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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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lichkeit, meinen Lebensunterhalt zu finden, würde erst dann ein-
treten, wenn schon die ganze Erde in Besitz genommen wäre, und
ich zu spät käme, mir ein Plätzchen darin anzueignen.

Dies ist freilich noch nicht durchaus der Fall, aber doch wohl
in gebildeten Ländern. Die Frage, wie ich durch Arbeit erwerbe,
um zu genießen, ist daher bis jetzt nur auf eine einseitige Weise
von uns beantwortet worden, nämlich unter der Voraussetzung
eines einsiedlerischen, auf sich selbst beschränkten Lebens, welches
jede Familie führte. Diese ist zunächst auf einen Punkt der Na-
tur gestellt, wo sie durch Arbeit selbst für die Befriedigung aller
ihrer Bedürfnisse sorgt. Es ist dies ein Vorwalten des Einzel-
lebens, wie wir es nur in den dunkeln Anfängen der Geschichte
kennen. Es ist der Zustand, in welchem der Dichter die Cyklopen
schildert:

-- und jeglicher richtet nach Willkür
Weiber und Kinder allein; und Niemand achtet des Andern.

Auch von den uralten Germanen wird erzählt, "sie haben nicht in
Städten zusammengewohnt, sondern jede Familie ihr Haus ent-
fernt von dem der andern gesetzt, mitten im Felde, das sie bear-
beitete." Bei einem solchen Zustande der Menschen werden nur
die einfachsten und natürlichsten Bedürfnisse, und zwar auf die
einfachste und natürlichste Weise befriedigt, weil eine Familie nicht
die Geschicklichkeit besitzt, eine große Mannigfaltigkeit in der Bear-
beitung der Naturgegenstände eintreten zu lassen. Jemehr sich aber
zweitens die Bedürfnisse der Menschen theilen und verfeinern, was
Hand in Hand mit der geistigen Ausbildung des Volkes geht,
destoweniger ist Eine Familie im Stande, alle ihre Bedürfnisse durch
Arbeit zu befriedigen. Die Eine wohnt auf solchem Boden, die
andere auf einem andern. Je nachdem ihr Eigenthum in diesen
oder jenen Natur-Erzeugnissen besteht, wird sie eine andere Arbeit
vornehmen müssen. Die Erzeugnisse ihrer Arbeit dienen mithin
nur dazu, Eine Art von Bedürfnissen zu befriedigen; und um sie
alle befriedigen zu können, müssen die Menschen durch Tausch die-
jenigen Waaren sich zu verschaffen suchen, welche sie nicht selber
erzeugen. Das Geld ist als allgemeiner Werthmesser das Mittel,
den Tausch zu bewerkstelligen, auch wo nicht unmittelbar Waare
gegen Waare gegeben werden kann. Dennoch kann immer nur

lichkeit, meinen Lebensunterhalt zu finden, würde erſt dann ein-
treten, wenn ſchon die ganze Erde in Beſitz genommen wäre, und
ich zu ſpät käme, mir ein Plätzchen darin anzueignen.

Dies iſt freilich noch nicht durchaus der Fall, aber doch wohl
in gebildeten Ländern. Die Frage, wie ich durch Arbeit erwerbe,
um zu genießen, iſt daher bis jetzt nur auf eine einſeitige Weiſe
von uns beantwortet worden, nämlich unter der Vorausſetzung
eines einſiedleriſchen, auf ſich ſelbſt beſchränkten Lebens, welches
jede Familie führte. Dieſe iſt zunächſt auf einen Punkt der Na-
tur geſtellt, wo ſie durch Arbeit ſelbſt für die Befriedigung aller
ihrer Bedürfniſſe ſorgt. Es iſt dies ein Vorwalten des Einzel-
lebens, wie wir es nur in den dunkeln Anfängen der Geſchichte
kennen. Es iſt der Zuſtand, in welchem der Dichter die Cyklopen
ſchildert:

— und jeglicher richtet nach Willkür
Weiber und Kinder allein; und Niemand achtet des Andern.

Auch von den uralten Germanen wird erzählt, „ſie haben nicht in
Städten zuſammengewohnt, ſondern jede Familie ihr Haus ent-
fernt von dem der andern geſetzt, mitten im Felde, das ſie bear-
beitete.‟ Bei einem ſolchen Zuſtande der Menſchen werden nur
die einfachſten und natürlichſten Bedürfniſſe, und zwar auf die
einfachſte und natürlichſte Weiſe befriedigt, weil eine Familie nicht
die Geſchicklichkeit beſitzt, eine große Mannigfaltigkeit in der Bear-
beitung der Naturgegenſtände eintreten zu laſſen. Jemehr ſich aber
zweitens die Bedürfniſſe der Menſchen theilen und verfeinern, was
Hand in Hand mit der geiſtigen Ausbildung des Volkes geht,
deſtoweniger iſt Eine Familie im Stande, alle ihre Bedürfniſſe durch
Arbeit zu befriedigen. Die Eine wohnt auf ſolchem Boden, die
andere auf einem andern. Je nachdem ihr Eigenthum in dieſen
oder jenen Natur-Erzeugniſſen beſteht, wird ſie eine andere Arbeit
vornehmen müſſen. Die Erzeugniſſe ihrer Arbeit dienen mithin
nur dazu, Eine Art von Bedürfniſſen zu befriedigen; und um ſie
alle befriedigen zu können, müſſen die Menſchen durch Tauſch die-
jenigen Waaren ſich zu verſchaffen ſuchen, welche ſie nicht ſelber
erzeugen. Das Geld iſt als allgemeiner Werthmeſſer das Mittel,
den Tauſch zu bewerkſtelligen, auch wo nicht unmittelbar Waare
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[44/0054] lichkeit, meinen Lebensunterhalt zu finden, würde erſt dann ein- treten, wenn ſchon die ganze Erde in Beſitz genommen wäre, und ich zu ſpät käme, mir ein Plätzchen darin anzueignen. Dies iſt freilich noch nicht durchaus der Fall, aber doch wohl in gebildeten Ländern. Die Frage, wie ich durch Arbeit erwerbe, um zu genießen, iſt daher bis jetzt nur auf eine einſeitige Weiſe von uns beantwortet worden, nämlich unter der Vorausſetzung eines einſiedleriſchen, auf ſich ſelbſt beſchränkten Lebens, welches jede Familie führte. Dieſe iſt zunächſt auf einen Punkt der Na- tur geſtellt, wo ſie durch Arbeit ſelbſt für die Befriedigung aller ihrer Bedürfniſſe ſorgt. Es iſt dies ein Vorwalten des Einzel- lebens, wie wir es nur in den dunkeln Anfängen der Geſchichte kennen. Es iſt der Zuſtand, in welchem der Dichter die Cyklopen ſchildert: — und jeglicher richtet nach Willkür Weiber und Kinder allein; und Niemand achtet des Andern. Auch von den uralten Germanen wird erzählt, „ſie haben nicht in Städten zuſammengewohnt, ſondern jede Familie ihr Haus ent- fernt von dem der andern geſetzt, mitten im Felde, das ſie bear- beitete.‟ Bei einem ſolchen Zuſtande der Menſchen werden nur die einfachſten und natürlichſten Bedürfniſſe, und zwar auf die einfachſte und natürlichſte Weiſe befriedigt, weil eine Familie nicht die Geſchicklichkeit beſitzt, eine große Mannigfaltigkeit in der Bear- beitung der Naturgegenſtände eintreten zu laſſen. Jemehr ſich aber zweitens die Bedürfniſſe der Menſchen theilen und verfeinern, was Hand in Hand mit der geiſtigen Ausbildung des Volkes geht, deſtoweniger iſt Eine Familie im Stande, alle ihre Bedürfniſſe durch Arbeit zu befriedigen. Die Eine wohnt auf ſolchem Boden, die andere auf einem andern. Je nachdem ihr Eigenthum in dieſen oder jenen Natur-Erzeugniſſen beſteht, wird ſie eine andere Arbeit vornehmen müſſen. Die Erzeugniſſe ihrer Arbeit dienen mithin nur dazu, Eine Art von Bedürfniſſen zu befriedigen; und um ſie alle befriedigen zu können, müſſen die Menſchen durch Tauſch die- jenigen Waaren ſich zu verſchaffen ſuchen, welche ſie nicht ſelber erzeugen. Das Geld iſt als allgemeiner Werthmeſſer das Mittel, den Tauſch zu bewerkſtelligen, auch wo nicht unmittelbar Waare gegen Waare gegeben werden kann. Dennoch kann immer nur

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/54>, abgerufen am 21.11.2024.