Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

peinlichen Eindrucks nicht erwehren. Das Zusammen¬
stürzen des Luzienthurmes erinnerte ihn an die dem
Veltlinermord vorhergehenden Tage seines Aufenthaltes
in Berbenn, an die damaligen Zeichen und Wunder
und an den blutigen Tod der schönen Lucia.

Der Sturm schien sich ausgetobt zu haben, aber
die Luft war feucht und schwer und dunkle Wolken
hingen tief herab. Die Gasse hatte sich mit geringem
Volke von zerzaustem und verstörtem Aussehen gefüllt.
Jetzt sprengte ein Reiter um die Ecke in juwelenglän¬
zender rother Tracht und wehendem Mantel, den Hut
mit den flatternden Federn fest in die Stirn gedrückt.
Es war Jürg Jenatsch, der seinen unruhigen Rappen
hart vor dem Sprecher'schen Hause bändigte und sich
nach seinem Ehrengeleit umsah, das, vom Sturme auf¬
gehalten, eine Straßenlänge hinter dem Voranjagenden
zurückgeblieben war.

Waser konnte seinen Blick von der Erscheinung
des Jugendfreundes nicht verwenden. Er hing wie
gebannt an dem starren Ausdrucke des metallbraunen
Angesichts. Auf den großen Zügen lag gleichgültiger
Trotz, der nach Himmel und Hölle, nach Tod und Ge¬
richt nichts mehr fragte. Das Auge blickte fremd über
den erreichten Triumph hinweg, -- welches unbekannte
Ziel ergreifend? . . . Und wieder tauchte dem Bürger¬

peinlichen Eindrucks nicht erwehren. Das Zuſammen¬
ſtürzen des Luzienthurmes erinnerte ihn an die dem
Veltlinermord vorhergehenden Tage ſeines Aufenthaltes
in Berbenn, an die damaligen Zeichen und Wunder
und an den blutigen Tod der ſchönen Lucia.

Der Sturm ſchien ſich ausgetobt zu haben, aber
die Luft war feucht und ſchwer und dunkle Wolken
hingen tief herab. Die Gaſſe hatte ſich mit geringem
Volke von zerzauſtem und verſtörtem Ausſehen gefüllt.
Jetzt ſprengte ein Reiter um die Ecke in juwelenglän¬
zender rother Tracht und wehendem Mantel, den Hut
mit den flatternden Federn feſt in die Stirn gedrückt.
Es war Jürg Jenatſch, der ſeinen unruhigen Rappen
hart vor dem Sprecher'ſchen Hauſe bändigte und ſich
nach ſeinem Ehrengeleit umſah, das, vom Sturme auf¬
gehalten, eine Straßenlänge hinter dem Voranjagenden
zurückgeblieben war.

Waſer konnte ſeinen Blick von der Erſcheinung
des Jugendfreundes nicht verwenden. Er hing wie
gebannt an dem ſtarren Ausdrucke des metallbraunen
Angeſichts. Auf den großen Zügen lag gleichgültiger
Trotz, der nach Himmel und Hölle, nach Tod und Ge¬
richt nichts mehr fragte. Das Auge blickte fremd über
den erreichten Triumph hinweg, — welches unbekannte
Ziel ergreifend? . . . Und wieder tauchte dem Bürger¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0391" n="381"/>
peinlichen Eindrucks nicht erwehren. Das Zu&#x017F;ammen¬<lb/>
&#x017F;türzen des Luzienthurmes erinnerte ihn an die dem<lb/>
Veltlinermord vorhergehenden Tage &#x017F;eines Aufenthaltes<lb/>
in Berbenn, an die damaligen Zeichen und Wunder<lb/>
und an den blutigen Tod der &#x017F;chönen Lucia.</p><lb/>
          <p>Der Sturm &#x017F;chien &#x017F;ich ausgetobt zu haben, aber<lb/>
die Luft war feucht und &#x017F;chwer und dunkle Wolken<lb/>
hingen tief herab. Die Ga&#x017F;&#x017F;e hatte &#x017F;ich mit geringem<lb/>
Volke von zerzau&#x017F;tem und ver&#x017F;törtem Aus&#x017F;ehen gefüllt.<lb/>
Jetzt &#x017F;prengte ein Reiter um die Ecke in juwelenglän¬<lb/>
zender rother Tracht und wehendem Mantel, den Hut<lb/>
mit den flatternden Federn fe&#x017F;t in die Stirn gedrückt.<lb/>
Es war Jürg Jenat&#x017F;ch, der &#x017F;einen unruhigen Rappen<lb/>
hart vor dem Sprecher'&#x017F;chen Hau&#x017F;e bändigte und &#x017F;ich<lb/>
nach &#x017F;einem Ehrengeleit um&#x017F;ah, das, vom Sturme auf¬<lb/>
gehalten, eine Straßenlänge hinter dem Voranjagenden<lb/>
zurückgeblieben war.</p><lb/>
          <p>Wa&#x017F;er konnte &#x017F;einen Blick von der Er&#x017F;cheinung<lb/>
des Jugendfreundes nicht verwenden. Er hing wie<lb/>
gebannt an dem &#x017F;tarren Ausdrucke des metallbraunen<lb/>
Ange&#x017F;ichts. Auf den großen Zügen lag gleichgültiger<lb/>
Trotz, der nach Himmel und Hölle, nach Tod und Ge¬<lb/>
richt nichts mehr fragte. Das Auge blickte fremd über<lb/>
den erreichten Triumph hinweg, &#x2014; welches unbekannte<lb/>
Ziel ergreifend? . . . Und wieder tauchte dem Bürger¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0391] peinlichen Eindrucks nicht erwehren. Das Zuſammen¬ ſtürzen des Luzienthurmes erinnerte ihn an die dem Veltlinermord vorhergehenden Tage ſeines Aufenthaltes in Berbenn, an die damaligen Zeichen und Wunder und an den blutigen Tod der ſchönen Lucia. Der Sturm ſchien ſich ausgetobt zu haben, aber die Luft war feucht und ſchwer und dunkle Wolken hingen tief herab. Die Gaſſe hatte ſich mit geringem Volke von zerzauſtem und verſtörtem Ausſehen gefüllt. Jetzt ſprengte ein Reiter um die Ecke in juwelenglän¬ zender rother Tracht und wehendem Mantel, den Hut mit den flatternden Federn feſt in die Stirn gedrückt. Es war Jürg Jenatſch, der ſeinen unruhigen Rappen hart vor dem Sprecher'ſchen Hauſe bändigte und ſich nach ſeinem Ehrengeleit umſah, das, vom Sturme auf¬ gehalten, eine Straßenlänge hinter dem Voranjagenden zurückgeblieben war. Waſer konnte ſeinen Blick von der Erſcheinung des Jugendfreundes nicht verwenden. Er hing wie gebannt an dem ſtarren Ausdrucke des metallbraunen Angeſichts. Auf den großen Zügen lag gleichgültiger Trotz, der nach Himmel und Hölle, nach Tod und Ge¬ richt nichts mehr fragte. Das Auge blickte fremd über den erreichten Triumph hinweg, — welches unbekannte Ziel ergreifend? . . . Und wieder tauchte dem Bürger¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/391
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/391>, abgerufen am 22.11.2024.