Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.zumuthete. Die leibliche Sklaverei eines Theils der Staatsein- Wie Plato's Hirngespinnst dem Sklaventhum des Alter- zumuthete. Die leibliche Sklaverei eines Theils der Staatsein- Wie Plato’s Hirngeſpinnſt dem Sklaventhum des Alter- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0078" n="68"/> zumuthete. Die leibliche Sklaverei eines Theils der Staatsein-<lb/> wohner wollte Plato abſchaffen, ſetzte aber die geiſtige Sklaverei<lb/> aller an die Stelle.</p><lb/> <p>Wie Plato’s Hirngeſpinnſt dem Sklaventhum des Alter-<lb/> thums abhelfen ſollte, ſo entſtand aus den Bewegungen der<lb/> Luther’ſchen Kirchenverbeſſerung ein neues Jdeal, welches, aus ähn-<lb/> lichen Freiheitsgedanken, wie die Sokratiſchen, entſprungen, auch<lb/> einen ähnlichen Jnhalt hatte. Der Unterſchied lag nur darin,<lb/> daß es nicht mehr der Sklaverei des Alterthums, ſondern dem<lb/> Zunftzwange des Mittelalters entgegentrat. Sowohl unter<lb/> Bauern als Handwerkern hatte ſich der Gedanke eines neuen ge-<lb/> ſellſchaftlichen Lebens, einer gleichen Theilung der Güter, einer<lb/> Gemeinſchaft der Weiber verbreitet. Das Ergebniß ſolcher Lehren<lb/> waren einerſeits der Bauerkrieg, andererſeits das Entſtehen mehre-<lb/> rer religiöſer Sekten, namentlich der <hi rendition="#g">Wiedertäufer. Karlſtadt,<lb/> Thomas Münzer</hi> und <hi rendition="#g">Johann von Leyden</hi> waren die<lb/> hauptſächlichſten Perſönlichkeiten, an die ſich dieſe neuen Bewe-<lb/> gungen lehnten. Es ſollte dies die Verwirklichung der chriſt-<lb/> lichen Lehre von der allgemeinen Brüderſchaft aller Menſchen ſein,<lb/> und damit die von Luther errungene religiöſe Freiheit ins ge-<lb/> ſellſchaftliche Leben übergeführt werden. „Ein Chriſt,‟ ſagten die<lb/> Wiedertäufer, „ſoll keine Obrigkeit haben, denn die Diener<lb/> des Wortes; ein Chriſt ſoll nichts Eigenes haben, ſondern wo<lb/> man eine Brüderſchaft hat, ſeine Güter zu gemeinſamem Gebrauche<lb/> geben.‟ Dieſe Brüderſchaft der freien Gemeinde Gottes hatte ſich ledig-<lb/> lich auf ſich ſelbſt geſtellt, um ein neues Reich der Welt zu begründen,<lb/> in welchem einzig und allein die Frommen und Unſchuldigen regieren<lb/> ſollten. Jndem der Prieſter aber dann der Leiter dieſer freien Ge-<lb/> meinde ſein ſollte, zeigten die Wiedertäufer, daß ſie noch auf dem<lb/> religiöſen Boden ſtehen geblieben ſind, das Laienthum noch nicht<lb/> überwunden haben, und die freie Bewegung des Einzelnen für<lb/> die Bewerkſtelligung ſeines Wohls noch nicht zum Grundſatz er-<lb/> heben konnten. Aus dieſem Grunde ſcheiterte damals noch das<lb/> Weltlich-Werden der religiöſen Bewegung: doch entſpann ſich<lb/> daraus der merkwürdige Gedanke, daß jedes Handwerk ein öffent-<lb/> liches, dem Ausübenden vom Staat übertragenes Amt ſei; wor-<lb/> aus alſo folgt, daß jeder Handwerker, wie der Beamte, Gehalt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0078]
zumuthete. Die leibliche Sklaverei eines Theils der Staatsein-
wohner wollte Plato abſchaffen, ſetzte aber die geiſtige Sklaverei
aller an die Stelle.
Wie Plato’s Hirngeſpinnſt dem Sklaventhum des Alter-
thums abhelfen ſollte, ſo entſtand aus den Bewegungen der
Luther’ſchen Kirchenverbeſſerung ein neues Jdeal, welches, aus ähn-
lichen Freiheitsgedanken, wie die Sokratiſchen, entſprungen, auch
einen ähnlichen Jnhalt hatte. Der Unterſchied lag nur darin,
daß es nicht mehr der Sklaverei des Alterthums, ſondern dem
Zunftzwange des Mittelalters entgegentrat. Sowohl unter
Bauern als Handwerkern hatte ſich der Gedanke eines neuen ge-
ſellſchaftlichen Lebens, einer gleichen Theilung der Güter, einer
Gemeinſchaft der Weiber verbreitet. Das Ergebniß ſolcher Lehren
waren einerſeits der Bauerkrieg, andererſeits das Entſtehen mehre-
rer religiöſer Sekten, namentlich der Wiedertäufer. Karlſtadt,
Thomas Münzer und Johann von Leyden waren die
hauptſächlichſten Perſönlichkeiten, an die ſich dieſe neuen Bewe-
gungen lehnten. Es ſollte dies die Verwirklichung der chriſt-
lichen Lehre von der allgemeinen Brüderſchaft aller Menſchen ſein,
und damit die von Luther errungene religiöſe Freiheit ins ge-
ſellſchaftliche Leben übergeführt werden. „Ein Chriſt,‟ ſagten die
Wiedertäufer, „ſoll keine Obrigkeit haben, denn die Diener
des Wortes; ein Chriſt ſoll nichts Eigenes haben, ſondern wo
man eine Brüderſchaft hat, ſeine Güter zu gemeinſamem Gebrauche
geben.‟ Dieſe Brüderſchaft der freien Gemeinde Gottes hatte ſich ledig-
lich auf ſich ſelbſt geſtellt, um ein neues Reich der Welt zu begründen,
in welchem einzig und allein die Frommen und Unſchuldigen regieren
ſollten. Jndem der Prieſter aber dann der Leiter dieſer freien Ge-
meinde ſein ſollte, zeigten die Wiedertäufer, daß ſie noch auf dem
religiöſen Boden ſtehen geblieben ſind, das Laienthum noch nicht
überwunden haben, und die freie Bewegung des Einzelnen für
die Bewerkſtelligung ſeines Wohls noch nicht zum Grundſatz er-
heben konnten. Aus dieſem Grunde ſcheiterte damals noch das
Weltlich-Werden der religiöſen Bewegung: doch entſpann ſich
daraus der merkwürdige Gedanke, daß jedes Handwerk ein öffent-
liches, dem Ausübenden vom Staat übertragenes Amt ſei; wor-
aus alſo folgt, daß jeder Handwerker, wie der Beamte, Gehalt
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