Jetzt setzte die Alte rasch ihre Pfanne weg, faßte den Träumer unsanft an der Schulter, rüttelte ihn und rief ihn an: "Erwache, Agostin! Ich will Dich nicht länger in meiner Küche. Das sind nicht die Träume des Erzvaters Jakob . . . Dich plagt der Böse. Fort in's Heu! Und der Herr behüte Dich vor den Fall¬ stricken der Hölle. --"
Die langlockige, schmale Gestalt erhob sich mit gesenktem Haupte und entfernte sich ohne Widerrede.
"Was Du für meinen Sohn, den Pfarrer Alexan¬ der in Ardenn, mitzunehmen hast, werd' ich Dir morgen in der Frühe, wenn Du hier Deinen Tragkorb holst, selber obenauf binden!" rief ihm die Alte nach und setzte dann kopfschüttelnd hinzu: "Eigentlich sollt' ich dem papistischen Querkopfe das theure Erbstück nicht an¬ vertrauen!". . .
"Das könnt' ich Euch besser besorgen, gute Frau," sprach Waser mit Vertrauen erweckender Stimme zwischen den Eisenstäben hindurch ins Gemach hinein. "Ich gehe morgen über den Muretto ins Veltlin zu Pfarrer Jenatsch, dem Freunde und Nachbar Eures würdigen Sohnes, Herr Blasius Alexander, dessen Name mir wohl bekannt ist, denn er hat ein gutes Gerücht in protestantischen Landen. Wohlverstanden, wenn Ihr mir bis zur Frühe ein trockenes Schlafplätz¬
3*
Jetzt ſetzte die Alte raſch ihre Pfanne weg, faßte den Träumer unſanft an der Schulter, rüttelte ihn und rief ihn an: „Erwache, Agoſtin! Ich will Dich nicht länger in meiner Küche. Das ſind nicht die Träume des Erzvaters Jakob . . . Dich plagt der Böſe. Fort in's Heu! Und der Herr behüte Dich vor den Fall¬ ſtricken der Hölle. —“
Die langlockige, ſchmale Geſtalt erhob ſich mit geſenktem Haupte und entfernte ſich ohne Widerrede.
„Was Du für meinen Sohn, den Pfarrer Alexan¬ der in Ardenn, mitzunehmen haſt, werd' ich Dir morgen in der Frühe, wenn Du hier Deinen Tragkorb holſt, ſelber obenauf binden!“ rief ihm die Alte nach und ſetzte dann kopfſchüttelnd hinzu: „Eigentlich ſollt' ich dem papiſtiſchen Querkopfe das theure Erbſtück nicht an¬ vertrauen!“. . .
„Das könnt' ich Euch beſſer beſorgen, gute Frau,“ ſprach Waſer mit Vertrauen erweckender Stimme zwiſchen den Eiſenſtäben hindurch ins Gemach hinein. „Ich gehe morgen über den Muretto ins Veltlin zu Pfarrer Jenatſch, dem Freunde und Nachbar Eures würdigen Sohnes, Herr Blaſius Alexander, deſſen Name mir wohl bekannt iſt, denn er hat ein gutes Gerücht in proteſtantiſchen Landen. Wohlverſtanden, wenn Ihr mir bis zur Frühe ein trockenes Schlafplätz¬
3*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0045"n="35"/><p>Jetzt ſetzte die Alte raſch ihre Pfanne weg, faßte<lb/>
den Träumer unſanft an der Schulter, rüttelte ihn und<lb/>
rief ihn an: „Erwache, Agoſtin! Ich will Dich nicht<lb/>
länger in meiner Küche. Das ſind nicht die Träume<lb/>
des Erzvaters Jakob . . . Dich plagt der Böſe. Fort<lb/>
in's Heu! Und der Herr behüte Dich vor den Fall¬<lb/>ſtricken der Hölle. —“</p><lb/><p>Die langlockige, ſchmale Geſtalt erhob ſich mit<lb/>
geſenktem Haupte und entfernte ſich ohne Widerrede.</p><lb/><p>„Was Du für meinen Sohn, den Pfarrer Alexan¬<lb/>
der in Ardenn, mitzunehmen haſt, werd' ich Dir morgen<lb/>
in der Frühe, wenn Du hier Deinen Tragkorb holſt,<lb/>ſelber obenauf binden!“ rief ihm die Alte nach und<lb/>ſetzte dann kopfſchüttelnd hinzu: „Eigentlich ſollt' ich<lb/>
dem papiſtiſchen Querkopfe das theure Erbſtück nicht an¬<lb/>
vertrauen!“. . .</p><lb/><p>„Das könnt' ich Euch beſſer beſorgen, gute Frau,“<lb/>ſprach Waſer mit Vertrauen erweckender Stimme<lb/>
zwiſchen den Eiſenſtäben hindurch ins Gemach hinein.<lb/>„Ich gehe morgen über den Muretto ins Veltlin zu<lb/>
Pfarrer Jenatſch, dem Freunde und Nachbar Eures<lb/>
würdigen Sohnes, Herr Blaſius Alexander, deſſen<lb/>
Name mir wohl bekannt iſt, denn er hat ein gutes<lb/>
Gerücht in proteſtantiſchen Landen. Wohlverſtanden,<lb/>
wenn Ihr mir bis zur Frühe ein trockenes Schlafplätz¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">3*<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[35/0045]
Jetzt ſetzte die Alte raſch ihre Pfanne weg, faßte
den Träumer unſanft an der Schulter, rüttelte ihn und
rief ihn an: „Erwache, Agoſtin! Ich will Dich nicht
länger in meiner Küche. Das ſind nicht die Träume
des Erzvaters Jakob . . . Dich plagt der Böſe. Fort
in's Heu! Und der Herr behüte Dich vor den Fall¬
ſtricken der Hölle. —“
Die langlockige, ſchmale Geſtalt erhob ſich mit
geſenktem Haupte und entfernte ſich ohne Widerrede.
„Was Du für meinen Sohn, den Pfarrer Alexan¬
der in Ardenn, mitzunehmen haſt, werd' ich Dir morgen
in der Frühe, wenn Du hier Deinen Tragkorb holſt,
ſelber obenauf binden!“ rief ihm die Alte nach und
ſetzte dann kopfſchüttelnd hinzu: „Eigentlich ſollt' ich
dem papiſtiſchen Querkopfe das theure Erbſtück nicht an¬
vertrauen!“. . .
„Das könnt' ich Euch beſſer beſorgen, gute Frau,“
ſprach Waſer mit Vertrauen erweckender Stimme
zwiſchen den Eiſenſtäben hindurch ins Gemach hinein.
„Ich gehe morgen über den Muretto ins Veltlin zu
Pfarrer Jenatſch, dem Freunde und Nachbar Eures
würdigen Sohnes, Herr Blaſius Alexander, deſſen
Name mir wohl bekannt iſt, denn er hat ein gutes
Gerücht in proteſtantiſchen Landen. Wohlverſtanden,
wenn Ihr mir bis zur Frühe ein trockenes Schlafplätz¬
3*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/45>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.