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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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eines seine unerhörte Kühnheit mißbilligenden Blickes,
den ihm sein Ohm zuwarf, das Becherlein mit duften¬
dem Neftenbacher aus dem geblümten Deckelkruge.

Jürg Jenatsch ergriff den Becher und suchte mit
den Augen Lucretia. Sie hatte dem Vorgange mit
brennender Aufmerksamkeit gefolgt. Jetzt machte sie sich
von der Magisterin los und stellte sich ernsthaft zu der
Gruppe. Jürg kostete den Wein und reichte ihn mit
dem Spruche: "Auf Dein Wohl, Lucretia, und auf das
Deines Vaters!" dem schweigenden Kinde, das langsam
von dem Tranke schlürfte, als beginge es eine feier¬
liche Handlung. Dann gab es den Becher seinem
Vater und dieser leerte ihn aus Verdruß mit einem
Zuge.

"Mag es denn sein, Du thörichter Junge!" sagte
Planta, "aber jetzt mach' daß Du fort kommst. Auch
wir werden bald aufbrechen."

Jenatsch schied und Lucretia wurde von der Ma¬
gisterin zu den Stachelbeersträuchern in den kleinen
Hausgarten geführt, um sich, wie die kinderfreundliche
Frau sagte, ihren Nachtisch selbst zu holen. Während
die Herren, diesmal in italienischer Sprache sich unter¬
haltend, noch einmal zum Becher griffen, setzte sich
Waser still in eine Fensternische mit einem Orbis pictus,

eines ſeine unerhörte Kühnheit mißbilligenden Blickes,
den ihm ſein Ohm zuwarf, das Becherlein mit duften¬
dem Neftenbacher aus dem geblümten Deckelkruge.

Jürg Jenatſch ergriff den Becher und ſuchte mit
den Augen Lucretia. Sie hatte dem Vorgange mit
brennender Aufmerkſamkeit gefolgt. Jetzt machte ſie ſich
von der Magiſterin los und ſtellte ſich ernſthaft zu der
Gruppe. Jürg koſtete den Wein und reichte ihn mit
dem Spruche: „Auf Dein Wohl, Lucretia, und auf das
Deines Vaters!“ dem ſchweigenden Kinde, das langſam
von dem Tranke ſchlürfte, als beginge es eine feier¬
liche Handlung. Dann gab es den Becher ſeinem
Vater und dieſer leerte ihn aus Verdruß mit einem
Zuge.

„Mag es denn ſein, Du thörichter Junge!“ ſagte
Planta, „aber jetzt mach' daß Du fort kommſt. Auch
wir werden bald aufbrechen.“

Jenatſch ſchied und Lucretia wurde von der Ma¬
giſterin zu den Stachelbeerſträuchern in den kleinen
Hausgarten geführt, um ſich, wie die kinderfreundliche
Frau ſagte, ihren Nachtiſch ſelbſt zu holen. Während
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[22/0032] eines ſeine unerhörte Kühnheit mißbilligenden Blickes, den ihm ſein Ohm zuwarf, das Becherlein mit duften¬ dem Neftenbacher aus dem geblümten Deckelkruge. Jürg Jenatſch ergriff den Becher und ſuchte mit den Augen Lucretia. Sie hatte dem Vorgange mit brennender Aufmerkſamkeit gefolgt. Jetzt machte ſie ſich von der Magiſterin los und ſtellte ſich ernſthaft zu der Gruppe. Jürg koſtete den Wein und reichte ihn mit dem Spruche: „Auf Dein Wohl, Lucretia, und auf das Deines Vaters!“ dem ſchweigenden Kinde, das langſam von dem Tranke ſchlürfte, als beginge es eine feier¬ liche Handlung. Dann gab es den Becher ſeinem Vater und dieſer leerte ihn aus Verdruß mit einem Zuge. „Mag es denn ſein, Du thörichter Junge!“ ſagte Planta, „aber jetzt mach' daß Du fort kommſt. Auch wir werden bald aufbrechen.“ Jenatſch ſchied und Lucretia wurde von der Ma¬ giſterin zu den Stachelbeerſträuchern in den kleinen Hausgarten geführt, um ſich, wie die kinderfreundliche Frau ſagte, ihren Nachtiſch ſelbſt zu holen. Während die Herren, diesmal in italieniſcher Sprache ſich unter¬ haltend, noch einmal zum Becher griffen, ſetzte ſich Waſer ſtill in eine Fenſterniſche mit einem Orbis pictus,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/32>, abgerufen am 21.11.2024.