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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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"Um Gott," rief Priolo, "haltet mich nicht auf,
Herr Doctor. Vielleicht ist es noch Zeit. Ich muß
zum Herzog -- der Vertrag von Chiavenna ist unter¬
schrieben -- Alles und mehr gewährt! Nur schließt
keinen Bund mit Spanien!" Und er durcheilte das
Vorgemach.

Als ihn Jenatsch, der im Gespräche mit dem
Bürgermeister stand, mit verstörtem Gesichte vorüber¬
hasten sah, sagte er zu diesem mit bitterm Lächeln:
"Der Cardinal glaubte sich des Schicksals bemächtigt
zu haben, doch diesmal hat es ihn gefoppt."

Meyer antwortete nicht, aber er umfaßte die
Schicksalsrolle mit gefalteten Händen.

Eine Stunde später war es in den äußern Ge¬
mächern des Herzogs still und einsam geworden. Je¬
natsch allein schritt im Vorzimmer auf und nieder, die
aus dem Geschehenen hervorbrechende Zukunft erwägend.
Was ihn beunruhigte, war das Loos seines Gefangenen,
und er verweilte hier in der Hoffnung, das unlängst
ihm so freundliche Antlitz noch einmal zu sehen. Daß
Herzog Heinrich ein Sklave seines gegebenen Wortes
sein werde, daran zweifelte der Verräther keinen Augen¬
blick; aber es war eben so gewiß, daß der Kardinal
einen Haß werfen würde auf Rohan, das Werkzeug,

„Um Gott,“ rief Priolo, „haltet mich nicht auf,
Herr Doctor. Vielleicht iſt es noch Zeit. Ich muß
zum Herzog — der Vertrag von Chiavenna iſt unter¬
ſchrieben — Alles und mehr gewährt! Nur ſchließt
keinen Bund mit Spanien!“ Und er durcheilte das
Vorgemach.

Als ihn Jenatſch, der im Geſpräche mit dem
Bürgermeiſter ſtand, mit verſtörtem Geſichte vorüber¬
haſten ſah, ſagte er zu dieſem mit bitterm Lächeln:
„Der Cardinal glaubte ſich des Schickſals bemächtigt
zu haben, doch diesmal hat es ihn gefoppt.“

Meyer antwortete nicht, aber er umfaßte die
Schickſalsrolle mit gefalteten Händen.

Eine Stunde ſpäter war es in den äußern Ge¬
mächern des Herzogs ſtill und einſam geworden. Je¬
natſch allein ſchritt im Vorzimmer auf und nieder, die
aus dem Geſchehenen hervorbrechende Zukunft erwägend.
Was ihn beunruhigte, war das Loos ſeines Gefangenen,
und er verweilte hier in der Hoffnung, das unlängſt
ihm ſo freundliche Antlitz noch einmal zu ſehen. Daß
Herzog Heinrich ein Sklave ſeines gegebenen Wortes
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blick; aber es war eben ſo gewiß, daß der Kardinal
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[322/0332] „Um Gott,“ rief Priolo, „haltet mich nicht auf, Herr Doctor. Vielleicht iſt es noch Zeit. Ich muß zum Herzog — der Vertrag von Chiavenna iſt unter¬ ſchrieben — Alles und mehr gewährt! Nur ſchließt keinen Bund mit Spanien!“ Und er durcheilte das Vorgemach. Als ihn Jenatſch, der im Geſpräche mit dem Bürgermeiſter ſtand, mit verſtörtem Geſichte vorüber¬ haſten ſah, ſagte er zu dieſem mit bitterm Lächeln: „Der Cardinal glaubte ſich des Schickſals bemächtigt zu haben, doch diesmal hat es ihn gefoppt.“ Meyer antwortete nicht, aber er umfaßte die Schickſalsrolle mit gefalteten Händen. Eine Stunde ſpäter war es in den äußern Ge¬ mächern des Herzogs ſtill und einſam geworden. Je¬ natſch allein ſchritt im Vorzimmer auf und nieder, die aus dem Geſchehenen hervorbrechende Zukunft erwägend. Was ihn beunruhigte, war das Loos ſeines Gefangenen, und er verweilte hier in der Hoffnung, das unlängſt ihm ſo freundliche Antlitz noch einmal zu ſehen. Daß Herzog Heinrich ein Sklave ſeines gegebenen Wortes ſein werde, daran zweifelte der Verräther keinen Augen¬ blick; aber es war eben ſo gewiß, daß der Kardinal einen Haß werfen würde auf Rohan, das Werkzeug,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/332>, abgerufen am 22.11.2024.