Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.
Thaten der Gnade. III. Stück. Angefochtenen in ihrer unzählbaren Mengeund Grösse, und wurden ihr zu einer bit- tern und unerträglichen Last. Der Feind verfolgete sie in diesen schweren und dunkeln Zeiten auf eine offenbahre und gar ausseror- dentliche Weise, die Hölle wurde ihr so heiß, und das Gefühl des zukünftigen Zornes so empfindlich und fürchterlich, daß sie ganze Tage und Nächte keine Ruhe fande, und sich in ihrer Qual unaufhörlich windete, sie suchte mit Thränen und vielen Beängsti- gungen Rath und Trost für ihre Seele, wo sie etwas zu finden hofte. Diese, unserer nun seligen Person, so sehr ungewöhnlichen und fremden Umstände, stellten sie im An- fange an, sie nahm dieselben sehr zu Herzen, und gerieth in manches Nachdenken. Sie sahe nun gar deutlich vor Augen, theils wie bitter die Früchte der Sünden, theils wie nöthig die Arbeit für die Errettung der Seele sey, und endlich was für Kampf und Ringen es koste, dem ewigen Untergange zu entgehen, und das Leben als eine Beute davon zu bringen. Sie stund daher ein wenig auf ihren Sündenwegen nicht nur stille, sondern zeigte eine Begierde nach ei- nem bessern Leben, und fragte auch Raths, wie sie es anfangen sollte, damit sie möchte selig werden. Dieses alles war aber eine blos gesetzliche Erschütterung, die nur oben hin-
Thaten der Gnade. III. Stuͤck. Angefochtenen in ihrer unzaͤhlbaren Mengeund Groͤſſe, und wurden ihr zu einer bit- tern und unertraͤglichen Laſt. Der Feind verfolgete ſie in dieſen ſchweren und dunkeln Zeiten auf eine offenbahre und gar auſſeror- dentliche Weiſe, die Hoͤlle wurde ihr ſo heiß, und das Gefuͤhl des zukuͤnftigen Zornes ſo empfindlich und fuͤrchterlich, daß ſie ganze Tage und Naͤchte keine Ruhe fande, und ſich in ihrer Qual unaufhoͤrlich windete, ſie ſuchte mit Thraͤnen und vielen Beaͤngſti- gungen Rath und Troſt fuͤr ihre Seele, wo ſie etwas zu finden hofte. Dieſe, unſerer nun ſeligen Perſon, ſo ſehr ungewoͤhnlichen und fremden Umſtaͤnde, ſtellten ſie im An- fange an, ſie nahm dieſelben ſehr zu Herzen, und gerieth in manches Nachdenken. Sie ſahe nun gar deutlich vor Augen, theils wie bitter die Fruͤchte der Suͤnden, theils wie noͤthig die Arbeit fuͤr die Errettung der Seele ſey, und endlich was fuͤr Kampf und Ringen es koſte, dem ewigen Untergange zu entgehen, und das Leben als eine Beute davon zu bringen. Sie ſtund daher ein wenig auf ihren Suͤndenwegen nicht nur ſtille, ſondern zeigte eine Begierde nach ei- nem beſſern Leben, und fragte auch Raths, wie ſie es anfangen ſollte, damit ſie moͤchte ſelig werden. Dieſes alles war aber eine blos geſetzliche Erſchuͤtterung, die nur oben hin-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0257" n="205"/><fw place="top" type="header">Thaten der Gnade. <hi rendition="#aq">III</hi>. Stuͤck.</fw><lb/> Angefochtenen in ihrer unzaͤhlbaren Menge<lb/> und Groͤſſe, und wurden ihr zu einer bit-<lb/> tern und unertraͤglichen Laſt. Der Feind<lb/> verfolgete ſie in dieſen ſchweren und dunkeln<lb/> Zeiten auf eine offenbahre und gar auſſeror-<lb/> dentliche Weiſe, die Hoͤlle wurde ihr ſo heiß,<lb/> und das Gefuͤhl des zukuͤnftigen Zornes ſo<lb/> empfindlich und fuͤrchterlich, daß ſie ganze<lb/> Tage und Naͤchte keine Ruhe fande, und<lb/> ſich in ihrer Qual unaufhoͤrlich windete, ſie<lb/> ſuchte mit Thraͤnen und vielen Beaͤngſti-<lb/> gungen Rath und Troſt fuͤr ihre Seele, wo<lb/> ſie etwas zu finden hofte. Dieſe, unſerer<lb/> nun ſeligen Perſon, ſo ſehr ungewoͤhnlichen<lb/> und fremden Umſtaͤnde, ſtellten ſie im An-<lb/> fange an, ſie nahm dieſelben ſehr zu Herzen,<lb/> und gerieth in manches Nachdenken. Sie<lb/> ſahe nun gar deutlich vor Augen, theils<lb/> wie bitter die Fruͤchte der Suͤnden, theils<lb/> wie noͤthig die Arbeit fuͤr die Errettung der<lb/> Seele ſey, und endlich was fuͤr Kampf und<lb/> Ringen es koſte, dem ewigen Untergange<lb/> zu entgehen, und das Leben als eine Beute<lb/> davon zu bringen. Sie ſtund daher ein<lb/> wenig auf ihren Suͤndenwegen nicht nur<lb/> ſtille, ſondern zeigte eine Begierde nach ei-<lb/> nem beſſern Leben, und fragte auch Raths,<lb/> wie ſie es anfangen ſollte, damit ſie moͤchte<lb/> ſelig werden. Dieſes alles war aber eine<lb/> blos geſetzliche Erſchuͤtterung, die nur oben<lb/> <fw place="bottom" type="catch">hin-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [205/0257]
Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
Angefochtenen in ihrer unzaͤhlbaren Menge
und Groͤſſe, und wurden ihr zu einer bit-
tern und unertraͤglichen Laſt. Der Feind
verfolgete ſie in dieſen ſchweren und dunkeln
Zeiten auf eine offenbahre und gar auſſeror-
dentliche Weiſe, die Hoͤlle wurde ihr ſo heiß,
und das Gefuͤhl des zukuͤnftigen Zornes ſo
empfindlich und fuͤrchterlich, daß ſie ganze
Tage und Naͤchte keine Ruhe fande, und
ſich in ihrer Qual unaufhoͤrlich windete, ſie
ſuchte mit Thraͤnen und vielen Beaͤngſti-
gungen Rath und Troſt fuͤr ihre Seele, wo
ſie etwas zu finden hofte. Dieſe, unſerer
nun ſeligen Perſon, ſo ſehr ungewoͤhnlichen
und fremden Umſtaͤnde, ſtellten ſie im An-
fange an, ſie nahm dieſelben ſehr zu Herzen,
und gerieth in manches Nachdenken. Sie
ſahe nun gar deutlich vor Augen, theils
wie bitter die Fruͤchte der Suͤnden, theils
wie noͤthig die Arbeit fuͤr die Errettung der
Seele ſey, und endlich was fuͤr Kampf und
Ringen es koſte, dem ewigen Untergange
zu entgehen, und das Leben als eine Beute
davon zu bringen. Sie ſtund daher ein
wenig auf ihren Suͤndenwegen nicht nur
ſtille, ſondern zeigte eine Begierde nach ei-
nem beſſern Leben, und fragte auch Raths,
wie ſie es anfangen ſollte, damit ſie moͤchte
ſelig werden. Dieſes alles war aber eine
blos geſetzliche Erſchuͤtterung, die nur oben
hin-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/257 |
| Zitationshilfe: | Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/257>, abgerufen am 21.11.2024. |
