen. Ach, ihr war
nicht entgangen, daß der klöſterliche Beruf Lucretia's,
an den ſie unentwegt glaubte, dieſer noch immer nicht
klar geworden, ja ſeit die Verwaiſte in ihr väterliches
Haus eingezogen, ihr wieder mehr in die Ferne gerückt
war. Sie ſtand allein unter dem in dieſen kriegeriſchen
Zeitläuften verwilderten Schloßgeſinde und den verarmten
über die franzöſiſche Bedrückung tägliche Klagen vor
ihr Ohr bringenden Dorfleuten. Und dieſe Einſamkeit

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[282/0292] einem traurigen Lächeln darauf antwortete, fuhr die fromme Schweſter mit ſteigendem Eifer fort: „Bleibet, liebe Tochter, nicht kalt und ungläubig vor der glück¬ ſeligen Ausſicht auf die mögliche Bekehrung eines ſo gewaltigen Sünders! Betet lieber, daß dies Unerhörte geſchehe! Denn Euer Gebet, Fräulein Lucretia, die Ihr den blutigen Mann nach dem natürlichen Men¬ ſchen haſſen und verabſcheuen müßt, wäre allerdings bei den Heiligen beſonders wirkſam und ihnen als ein ſchmerzliches Opfer vorzüglich angenehm. Noch kräftiger wäre es freilich, wenn Ihr dieſes Gebet als verlobte Braut Gottes mit einem durch das dreifache Gelübde von allen weltlichen Erinnerungen gelöſten Herzen dar¬ bringen könntet.“ Schweſter Perpetua ſagte dies mit einem tiefen Seufzer und machte ſich in Erwartung einer Antwort, die ausblieb, mit dem Feuer zu ſchaffen. Ach, ihr war nicht entgangen, daß der klöſterliche Beruf Lucretia's, an den ſie unentwegt glaubte, dieſer noch immer nicht klar geworden, ja ſeit die Verwaiſte in ihr väterliches Haus eingezogen, ihr wieder mehr in die Ferne gerückt war. Sie ſtand allein unter dem in dieſen kriegeriſchen Zeitläuften verwilderten Schloßgeſinde und den verarmten über die franzöſiſche Bedrückung tägliche Klagen vor ihr Ohr bringenden Dorfleuten. Und dieſe Einſamkeit

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/292>, abgerufen am 22.11.2024.