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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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sichter?" sagte er. "Heraus mit der Sprache! Was
hast Du geträumt? Von Deinem Liebchen?"

"Von meiner innig verehrten Braut, willst Du
sagen. Das wäre nichts Ungewöhnliches; aber ich hatte
in der That einen wunderbaren Traum. . ."

"Jetzt weiß ich's . . . . . . Dir träumte, Du seiest
Bürgermeister von Zürich!"

"So war es . . . . merkwürdiger Weise!" sagte
Waser sich sammelnd. "Ich saß in der Rathsstube und
hielt Vortrag über Bündnerdinge, -- über die Be¬
deutung der Feste Fuentes. Als ich geendet, wandte
sich das nächstsitzende Rathsglied gegen mich mit den
Worten: Ich bin ganz der Meinung seiner Gestrengen
des Herrn Bürgermeisters. Ich sah mich nach diesem
um; aber siehe, ich saß selbst auf seinem Stuhle und
trug seine Kette."

"Auch mir hat geträumt," sagte Jenatsch, "und
recht seltsam. Du weißt, oder weißt nicht, daß in Chur
ein ungarischer Astrolog nur Retromant sein Wesen
treibt. Mit diesem Gelehrten hab' ich mich während
der letzten langwierigen Synode nächtlicher Weile ein¬
gelassen, um zu sehen, was an der Sache sei."

"Um Himmelswillen, Astrologia! . . . Und Du bist
ein Geistlicher!" rief Waser entsetzt. "Sie vernichtet
die menschliche Freiheit und diese ist die Grundlage

ſichter?“ ſagte er. „Heraus mit der Sprache! Was
haſt Du geträumt? Von Deinem Liebchen?“

„Von meiner innig verehrten Braut, willſt Du
ſagen. Das wäre nichts Ungewöhnliches; aber ich hatte
in der That einen wunderbaren Traum. . .“

„Jetzt weiß ich's . . . . . . Dir träumte, Du ſeieſt
Bürgermeiſter von Zürich!“

„So war es . . . . merkwürdiger Weiſe!“ ſagte
Waſer ſich ſammelnd. „Ich ſaß in der Rathsſtube und
hielt Vortrag über Bündnerdinge, — über die Be¬
deutung der Feſte Fuentes. Als ich geendet, wandte
ſich das nächſtſitzende Rathsglied gegen mich mit den
Worten: Ich bin ganz der Meinung ſeiner Geſtrengen
des Herrn Bürgermeiſters. Ich ſah mich nach dieſem
um; aber ſiehe, ich ſaß ſelbſt auf ſeinem Stuhle und
trug ſeine Kette.“

„Auch mir hat geträumt,“ ſagte Jenatſch, „und
recht ſeltſam. Du weißt, oder weißt nicht, daß in Chur
ein ungariſcher Aſtrolog nur Retromant ſein Weſen
treibt. Mit dieſem Gelehrten hab' ich mich während
der letzten langwierigen Synode nächtlicher Weile ein¬
gelaſſen, um zu ſehen, was an der Sache ſei.“

„Um Himmelswillen, Aſtrologia! . . . Und Du biſt
ein Geiſtlicher!“ rief Waſer entſetzt. „Sie vernichtet
die menſchliche Freiheit und dieſe iſt die Grundlage

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[79/0089] ſichter?“ ſagte er. „Heraus mit der Sprache! Was haſt Du geträumt? Von Deinem Liebchen?“ „Von meiner innig verehrten Braut, willſt Du ſagen. Das wäre nichts Ungewöhnliches; aber ich hatte in der That einen wunderbaren Traum. . .“ „Jetzt weiß ich's . . . . . . Dir träumte, Du ſeieſt Bürgermeiſter von Zürich!“ „So war es . . . . merkwürdiger Weiſe!“ ſagte Waſer ſich ſammelnd. „Ich ſaß in der Rathsſtube und hielt Vortrag über Bündnerdinge, — über die Be¬ deutung der Feſte Fuentes. Als ich geendet, wandte ſich das nächſtſitzende Rathsglied gegen mich mit den Worten: Ich bin ganz der Meinung ſeiner Geſtrengen des Herrn Bürgermeiſters. Ich ſah mich nach dieſem um; aber ſiehe, ich ſaß ſelbſt auf ſeinem Stuhle und trug ſeine Kette.“ „Auch mir hat geträumt,“ ſagte Jenatſch, „und recht ſeltſam. Du weißt, oder weißt nicht, daß in Chur ein ungariſcher Aſtrolog nur Retromant ſein Weſen treibt. Mit dieſem Gelehrten hab' ich mich während der letzten langwierigen Synode nächtlicher Weile ein¬ gelaſſen, um zu ſehen, was an der Sache ſei.“ „Um Himmelswillen, Aſtrologia! . . . Und Du biſt ein Geiſtlicher!“ rief Waſer entſetzt. „Sie vernichtet die menſchliche Freiheit und dieſe iſt die Grundlage

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/89>, abgerufen am 21.11.2024.