Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

umwälzung des März anzuerkennen. "Jn der Gesetzgebung,"
sagte Hansemann in der Sitzung vom 26. Juni, "in der Ver-
waltung, in unserem Thun und Handeln -- nicht in abstracten
Erklärungen, die verschiedenartiger Deutung ausgesetzt sind --
fassen wir die denkwürdigen Ereignisse des Monats März und
unsere Anerkennung der damals stattgehabten Revolution
auf; einer Revolution, deren ruhmvoller und eigenthümlicher Cha-
rakter darin besteht, daß sie -- ohne Umsturz aller staatlichen
Verhältnisse -- die constitutionelle Freiheit begründet und das
Recht zur Geltung gebracht hat. Auf rechtlicher Grund-
lage steht diese Versammlung, steht die Krone; diese
Grundlage halten wir fest.
" Jch halte diese Aeußerung für
höchst wichtig, indem sie mit der Anerkennung der Staatsumwäl-
zung die der ununterbrochenen Stätigkeit des Rechtsbodens aus-
sprach, welche seitdem in Preußen verloren gegangen ist.

Die Thätigkeit des Ministeriums entwickelte sich sehr erfreu-
lich; die Volksvertretung blieb mit ihrem Gesetzvorschlagsrecht
nicht im Rückstande bei dem guten Beispiel, welches das Mini-
sterium gab. Und wenn auch die betreffenden Entwürfe von
Verfassungs-Gesetzen nur langsam zur Berathung in den öffent-
lichen Sitzungen kamen, weil die Volksvertreter die engen Grund-
lagen dieser Vorschläge im Sinne der Neuzeit vielfach umgestalten
mußten, so arbeiteten doch die Abtheilungen am Verfassungs-Ent-
wurfe und den übrigen Gesetzen sehr ämsig. Und wahrlich, nur
die größte Ungerechtigkeit konnte die Versammlung der Unthätig-
keit, ja der Unfähigkeit beschuldigen. Weder durch die Angriffe
der Freistaatspartei, noch durch die der Rückschrittsmänner ließ
sie sich beirren. Das Schlimme war nur, daß, wenn die Wüh-
lereien der letztern, z. B. die Angriffe auf die Volksthümlichen
in Charlottenburg am 20. August den Angriff auf die Minister-
wohnungen am folgenden Tage herbeiführten, der Haß der Rück-
schrittsmänner gegen die Versammlung dadurch immer mehr ge-
steigert wurde. Es ist nicht zu läugnen, daß auch die Wühlereien
der Freistaatsmänner Ausschweifungen der entgegengesetzten Par-
tei hervorgebracht haben. Die äußersten Parteien haben sich, wie
in der französischen Staatsumwälzung von 1789, immer einander
in die Hände gearbeitet; es scheint, als ob beide deren Geschichte

umwälzung des März anzuerkennen. „Jn der Geſetzgebung,‟
ſagte Hanſemann in der Sitzung vom 26. Juni, „in der Ver-
waltung, in unſerem Thun und Handeln — nicht in abſtracten
Erklärungen, die verſchiedenartiger Deutung ausgeſetzt ſind —
faſſen wir die denkwürdigen Ereigniſſe des Monats März und
unſere Anerkennung der damals ſtattgehabten Revolution
auf; einer Revolution, deren ruhmvoller und eigenthümlicher Cha-
rakter darin beſteht, daß ſie — ohne Umſturz aller ſtaatlichen
Verhältniſſe — die conſtitutionelle Freiheit begründet und das
Recht zur Geltung gebracht hat. Auf rechtlicher Grund-
lage ſteht dieſe Verſammlung, ſteht die Krone; dieſe
Grundlage halten wir feſt.
‟ Jch halte dieſe Aeußerung für
höchſt wichtig, indem ſie mit der Anerkennung der Staatsumwäl-
zung die der ununterbrochenen Stätigkeit des Rechtsbodens aus-
ſprach, welche ſeitdem in Preußen verloren gegangen iſt.

Die Thätigkeit des Miniſteriums entwickelte ſich ſehr erfreu-
lich; die Volksvertretung blieb mit ihrem Geſetzvorſchlagsrecht
nicht im Rückſtande bei dem guten Beiſpiel, welches das Mini-
ſterium gab. Und wenn auch die betreffenden Entwürfe von
Verfaſſungs-Geſetzen nur langſam zur Berathung in den öffent-
lichen Sitzungen kamen, weil die Volksvertreter die engen Grund-
lagen dieſer Vorſchläge im Sinne der Neuzeit vielfach umgeſtalten
mußten, ſo arbeiteten doch die Abtheilungen am Verfaſſungs-Ent-
wurfe und den übrigen Geſetzen ſehr ämſig. Und wahrlich, nur
die größte Ungerechtigkeit konnte die Verſammlung der Unthätig-
keit, ja der Unfähigkeit beſchuldigen. Weder durch die Angriffe
der Freiſtaatspartei, noch durch die der Rückſchrittsmänner ließ
ſie ſich beirren. Das Schlimme war nur, daß, wenn die Wüh-
lereien der letztern, z. B. die Angriffe auf die Volksthümlichen
in Charlottenburg am 20. Auguſt den Angriff auf die Miniſter-
wohnungen am folgenden Tage herbeiführten, der Haß der Rück-
ſchrittsmänner gegen die Verſammlung dadurch immer mehr ge-
ſteigert wurde. Es iſt nicht zu läugnen, daß auch die Wühlereien
der Freiſtaatsmänner Ausſchweifungen der entgegengeſetzten Par-
tei hervorgebracht haben. Die äußerſten Parteien haben ſich, wie
in der franzöſiſchen Staatsumwälzung von 1789, immer einander
in die Hände gearbeitet; es ſcheint, als ob beide deren Geſchichte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="5"/>
umwälzung des März anzuerkennen. &#x201E;Jn der Ge&#x017F;etzgebung,&#x201F;<lb/>
&#x017F;agte <hi rendition="#g">Han&#x017F;emann</hi> in der Sitzung vom 26. Juni, &#x201E;in der Ver-<lb/>
waltung, in un&#x017F;erem Thun und Handeln &#x2014; nicht in ab&#x017F;tracten<lb/>
Erklärungen, die ver&#x017F;chiedenartiger Deutung ausge&#x017F;etzt &#x017F;ind &#x2014;<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en wir die denkwürdigen Ereigni&#x017F;&#x017F;e des Monats März und<lb/>
un&#x017F;ere Anerkennung der <hi rendition="#g">damals &#x017F;tattgehabten Revolution</hi><lb/>
auf; einer Revolution, deren ruhmvoller und eigenthümlicher Cha-<lb/>
rakter darin be&#x017F;teht, daß &#x017F;ie &#x2014; ohne Um&#x017F;turz aller &#x017F;taatlichen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x2014; die con&#x017F;titutionelle Freiheit begründet und das<lb/>
Recht zur Geltung gebracht hat. <hi rendition="#g">Auf rechtlicher Grund-<lb/>
lage &#x017F;teht die&#x017F;e Ver&#x017F;ammlung, &#x017F;teht die Krone; die&#x017F;e<lb/>
Grundlage halten wir fe&#x017F;t.</hi>&#x201F; Jch halte die&#x017F;e Aeußerung für<lb/>
höch&#x017F;t wichtig, indem &#x017F;ie mit der Anerkennung der Staatsumwäl-<lb/>
zung die der ununterbrochenen Stätigkeit des Rechtsbodens aus-<lb/>
&#x017F;prach, welche &#x017F;eitdem in Preußen verloren gegangen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Die Thätigkeit des Mini&#x017F;teriums entwickelte &#x017F;ich &#x017F;ehr erfreu-<lb/>
lich; die Volksvertretung blieb mit ihrem Ge&#x017F;etzvor&#x017F;chlagsrecht<lb/>
nicht im Rück&#x017F;tande bei dem guten Bei&#x017F;piel, welches das Mini-<lb/>
&#x017F;terium gab. Und wenn auch die betreffenden Entwürfe von<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ungs-Ge&#x017F;etzen nur lang&#x017F;am zur Berathung in den öffent-<lb/>
lichen Sitzungen kamen, weil die Volksvertreter die engen Grund-<lb/>
lagen die&#x017F;er Vor&#x017F;chläge im Sinne der Neuzeit vielfach umge&#x017F;talten<lb/>
mußten, &#x017F;o arbeiteten doch die Abtheilungen am Verfa&#x017F;&#x017F;ungs-Ent-<lb/>
wurfe und den übrigen Ge&#x017F;etzen &#x017F;ehr äm&#x017F;ig. Und wahrlich, nur<lb/>
die größte Ungerechtigkeit konnte die Ver&#x017F;ammlung der Unthätig-<lb/>
keit, ja der Unfähigkeit be&#x017F;chuldigen. Weder durch die Angriffe<lb/>
der Frei&#x017F;taatspartei, noch durch die der Rück&#x017F;chrittsmänner ließ<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich beirren. Das Schlimme war nur, daß, wenn die Wüh-<lb/>
lereien der letztern, z. B. die Angriffe auf die Volksthümlichen<lb/>
in Charlottenburg am 20. Augu&#x017F;t den Angriff auf die Mini&#x017F;ter-<lb/>
wohnungen am folgenden Tage herbeiführten, der Haß der Rück-<lb/>
&#x017F;chrittsmänner gegen die Ver&#x017F;ammlung dadurch immer mehr ge-<lb/>
&#x017F;teigert wurde. Es i&#x017F;t nicht zu läugnen, daß auch die Wühlereien<lb/>
der Frei&#x017F;taatsmänner Aus&#x017F;chweifungen der entgegenge&#x017F;etzten Par-<lb/>
tei hervorgebracht haben. Die äußer&#x017F;ten Parteien haben &#x017F;ich, wie<lb/>
in der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Staatsumwälzung von 1789, immer einander<lb/>
in die Hände gearbeitet; es &#x017F;cheint, als ob beide deren Ge&#x017F;chichte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0015] umwälzung des März anzuerkennen. „Jn der Geſetzgebung,‟ ſagte Hanſemann in der Sitzung vom 26. Juni, „in der Ver- waltung, in unſerem Thun und Handeln — nicht in abſtracten Erklärungen, die verſchiedenartiger Deutung ausgeſetzt ſind — faſſen wir die denkwürdigen Ereigniſſe des Monats März und unſere Anerkennung der damals ſtattgehabten Revolution auf; einer Revolution, deren ruhmvoller und eigenthümlicher Cha- rakter darin beſteht, daß ſie — ohne Umſturz aller ſtaatlichen Verhältniſſe — die conſtitutionelle Freiheit begründet und das Recht zur Geltung gebracht hat. Auf rechtlicher Grund- lage ſteht dieſe Verſammlung, ſteht die Krone; dieſe Grundlage halten wir feſt.‟ Jch halte dieſe Aeußerung für höchſt wichtig, indem ſie mit der Anerkennung der Staatsumwäl- zung die der ununterbrochenen Stätigkeit des Rechtsbodens aus- ſprach, welche ſeitdem in Preußen verloren gegangen iſt. Die Thätigkeit des Miniſteriums entwickelte ſich ſehr erfreu- lich; die Volksvertretung blieb mit ihrem Geſetzvorſchlagsrecht nicht im Rückſtande bei dem guten Beiſpiel, welches das Mini- ſterium gab. Und wenn auch die betreffenden Entwürfe von Verfaſſungs-Geſetzen nur langſam zur Berathung in den öffent- lichen Sitzungen kamen, weil die Volksvertreter die engen Grund- lagen dieſer Vorſchläge im Sinne der Neuzeit vielfach umgeſtalten mußten, ſo arbeiteten doch die Abtheilungen am Verfaſſungs-Ent- wurfe und den übrigen Geſetzen ſehr ämſig. Und wahrlich, nur die größte Ungerechtigkeit konnte die Verſammlung der Unthätig- keit, ja der Unfähigkeit beſchuldigen. Weder durch die Angriffe der Freiſtaatspartei, noch durch die der Rückſchrittsmänner ließ ſie ſich beirren. Das Schlimme war nur, daß, wenn die Wüh- lereien der letztern, z. B. die Angriffe auf die Volksthümlichen in Charlottenburg am 20. Auguſt den Angriff auf die Miniſter- wohnungen am folgenden Tage herbeiführten, der Haß der Rück- ſchrittsmänner gegen die Verſammlung dadurch immer mehr ge- ſteigert wurde. Es iſt nicht zu läugnen, daß auch die Wühlereien der Freiſtaatsmänner Ausſchweifungen der entgegengeſetzten Par- tei hervorgebracht haben. Die äußerſten Parteien haben ſich, wie in der franzöſiſchen Staatsumwälzung von 1789, immer einander in die Hände gearbeitet; es ſcheint, als ob beide deren Geſchichte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/15
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/15>, abgerufen am 23.11.2024.