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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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und er ahnte nicht, daß dabei eine steigende Verachtung
der niedern Schliche und geheimen Mittel der Politik
sich Lucretias bemächtigte.

Auch Georg Jenatsch erschien ihr in einem an¬
dern Lichte; ihr Vertrauen auf seine reine Vaterlands¬
liebe wurde von dem allgemeinen Ekel, den sie empfand,
angefressen und ihr Glaube an die Einheit seines
Wesens erschüttert, ohne daß sie augenblicklich sich ganz
bewußt wurde, wie durch diese Zweifel ihr Verhältniß
zu ihm sich innerlich trübe.

Was sie aufrecht hielt, war ihre Treue an sich
selbst. Sie hatte versprochen, von den ihr übergebenen
fünf Bedingungen in keiner Weise abzuweichen und
sich keinen Punkt davon abmarkten zu lassen. Dabei
blieb sie unerschütterlich. Das Andenken ihres Vaters
verließ sie niemals. Sie stärkte sich in Momenten der
Erschöpfung an seinem geistigen Anblicke und je aus¬
schließender sie in der Erinnerung mit ihm verkehrte,
desto lebendiger ward sie sich bewußt, daß sie in seinem
Geiste handle, wenn sie zum Abschlusse des von Jenatsch
entworfenen Vertrages mitwirke.

Nachdem sie als williges und treues Werkzeug
ihre Aufgabe erfüllt und mit den von Spanien ge¬
währten und unterzeichneten Bedingungen das Gebirge
wieder überschritten hatte, kehrte sie in die Stille von

Meyer, Georg Jenatsch. 23

und er ahnte nicht, daß dabei eine ſteigende Verachtung
der niedern Schliche und geheimen Mittel der Politik
ſich Lucretias bemächtigte.

Auch Georg Jenatſch erſchien ihr in einem an¬
dern Lichte; ihr Vertrauen auf ſeine reine Vaterlands¬
liebe wurde von dem allgemeinen Ekel, den ſie empfand,
angefreſſen und ihr Glaube an die Einheit ſeines
Weſens erſchüttert, ohne daß ſie augenblicklich ſich ganz
bewußt wurde, wie durch dieſe Zweifel ihr Verhältniß
zu ihm ſich innerlich trübe.

Was ſie aufrecht hielt, war ihre Treue an ſich
ſelbſt. Sie hatte verſprochen, von den ihr übergebenen
fünf Bedingungen in keiner Weiſe abzuweichen und
ſich keinen Punkt davon abmarkten zu laſſen. Dabei
blieb ſie unerſchütterlich. Das Andenken ihres Vaters
verließ ſie niemals. Sie ſtärkte ſich in Momenten der
Erſchöpfung an ſeinem geiſtigen Anblicke und je aus¬
ſchließender ſie in der Erinnerung mit ihm verkehrte,
deſto lebendiger ward ſie ſich bewußt, daß ſie in ſeinem
Geiſte handle, wenn ſie zum Abſchluſſe des von Jenatſch
entworfenen Vertrages mitwirke.

Nachdem ſie als williges und treues Werkzeug
ihre Aufgabe erfüllt und mit den von Spanien ge¬
währten und unterzeichneten Bedingungen das Gebirge
wieder überſchritten hatte, kehrte ſie in die Stille von

Meyer, Georg Jenatſch. 23
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[353/0363] und er ahnte nicht, daß dabei eine ſteigende Verachtung der niedern Schliche und geheimen Mittel der Politik ſich Lucretias bemächtigte. Auch Georg Jenatſch erſchien ihr in einem an¬ dern Lichte; ihr Vertrauen auf ſeine reine Vaterlands¬ liebe wurde von dem allgemeinen Ekel, den ſie empfand, angefreſſen und ihr Glaube an die Einheit ſeines Weſens erſchüttert, ohne daß ſie augenblicklich ſich ganz bewußt wurde, wie durch dieſe Zweifel ihr Verhältniß zu ihm ſich innerlich trübe. Was ſie aufrecht hielt, war ihre Treue an ſich ſelbſt. Sie hatte verſprochen, von den ihr übergebenen fünf Bedingungen in keiner Weiſe abzuweichen und ſich keinen Punkt davon abmarkten zu laſſen. Dabei blieb ſie unerſchütterlich. Das Andenken ihres Vaters verließ ſie niemals. Sie ſtärkte ſich in Momenten der Erſchöpfung an ſeinem geiſtigen Anblicke und je aus¬ ſchließender ſie in der Erinnerung mit ihm verkehrte, deſto lebendiger ward ſie ſich bewußt, daß ſie in ſeinem Geiſte handle, wenn ſie zum Abſchluſſe des von Jenatſch entworfenen Vertrages mitwirke. Nachdem ſie als williges und treues Werkzeug ihre Aufgabe erfüllt und mit den von Spanien ge¬ währten und unterzeichneten Bedingungen das Gebirge wieder überſchritten hatte, kehrte ſie in die Stille von Meyer, Georg Jenatſch. 23

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/363>, abgerufen am 22.11.2024.