Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

eine sehr geringe Anzahl Männer, sind eigentliche Staatsbeamte,
und darum allein von der Theilnahme an der gesetzgebenden und
verwaltenden Gewalt ausgeschlossen, eben weil sie schon der aus-
übenden angehören, und die Trennung der Gewalten der erste
Grundsatz eines freien Staatslebens ist. So, aber auch nur so,
kann der Schlange der Beamtenherrschaft der Kopf zertreten wer-
den. Nur so werden wir des traurigen Schauspiels überhoben
sein, daß durch Maßregelung der geistigen Arbeiter der Kampf
zwischen dem Hunger und ihrem Gewissen geflissentlich hervorge-
rufen, und so die Sittlichkeit des ganzen Volksbewußtseins ver-
giftet wird. "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei," sagt der
Artikel 17. der Verfassungsurkunde vom 5. December.

b) Unterstützungskassen.

Ein umfassendes Versicherungssystem muß in jedem ein-
zelnen Arbeitszweige und für die verschiedenen Wechselfälle des
Lebens durch alle Vereine, Gemeinden, Kreise und Staaten hindurch-
gehen. Alles Natur-Unglück, wie Feuersgefahr, Seegefahr, trägt
sich leicht, wenn Alle den Schaden Einzelner tragen. Das Ge-
zahlte drückt Niemanden, und Keiner verdirbt. Dies all-
gemeine Versicherungsgeschäft muß sich nun an die vorhin
beschriebenen Banken anlehnen. Die landwirthschaftlichen Banken
werden etwa Versicherungen gegen Hagel übernehmen, wenn keine
besondere örtliche Anstalten dafür sich bilden; was immer ge-
fährlich ist, weil die Gefahr oft dieselben Orte trifft. Besonders
die gewerblichen Banken verlangen, um z. B. den Manufactur-
Credit zu seiner vollkommenen Ausbildung zu bringen, eine be-
deutende Entwickelung des Systems der Versicherungen, welche
sich bis auf das gegenseitige Tragen der Wechselfälle der verschie-
denen Gewerbzweige unter einander erstrecken kann.

Hieran schließen sich Wittwenkassen durch gemeinschaft-
liche Beiträge gegründet, ebenso Krankenkassen, Vorschuß-
Kassen, Sparkassen
u. s. w. Die Hülfe eines Vorschusses
durch den Gewerbe- oder Gemeindebezirks-Verein hat nichts De-
müthigendes mehr, und entzieht den kleinen Meister dem Wucher.
Der Besitz der oben beschriebenen Rentenbillete wäre für sich eine
Sparkasse. Proudhon will alle diese Geschäfte mit seiner Volks-
bank in Verbindung bringen, die Bankbillete aber zinslos aus-

eine ſehr geringe Anzahl Männer, ſind eigentliche Staatsbeamte,
und darum allein von der Theilnahme an der geſetzgebenden und
verwaltenden Gewalt ausgeſchloſſen, eben weil ſie ſchon der aus-
übenden angehören, und die Trennung der Gewalten der erſte
Grundſatz eines freien Staatslebens iſt. So, aber auch nur ſo,
kann der Schlange der Beamtenherrſchaft der Kopf zertreten wer-
den. Nur ſo werden wir des traurigen Schauſpiels überhoben
ſein, daß durch Maßregelung der geiſtigen Arbeiter der Kampf
zwiſchen dem Hunger und ihrem Gewiſſen gefliſſentlich hervorge-
rufen, und ſo die Sittlichkeit des ganzen Volksbewußtſeins ver-
giftet wird. „Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei,‟ ſagt der
Artikel 17. der Verfaſſungsurkunde vom 5. December.

β) Unterſtützungskaſſen.

Ein umfaſſendes Verſicherungsſyſtem muß in jedem ein-
zelnen Arbeitszweige und für die verſchiedenen Wechſelfälle des
Lebens durch alle Vereine, Gemeinden, Kreiſe und Staaten hindurch-
gehen. Alles Natur-Unglück, wie Feuersgefahr, Seegefahr, trägt
ſich leicht, wenn Alle den Schaden Einzelner tragen. Das Ge-
zahlte drückt Niemanden, und Keiner verdirbt. Dies all-
gemeine Verſicherungsgeſchäft muß ſich nun an die vorhin
beſchriebenen Banken anlehnen. Die landwirthſchaftlichen Banken
werden etwa Verſicherungen gegen Hagel übernehmen, wenn keine
beſondere örtliche Anſtalten dafür ſich bilden; was immer ge-
fährlich iſt, weil die Gefahr oft dieſelben Orte trifft. Beſonders
die gewerblichen Banken verlangen, um z. B. den Manufactur-
Credit zu ſeiner vollkommenen Ausbildung zu bringen, eine be-
deutende Entwickelung des Syſtems der Verſicherungen, welche
ſich bis auf das gegenſeitige Tragen der Wechſelfälle der verſchie-
denen Gewerbzweige unter einander erſtrecken kann.

Hieran ſchließen ſich Wittwenkaſſen durch gemeinſchaft-
liche Beiträge gegründet, ebenſo Krankenkaſſen, Vorſchuß-
Kaſſen, Sparkaſſen
u. ſ. w. Die Hülfe eines Vorſchuſſes
durch den Gewerbe- oder Gemeindebezirks-Verein hat nichts De-
müthigendes mehr, und entzieht den kleinen Meiſter dem Wucher.
Der Beſitz der oben beſchriebenen Rentenbillete wäre für ſich eine
Sparkaſſe. Proudhon will alle dieſe Geſchäfte mit ſeiner Volks-
bank in Verbindung bringen, die Bankbillete aber zinslos aus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0132" n="122"/>
eine &#x017F;ehr geringe Anzahl Männer, &#x017F;ind eigentliche Staatsbeamte,<lb/>
und darum allein von der Theilnahme an der ge&#x017F;etzgebenden und<lb/>
verwaltenden Gewalt ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, eben weil &#x017F;ie &#x017F;chon der aus-<lb/>
übenden angehören, und die Trennung der Gewalten der er&#x017F;te<lb/>
Grund&#x017F;atz eines freien Staatslebens i&#x017F;t. So, aber auch nur &#x017F;o,<lb/>
kann der Schlange der Beamtenherr&#x017F;chaft der Kopf zertreten wer-<lb/>
den. Nur &#x017F;o werden wir des traurigen Schau&#x017F;piels überhoben<lb/>
&#x017F;ein, daß durch Maßregelung der gei&#x017F;tigen Arbeiter der Kampf<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Hunger und ihrem Gewi&#x017F;&#x017F;en gefli&#x017F;&#x017F;entlich hervorge-<lb/>
rufen, und &#x017F;o die Sittlichkeit des ganzen Volksbewußt&#x017F;eins ver-<lb/>
giftet wird. &#x201E;Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und ihre Lehre i&#x017F;t frei,&#x201F; &#x017F;agt der<lb/>
Artikel 17. der Verfa&#x017F;&#x017F;ungsurkunde vom 5. December.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>&#x03B2;) <hi rendition="#g">Unter&#x017F;tützungska&#x017F;&#x017F;en.</hi></head><lb/>
              <p>Ein umfa&#x017F;&#x017F;endes Ver&#x017F;icherungs&#x017F;y&#x017F;tem muß in jedem ein-<lb/>
zelnen Arbeitszweige und für die ver&#x017F;chiedenen Wech&#x017F;elfälle des<lb/>
Lebens durch alle Vereine, Gemeinden, Krei&#x017F;e und Staaten hindurch-<lb/>
gehen. Alles Natur-Unglück, wie Feuersgefahr, Seegefahr, trägt<lb/>
&#x017F;ich leicht, wenn Alle den Schaden Einzelner tragen. Das Ge-<lb/>
zahlte drückt Niemanden, und Keiner verdirbt. Dies all-<lb/>
gemeine <hi rendition="#g">Ver&#x017F;icherungsge&#x017F;chäft</hi> muß &#x017F;ich nun an die vorhin<lb/>
be&#x017F;chriebenen Banken anlehnen. Die landwirth&#x017F;chaftlichen Banken<lb/>
werden etwa Ver&#x017F;icherungen gegen Hagel übernehmen, wenn keine<lb/>
be&#x017F;ondere örtliche An&#x017F;talten dafür &#x017F;ich bilden; was immer ge-<lb/>
fährlich i&#x017F;t, weil die Gefahr oft die&#x017F;elben Orte trifft. Be&#x017F;onders<lb/>
die gewerblichen Banken verlangen, um z. B. den Manufactur-<lb/>
Credit zu &#x017F;einer vollkommenen Ausbildung zu bringen, eine be-<lb/>
deutende Entwickelung des Sy&#x017F;tems der Ver&#x017F;icherungen, welche<lb/>
&#x017F;ich bis auf das gegen&#x017F;eitige Tragen der Wech&#x017F;elfälle der ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Gewerbzweige unter einander er&#x017F;trecken kann.</p><lb/>
              <p>Hieran &#x017F;chließen &#x017F;ich <hi rendition="#g">Wittwenka&#x017F;&#x017F;en</hi> durch gemein&#x017F;chaft-<lb/>
liche Beiträge gegründet, eben&#x017F;o <hi rendition="#g">Krankenka&#x017F;&#x017F;en, Vor&#x017F;chuß-<lb/>
Ka&#x017F;&#x017F;en, Sparka&#x017F;&#x017F;en</hi> u. &#x017F;. w. Die Hülfe eines Vor&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
durch den Gewerbe- oder Gemeindebezirks-Verein hat nichts De-<lb/>
müthigendes mehr, und entzieht den kleinen Mei&#x017F;ter dem Wucher.<lb/>
Der Be&#x017F;itz der oben be&#x017F;chriebenen Rentenbillete wäre für &#x017F;ich eine<lb/>
Sparka&#x017F;&#x017F;e. Proudhon will alle die&#x017F;e Ge&#x017F;chäfte mit &#x017F;einer Volks-<lb/>
bank in Verbindung bringen, die Bankbillete aber zinslos aus-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0132] eine ſehr geringe Anzahl Männer, ſind eigentliche Staatsbeamte, und darum allein von der Theilnahme an der geſetzgebenden und verwaltenden Gewalt ausgeſchloſſen, eben weil ſie ſchon der aus- übenden angehören, und die Trennung der Gewalten der erſte Grundſatz eines freien Staatslebens iſt. So, aber auch nur ſo, kann der Schlange der Beamtenherrſchaft der Kopf zertreten wer- den. Nur ſo werden wir des traurigen Schauſpiels überhoben ſein, daß durch Maßregelung der geiſtigen Arbeiter der Kampf zwiſchen dem Hunger und ihrem Gewiſſen gefliſſentlich hervorge- rufen, und ſo die Sittlichkeit des ganzen Volksbewußtſeins ver- giftet wird. „Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei,‟ ſagt der Artikel 17. der Verfaſſungsurkunde vom 5. December. β) Unterſtützungskaſſen. Ein umfaſſendes Verſicherungsſyſtem muß in jedem ein- zelnen Arbeitszweige und für die verſchiedenen Wechſelfälle des Lebens durch alle Vereine, Gemeinden, Kreiſe und Staaten hindurch- gehen. Alles Natur-Unglück, wie Feuersgefahr, Seegefahr, trägt ſich leicht, wenn Alle den Schaden Einzelner tragen. Das Ge- zahlte drückt Niemanden, und Keiner verdirbt. Dies all- gemeine Verſicherungsgeſchäft muß ſich nun an die vorhin beſchriebenen Banken anlehnen. Die landwirthſchaftlichen Banken werden etwa Verſicherungen gegen Hagel übernehmen, wenn keine beſondere örtliche Anſtalten dafür ſich bilden; was immer ge- fährlich iſt, weil die Gefahr oft dieſelben Orte trifft. Beſonders die gewerblichen Banken verlangen, um z. B. den Manufactur- Credit zu ſeiner vollkommenen Ausbildung zu bringen, eine be- deutende Entwickelung des Syſtems der Verſicherungen, welche ſich bis auf das gegenſeitige Tragen der Wechſelfälle der verſchie- denen Gewerbzweige unter einander erſtrecken kann. Hieran ſchließen ſich Wittwenkaſſen durch gemeinſchaft- liche Beiträge gegründet, ebenſo Krankenkaſſen, Vorſchuß- Kaſſen, Sparkaſſen u. ſ. w. Die Hülfe eines Vorſchuſſes durch den Gewerbe- oder Gemeindebezirks-Verein hat nichts De- müthigendes mehr, und entzieht den kleinen Meiſter dem Wucher. Der Beſitz der oben beſchriebenen Rentenbillete wäre für ſich eine Sparkaſſe. Proudhon will alle dieſe Geſchäfte mit ſeiner Volks- bank in Verbindung bringen, die Bankbillete aber zinslos aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/132
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/132>, abgerufen am 21.11.2024.