konnte. Waser gewahrte, der dunkeln Steinmasse zu¬ schreitend, mit Befriedigung, daß die Pforte der Hof¬ mauer geöffnet war, und sah den Wirth, einen hagern knochigen Italiäner, die tobenden Hunde an die Kette legen, wozu ihm der Stalljunge mit einer Pechfackel leuchtete. Das versprach einen gastlichen Empfang. Jetzt ergriff der Wirth die Fackel und hielt sie dem anlangenden Wanderer vors Gesicht.
"Was verlangt der Herr? Womit kann ich dienen?" fragte er, in unangenehmer Ueberraschung einen leisen Fluch, die Aeußerung seines ersten Gefühls, unterdrückend.
"Welche Frage?" antwortete Waser in fröhlichem Tone, "Platz an der Feuerstelle, um mich zu trocknen, Abendbrot und Nachtlager."
"Thut mir leid, Herr, -- unmöglich!" versetzte der Wirth mit einer sein Bedauern und zugleich seine Unerschütterlichkeit höchst lebhaft ausdrückenden Geberde, "das Haus ist besetzt."
"Was, besetzt? Ihr schient ja noch Gäste zu er¬ warten? Ein Obdach, wie immer beschaffen, könnt Ihr einem Reisenden in dieser Oede und in solcher frostigen Regennacht nicht unchristlich verweigern!"
Der Italiäner reckte die Hand aus, gegen Süden weisend, wo der Nebel dünner war und jenseits der
konnte. Waſer gewahrte, der dunkeln Steinmaſſe zu¬ ſchreitend, mit Befriedigung, daß die Pforte der Hof¬ mauer geöffnet war, und ſah den Wirth, einen hagern knochigen Italiäner, die tobenden Hunde an die Kette legen, wozu ihm der Stalljunge mit einer Pechfackel leuchtete. Das verſprach einen gaſtlichen Empfang. Jetzt ergriff der Wirth die Fackel und hielt ſie dem anlangenden Wanderer vors Geſicht.
„Was verlangt der Herr? Womit kann ich dienen?“ fragte er, in unangenehmer Ueberraſchung einen leiſen Fluch, die Aeußerung ſeines erſten Gefühls, unterdrückend.
„Welche Frage?“ antwortete Waſer in fröhlichem Tone, „Platz an der Feuerſtelle, um mich zu trocknen, Abendbrot und Nachtlager.“
„Thut mir leid, Herr, — unmöglich!“ verſetzte der Wirth mit einer ſein Bedauern und zugleich ſeine Unerſchütterlichkeit höchſt lebhaft ausdrückenden Geberde, „das Haus iſt beſetzt.“
„Was, beſetzt? Ihr ſchient ja noch Gäſte zu er¬ warten? Ein Obdach, wie immer beſchaffen, könnt Ihr einem Reiſenden in dieſer Oede und in ſolcher froſtigen Regennacht nicht unchriſtlich verweigern!“
Der Italiäner reckte die Hand aus, gegen Süden weiſend, wo der Nebel dünner war und jenſeits der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0041"n="31"/>
konnte. Waſer gewahrte, der dunkeln Steinmaſſe zu¬<lb/>ſchreitend, mit Befriedigung, daß die Pforte der Hof¬<lb/>
mauer geöffnet war, und ſah den Wirth, einen hagern<lb/>
knochigen Italiäner, die tobenden Hunde an die Kette<lb/>
legen, wozu ihm der Stalljunge mit einer Pechfackel<lb/>
leuchtete. Das verſprach einen gaſtlichen Empfang.<lb/>
Jetzt ergriff der Wirth die Fackel und hielt ſie dem<lb/>
anlangenden Wanderer vors Geſicht.</p><lb/><p>„Was verlangt der Herr? Womit kann ich<lb/>
dienen?“ fragte er, in unangenehmer Ueberraſchung<lb/>
einen leiſen Fluch, die Aeußerung ſeines erſten Gefühls,<lb/>
unterdrückend.</p><lb/><p>„Welche Frage?“ antwortete Waſer in fröhlichem<lb/>
Tone, „Platz an der Feuerſtelle, um mich zu trocknen,<lb/>
Abendbrot und Nachtlager.“</p><lb/><p>„Thut mir leid, Herr, — unmöglich!“ verſetzte<lb/>
der Wirth mit einer ſein Bedauern und zugleich ſeine<lb/>
Unerſchütterlichkeit höchſt lebhaft ausdrückenden Geberde,<lb/>„das Haus iſt beſetzt.“</p><lb/><p>„Was, beſetzt? Ihr ſchient ja noch Gäſte zu er¬<lb/>
warten? Ein Obdach, wie immer beſchaffen, könnt Ihr<lb/>
einem Reiſenden in dieſer Oede und in ſolcher froſtigen<lb/>
Regennacht nicht unchriſtlich verweigern!“</p><lb/><p>Der Italiäner reckte die Hand aus, gegen Süden<lb/>
weiſend, wo der Nebel dünner war und jenſeits der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[31/0041]
konnte. Waſer gewahrte, der dunkeln Steinmaſſe zu¬
ſchreitend, mit Befriedigung, daß die Pforte der Hof¬
mauer geöffnet war, und ſah den Wirth, einen hagern
knochigen Italiäner, die tobenden Hunde an die Kette
legen, wozu ihm der Stalljunge mit einer Pechfackel
leuchtete. Das verſprach einen gaſtlichen Empfang.
Jetzt ergriff der Wirth die Fackel und hielt ſie dem
anlangenden Wanderer vors Geſicht.
„Was verlangt der Herr? Womit kann ich
dienen?“ fragte er, in unangenehmer Ueberraſchung
einen leiſen Fluch, die Aeußerung ſeines erſten Gefühls,
unterdrückend.
„Welche Frage?“ antwortete Waſer in fröhlichem
Tone, „Platz an der Feuerſtelle, um mich zu trocknen,
Abendbrot und Nachtlager.“
„Thut mir leid, Herr, — unmöglich!“ verſetzte
der Wirth mit einer ſein Bedauern und zugleich ſeine
Unerſchütterlichkeit höchſt lebhaft ausdrückenden Geberde,
„das Haus iſt beſetzt.“
„Was, beſetzt? Ihr ſchient ja noch Gäſte zu er¬
warten? Ein Obdach, wie immer beſchaffen, könnt Ihr
einem Reiſenden in dieſer Oede und in ſolcher froſtigen
Regennacht nicht unchriſtlich verweigern!“
Der Italiäner reckte die Hand aus, gegen Süden
weiſend, wo der Nebel dünner war und jenſeits der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/41>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.