Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

Saint-Pierre's und Kants Jdee vom ewigen Frieden hörte auf,
ein Hirngespinnst zu sein; aber freilich nur mit dem Weltreich
ist die unbeschränkte Handelsfreiheit ausführbar, sonst bleibt auch
sie ein Traumgebilde.

Wir haben hiermit die höchste Höhe der gesellschaftlichen Auf-
gabe erreicht. Die Gliederung des Umlaufs ist von jeder Hemm-
niß befreit, die Vergesellschaftung aller Werthe damit eingeleitet.
Der reinste Ausdruck dieses ungestörten Umlaufs ist der Credit.
Auch hier hat die Französische Verfassung den wahren gesellschaft-
lichen Freistaat gegründet. "Die Gesellschaft", sagt der 13. Ar-
tikel, "begünstigt die Credit-Anstalten." Was heißt das? Wie
einzelne Vereine sich in der Gemeinde verbinden, und der Han-
delsverein mit allen in Verbindung steht, so geht diese Kette der
Vergesellschaftung durch den Kreis, den Staat, und den Bund
hindurch. Die Vereinigung bezieht sich theils auf das Materielle
der Arbeit, theils auf den Absatz und Umlauf der Waaren. Wenn
deren Werthe festgestellt sind, so wird dies den Umlauf sehr er-
leichtern. Wenn der Lohn und der Werth geordnet, wenn die
Arbeit gegliedert ist, dann ist der Credit nur noch der Umlauf
selbst von der ersten rohen Gestaltung des Stoffs an bis zur Zer-
störung des Erzeugnisses durch den Verzehrer. Man kann der
Arbeit nicht borgen, ehe die Arbeit nicht geordnet ist. Damit der
Credit dem Arbeiter zugänglich werde, müssen alle angeeigneten
Reichthümer Gesammtreichthümer geworden sein, müssen die aus
der Gesellschaft herausgetretenen Capitalien in die Gesellschaft zu-
rückgekehrt sein, -- ohne daß darum das Eigenthum aufgehoben
werde. Dann ist der Credit aber in der allgemeinen Vergesell-
schaftung verschwunden. Mit andern Worten: der wahre Credit
ist die Auflösung, das Unnützwerden des Credits, indem jeder
Werth Geld geworden ist.

Der Credit ist die Umwandlung der festen und verpfändeten
Capitalien in umlaufende und freie; die Zukunft des Credits be-
steht darin, die verpfändeten Werthe zu befreien, die freien zu
fesseln. Durch den Umlauf erhöht man den Reichthum, der Cre-
dit spiegelt das Capital ab und vermehrt die Rente; indem er
dasselbe Capital zweimal arbeiten läßt, wird sein Ertrag verdoppelt.
Das ist der ganze Zauber des Credits. Um die Umlaufbarkeit

Saint-Pierre’s und Kants Jdee vom ewigen Frieden hörte auf,
ein Hirngeſpinnſt zu ſein; aber freilich nur mit dem Weltreich
iſt die unbeſchränkte Handelsfreiheit ausführbar, ſonſt bleibt auch
ſie ein Traumgebilde.

Wir haben hiermit die höchſte Höhe der geſellſchaftlichen Auf-
gabe erreicht. Die Gliederung des Umlaufs iſt von jeder Hemm-
niß befreit, die Vergeſellſchaftung aller Werthe damit eingeleitet.
Der reinſte Ausdruck dieſes ungeſtörten Umlaufs iſt der Credit.
Auch hier hat die Franzöſiſche Verfaſſung den wahren geſellſchaft-
lichen Freiſtaat gegründet. „Die Geſellſchaft‟, ſagt der 13. Ar-
tikel, „begünſtigt die Credit-Anſtalten.‟ Was heißt das? Wie
einzelne Vereine ſich in der Gemeinde verbinden, und der Han-
delsverein mit allen in Verbindung ſteht, ſo geht dieſe Kette der
Vergeſellſchaftung durch den Kreis, den Staat, und den Bund
hindurch. Die Vereinigung bezieht ſich theils auf das Materielle
der Arbeit, theils auf den Abſatz und Umlauf der Waaren. Wenn
deren Werthe feſtgeſtellt ſind, ſo wird dies den Umlauf ſehr er-
leichtern. Wenn der Lohn und der Werth geordnet, wenn die
Arbeit gegliedert iſt, dann iſt der Credit nur noch der Umlauf
ſelbſt von der erſten rohen Geſtaltung des Stoffs an bis zur Zer-
ſtörung des Erzeugniſſes durch den Verzehrer. Man kann der
Arbeit nicht borgen, ehe die Arbeit nicht geordnet iſt. Damit der
Credit dem Arbeiter zugänglich werde, müſſen alle angeeigneten
Reichthümer Geſammtreichthümer geworden ſein, müſſen die aus
der Geſellſchaft herausgetretenen Capitalien in die Geſellſchaft zu-
rückgekehrt ſein, — ohne daß darum das Eigenthum aufgehoben
werde. Dann iſt der Credit aber in der allgemeinen Vergeſell-
ſchaftung verſchwunden. Mit andern Worten: der wahre Credit
iſt die Auflöſung, das Unnützwerden des Credits, indem jeder
Werth Geld geworden iſt.

Der Credit iſt die Umwandlung der feſten und verpfändeten
Capitalien in umlaufende und freie; die Zukunft des Credits be-
ſteht darin, die verpfändeten Werthe zu befreien, die freien zu
feſſeln. Durch den Umlauf erhöht man den Reichthum, der Cre-
dit ſpiegelt das Capital ab und vermehrt die Rente; indem er
daſſelbe Capital zweimal arbeiten läßt, wird ſein Ertrag verdoppelt.
Das iſt der ganze Zauber des Credits. Um die Umlaufbarkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0118" n="108"/>
Saint-Pierre&#x2019;s und Kants Jdee vom ewigen Frieden hörte auf,<lb/>
ein Hirnge&#x017F;pinn&#x017F;t zu &#x017F;ein; aber freilich nur mit dem Weltreich<lb/>
i&#x017F;t die unbe&#x017F;chränkte Handelsfreiheit ausführbar, &#x017F;on&#x017F;t bleibt auch<lb/>
&#x017F;ie ein Traumgebilde.</p><lb/>
            <p>Wir haben hiermit die höch&#x017F;te Höhe der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Auf-<lb/>
gabe erreicht. Die Gliederung des Umlaufs i&#x017F;t von jeder Hemm-<lb/>
niß befreit, die Verge&#x017F;ell&#x017F;chaftung aller Werthe damit eingeleitet.<lb/>
Der rein&#x017F;te Ausdruck die&#x017F;es unge&#x017F;törten Umlaufs i&#x017F;t der <hi rendition="#g">Credit.</hi><lb/>
Auch hier hat die Franzö&#x017F;i&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung den wahren ge&#x017F;ell&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Frei&#x017F;taat gegründet. &#x201E;Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft&#x201F;, &#x017F;agt der 13. Ar-<lb/>
tikel, &#x201E;begün&#x017F;tigt die Credit-An&#x017F;talten.&#x201F; Was heißt das? Wie<lb/>
einzelne Vereine &#x017F;ich in der Gemeinde verbinden, und der Han-<lb/>
delsverein mit allen in Verbindung &#x017F;teht, &#x017F;o geht die&#x017F;e Kette der<lb/>
Verge&#x017F;ell&#x017F;chaftung durch den Kreis, den Staat, und den Bund<lb/>
hindurch. Die Vereinigung bezieht &#x017F;ich theils auf das Materielle<lb/>
der Arbeit, theils auf den Ab&#x017F;atz und Umlauf der Waaren. Wenn<lb/>
deren Werthe fe&#x017F;tge&#x017F;tellt &#x017F;ind, &#x017F;o wird dies den Umlauf &#x017F;ehr er-<lb/>
leichtern. Wenn der Lohn und der Werth geordnet, wenn die<lb/>
Arbeit gegliedert i&#x017F;t, dann i&#x017F;t der Credit nur noch der Umlauf<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t von der er&#x017F;ten rohen Ge&#x017F;taltung des Stoffs an bis zur Zer-<lb/>
&#x017F;törung des Erzeugni&#x017F;&#x017F;es durch den Verzehrer. Man kann der<lb/>
Arbeit nicht borgen, ehe die Arbeit nicht geordnet i&#x017F;t. Damit der<lb/>
Credit dem Arbeiter zugänglich werde, mü&#x017F;&#x017F;en alle angeeigneten<lb/>
Reichthümer Ge&#x017F;ammtreichthümer geworden &#x017F;ein, mü&#x017F;&#x017F;en die aus<lb/>
der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft herausgetretenen Capitalien in die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu-<lb/>
rückgekehrt &#x017F;ein, &#x2014; ohne daß darum das Eigenthum aufgehoben<lb/>
werde. Dann i&#x017F;t der Credit aber in der allgemeinen Verge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaftung ver&#x017F;chwunden. Mit andern Worten: der wahre Credit<lb/>
i&#x017F;t die Auflö&#x017F;ung, das Unnützwerden des Credits, indem jeder<lb/>
Werth Geld geworden i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Der Credit i&#x017F;t die Umwandlung der fe&#x017F;ten und verpfändeten<lb/>
Capitalien in umlaufende und freie; die Zukunft des Credits be-<lb/>
&#x017F;teht darin, die verpfändeten Werthe zu befreien, die freien zu<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;eln. Durch den Umlauf erhöht man den Reichthum, der Cre-<lb/>
dit &#x017F;piegelt das Capital ab und vermehrt die Rente; indem er<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe Capital zweimal arbeiten läßt, wird &#x017F;ein Ertrag verdoppelt.<lb/>
Das i&#x017F;t der ganze Zauber des Credits. Um die Umlaufbarkeit<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0118] Saint-Pierre’s und Kants Jdee vom ewigen Frieden hörte auf, ein Hirngeſpinnſt zu ſein; aber freilich nur mit dem Weltreich iſt die unbeſchränkte Handelsfreiheit ausführbar, ſonſt bleibt auch ſie ein Traumgebilde. Wir haben hiermit die höchſte Höhe der geſellſchaftlichen Auf- gabe erreicht. Die Gliederung des Umlaufs iſt von jeder Hemm- niß befreit, die Vergeſellſchaftung aller Werthe damit eingeleitet. Der reinſte Ausdruck dieſes ungeſtörten Umlaufs iſt der Credit. Auch hier hat die Franzöſiſche Verfaſſung den wahren geſellſchaft- lichen Freiſtaat gegründet. „Die Geſellſchaft‟, ſagt der 13. Ar- tikel, „begünſtigt die Credit-Anſtalten.‟ Was heißt das? Wie einzelne Vereine ſich in der Gemeinde verbinden, und der Han- delsverein mit allen in Verbindung ſteht, ſo geht dieſe Kette der Vergeſellſchaftung durch den Kreis, den Staat, und den Bund hindurch. Die Vereinigung bezieht ſich theils auf das Materielle der Arbeit, theils auf den Abſatz und Umlauf der Waaren. Wenn deren Werthe feſtgeſtellt ſind, ſo wird dies den Umlauf ſehr er- leichtern. Wenn der Lohn und der Werth geordnet, wenn die Arbeit gegliedert iſt, dann iſt der Credit nur noch der Umlauf ſelbſt von der erſten rohen Geſtaltung des Stoffs an bis zur Zer- ſtörung des Erzeugniſſes durch den Verzehrer. Man kann der Arbeit nicht borgen, ehe die Arbeit nicht geordnet iſt. Damit der Credit dem Arbeiter zugänglich werde, müſſen alle angeeigneten Reichthümer Geſammtreichthümer geworden ſein, müſſen die aus der Geſellſchaft herausgetretenen Capitalien in die Geſellſchaft zu- rückgekehrt ſein, — ohne daß darum das Eigenthum aufgehoben werde. Dann iſt der Credit aber in der allgemeinen Vergeſell- ſchaftung verſchwunden. Mit andern Worten: der wahre Credit iſt die Auflöſung, das Unnützwerden des Credits, indem jeder Werth Geld geworden iſt. Der Credit iſt die Umwandlung der feſten und verpfändeten Capitalien in umlaufende und freie; die Zukunft des Credits be- ſteht darin, die verpfändeten Werthe zu befreien, die freien zu feſſeln. Durch den Umlauf erhöht man den Reichthum, der Cre- dit ſpiegelt das Capital ab und vermehrt die Rente; indem er daſſelbe Capital zweimal arbeiten läßt, wird ſein Ertrag verdoppelt. Das iſt der ganze Zauber des Credits. Um die Umlaufbarkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/118
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/118>, abgerufen am 17.05.2024.