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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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mit unserm Jenatio verglichen, ein Ingenium zweiten
Ranges. Wenn mein Jürg mir nur nicht hoffärtig
wird! -- Ich will heut Abend die Maskenfreiheit be¬
nützen, um ihm sein erstes geringes Kleid, den Pfarrrock,
und die unterste Staffel seines Ruhms, die arme
Kanzel, in heilsame Erinnerung zu bringen. Gebt mir
auf den Spaß wohl Acht, ihr Herren! Ich schleiche als
Küster hinter ihm her und spreche ihn um den Lieder¬
vers zu seiner Predigt an, so wahr ich Lorenz Fausch
heiße."

Unterdessen hatten sich alle Lichter entzündet und
der Saal begann sich zu füllen. In den Nischen der
breiten Fenster flüsterten junge Damen und verzeichne¬
ten auf ihren Fächern die Tänze, welche sie den vor
ihnen stehenden Cavalieren versprochen. Allmälig er¬
schienen auch die Standespersonen, voran der Amtsbürger¬
meister Meyer mit seiner vornehm blickenden Gemahlin,
welche den runden Hals und die vollen Arme mit Perlen¬
schnüren umwunden, in einem golddurchwirkten Schlepp¬
kleide neben dem stattlichsten der Gatten einherschritt. Bald
nach ihnen betrat den Saal der Ritter Doctor Fortunatus
Sprecher, den Alles sich wunderte hier zu erblicken. Auch
war sein Antlitz trüb und unfestlich. Der allen rauschen¬
den Vergnügungen abholde Doctor hatte wohl sich heute

mit unſerm Jenatio verglichen, ein Ingenium zweiten
Ranges. Wenn mein Jürg mir nur nicht hoffärtig
wird! — Ich will heut Abend die Maskenfreiheit be¬
nützen, um ihm ſein erſtes geringes Kleid, den Pfarrrock,
und die unterſte Staffel ſeines Ruhms, die arme
Kanzel, in heilſame Erinnerung zu bringen. Gebt mir
auf den Spaß wohl Acht, ihr Herren! Ich ſchleiche als
Küſter hinter ihm her und ſpreche ihn um den Lieder¬
vers zu ſeiner Predigt an, ſo wahr ich Lorenz Fauſch
heiße.“

Unterdeſſen hatten ſich alle Lichter entzündet und
der Saal begann ſich zu füllen. In den Niſchen der
breiten Fenſter flüſterten junge Damen und verzeichne¬
ten auf ihren Fächern die Tänze, welche ſie den vor
ihnen ſtehenden Cavalieren verſprochen. Allmälig er¬
ſchienen auch die Standesperſonen, voran der Amtsbürger¬
meiſter Meyer mit ſeiner vornehm blickenden Gemahlin,
welche den runden Hals und die vollen Arme mit Perlen¬
ſchnüren umwunden, in einem golddurchwirkten Schlepp¬
kleide neben dem ſtattlichſten der Gatten einherſchritt. Bald
nach ihnen betrat den Saal der Ritter Doctor Fortunatus
Sprecher, den Alles ſich wunderte hier zu erblicken. Auch
war ſein Antlitz trüb und unfeſtlich. Der allen rauſchen¬
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[392/0402] mit unſerm Jenatio verglichen, ein Ingenium zweiten Ranges. Wenn mein Jürg mir nur nicht hoffärtig wird! — Ich will heut Abend die Maskenfreiheit be¬ nützen, um ihm ſein erſtes geringes Kleid, den Pfarrrock, und die unterſte Staffel ſeines Ruhms, die arme Kanzel, in heilſame Erinnerung zu bringen. Gebt mir auf den Spaß wohl Acht, ihr Herren! Ich ſchleiche als Küſter hinter ihm her und ſpreche ihn um den Lieder¬ vers zu ſeiner Predigt an, ſo wahr ich Lorenz Fauſch heiße.“ Unterdeſſen hatten ſich alle Lichter entzündet und der Saal begann ſich zu füllen. In den Niſchen der breiten Fenſter flüſterten junge Damen und verzeichne¬ ten auf ihren Fächern die Tänze, welche ſie den vor ihnen ſtehenden Cavalieren verſprochen. Allmälig er¬ ſchienen auch die Standesperſonen, voran der Amtsbürger¬ meiſter Meyer mit ſeiner vornehm blickenden Gemahlin, welche den runden Hals und die vollen Arme mit Perlen¬ ſchnüren umwunden, in einem golddurchwirkten Schlepp¬ kleide neben dem ſtattlichſten der Gatten einherſchritt. Bald nach ihnen betrat den Saal der Ritter Doctor Fortunatus Sprecher, den Alles ſich wunderte hier zu erblicken. Auch war ſein Antlitz trüb und unfeſtlich. Der allen rauſchen¬ den Vergnügungen abholde Doctor hatte wohl ſich heute

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/402>, abgerufen am 22.11.2024.