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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Rettung. Richelieu verräth uns und der gute Herzog
ist sein Spielzeug -- ein schönes Scheinbild, womit
der Gewissenlose uns täuscht und blendet. -- Aber wer
knüpft das rettende Tau? -- Ich selbst kann hier nicht
fort, weil ich unser Volk zum Bewußtsein der über ihm
schwebenden Gefahr aufwecken und den Herzog, den ich
als Pfand behalte, mit Beweisen meiner Ergebenheit
einschläfern muß . . . . . . Ihr staunt, daß ich, Spaniens
Feind, zu diesem Gifte greife! . . . . . Wundert Euch

nicht. Wenn ich nicht meine Vergangenheit zerstöre und
mein altes Ich von mir werfe, so kann ich nicht meines
Landes Erlöser sein und Bünden ist verloren. Ser¬
belloni erwartet mich selbst, oder Einen, dem ich traue,
wie mir selber, -- wenn ich, sagt er, einen solchen
kenne. -- Ich traue nur Euch."

Lucretia richtete den Blick mit zweifelnder Frage
auf das von der Flamme beleuchtete, altbekannte Antlitz
und las darin die höchste Spannung der Thatkraft und
einen tödtlichen Ernst.

"Ihr wißt, Jenatsch," sagte sie, "welcher Partei
mein Vater angehörte, wie und warum er starb. Ihr
wißt, wie ich ihm glaubte und ihn liebte. Ich konnte
mich nie mit Gedanken befreunden, die nicht die seinigen
waren. So ist das französische Wesen -- trotz der
väterlichen Güte des Herzogs gegen mich Heimatlose

Meyer, Georg Jenatsch. 19

Rettung. Richelieu verräth uns und der gute Herzog
iſt ſein Spielzeug — ein ſchönes Scheinbild, womit
der Gewiſſenloſe uns täuſcht und blendet. — Aber wer
knüpft das rettende Tau? — Ich ſelbſt kann hier nicht
fort, weil ich unſer Volk zum Bewußtſein der über ihm
ſchwebenden Gefahr aufwecken und den Herzog, den ich
als Pfand behalte, mit Beweiſen meiner Ergebenheit
einſchläfern muß . . . . . . Ihr ſtaunt, daß ich, Spaniens
Feind, zu dieſem Gifte greife! . . . . . Wundert Euch

nicht. Wenn ich nicht meine Vergangenheit zerſtöre und
mein altes Ich von mir werfe, ſo kann ich nicht meines
Landes Erlöſer ſein und Bünden iſt verloren. Ser¬
belloni erwartet mich ſelbſt, oder Einen, dem ich traue,
wie mir ſelber, — wenn ich, ſagt er, einen ſolchen
kenne. — Ich traue nur Euch.“

Lucretia richtete den Blick mit zweifelnder Frage
auf das von der Flamme beleuchtete, altbekannte Antlitz
und las darin die höchſte Spannung der Thatkraft und
einen tödtlichen Ernſt.

„Ihr wißt, Jenatſch,“ ſagte ſie, „welcher Partei
mein Vater angehörte, wie und warum er ſtarb. Ihr
wißt, wie ich ihm glaubte und ihn liebte. Ich konnte
mich nie mit Gedanken befreunden, die nicht die ſeinigen
waren. So iſt das franzöſiſche Weſen — trotz der
väterlichen Güte des Herzogs gegen mich Heimatloſe

Meyer, Georg Jenatſch. 19
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[289/0299] Rettung. Richelieu verräth uns und der gute Herzog iſt ſein Spielzeug — ein ſchönes Scheinbild, womit der Gewiſſenloſe uns täuſcht und blendet. — Aber wer knüpft das rettende Tau? — Ich ſelbſt kann hier nicht fort, weil ich unſer Volk zum Bewußtſein der über ihm ſchwebenden Gefahr aufwecken und den Herzog, den ich als Pfand behalte, mit Beweiſen meiner Ergebenheit einſchläfern muß . . . . . . Ihr ſtaunt, daß ich, Spaniens Feind, zu dieſem Gifte greife! . . . . . Wundert Euch nicht. Wenn ich nicht meine Vergangenheit zerſtöre und mein altes Ich von mir werfe, ſo kann ich nicht meines Landes Erlöſer ſein und Bünden iſt verloren. Ser¬ belloni erwartet mich ſelbſt, oder Einen, dem ich traue, wie mir ſelber, — wenn ich, ſagt er, einen ſolchen kenne. — Ich traue nur Euch.“ Lucretia richtete den Blick mit zweifelnder Frage auf das von der Flamme beleuchtete, altbekannte Antlitz und las darin die höchſte Spannung der Thatkraft und einen tödtlichen Ernſt. „Ihr wißt, Jenatſch,“ ſagte ſie, „welcher Partei mein Vater angehörte, wie und warum er ſtarb. Ihr wißt, wie ich ihm glaubte und ihn liebte. Ich konnte mich nie mit Gedanken befreunden, die nicht die ſeinigen waren. So iſt das franzöſiſche Weſen — trotz der väterlichen Güte des Herzogs gegen mich Heimatloſe Meyer, Georg Jenatſch. 19

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/299>, abgerufen am 21.11.2024.