Jetzt noch ein paar Laienbemerkungen über balneolo- gische Literatur. Daß bei Verfassern von Monographien der Localpatriotismus immer sehr stark entwickelt ist, Miß- stände des eigenen Orts und Vorzüge anderer, mit denen er verglichen wird, ihnen entgehen, soll Niemand zum schweren Vorwurf gemacht werden. Der Patriotismus hat einmal mit dem Egoismus jene optischen Täuschungen gemein, von denen das Gleichniß vom Splitter und Balken spricht. Auch soll unsre Anerkennung der Gründlichkeit so manches Mono- grammatikers nicht vorenthalten werden, mit der er alle Bestandtheile seines Mineralwassers auffand, bis auf 0,001 Extractivstoff, Spuren von Eisenoxydul und Thonerde; eben- sowenig seinem Scharfblick, welcher erkannte, daß "so förmlich für Heilzwecke geschaffen", wie der seinige, kein andrer Ort der Welt ist, daß derselbe z. B. Bergtriften behufs Bereitung von Molke und Kräutersäften besitzt, wie sie sonst auf dem Erdenrund nicht vorkommen, daß seine Quelle, die "stille Freundin des vegetativen Lebens", die "sanft in den Orga- nismus sich schleichende Schmeichlerin", beim Trinken "ein balsamartiges Gefühl" bewirke. Und obwohl die Natur just auf diesen Ort das überschwänglichste ihrer Füllhörner aus- gegossen, so sei dennoch der Vorstand weit entfernt, deshalb die Hände in den Schooß zu legen, vielmehr unermüdlich bestrebt, um jeder Anforderung zu genügen, auch alle übrigen Curmittel herbeizuschaffen. Unter Anderem halte Herr Apo- theker Gaugengiggl ein Lager aller natürlichen und künstlichen Brunnen, könne auch zum medicinischen Gebrauch Trauben aus den besten Bezugsquellen besorgen. Dem genannten Herrn sei es ferner gelungen, ein chemisch reines natrum sulphuricum -- der Credit dieses bekannten thätigen Stoff- wechselagenten würde leiden, wenn statt seines wissenschaft- lichen Titels sein Vulgarname Glaubersalz genannt würde -- darzustellen, welches als Zusatz zum Mineralwasser, die "discret eröffnende" Wirkung steigernd, treffliche Dienste leiste.
V. Balneologie und Klimatologie.
Jetzt noch ein paar Laienbemerkungen über balneolo- giſche Literatur. Daß bei Verfaſſern von Monographien der Localpatriotismus immer ſehr ſtark entwickelt iſt, Miß- ſtände des eigenen Orts und Vorzüge anderer, mit denen er verglichen wird, ihnen entgehen, ſoll Niemand zum ſchweren Vorwurf gemacht werden. Der Patriotismus hat einmal mit dem Egoismus jene optiſchen Täuſchungen gemein, von denen das Gleichniß vom Splitter und Balken ſpricht. Auch ſoll unſre Anerkennung der Gründlichkeit ſo manches Mono- grammatikers nicht vorenthalten werden, mit der er alle Beſtandtheile ſeines Mineralwaſſers auffand, bis auf 0,001 Extractivſtoff, Spuren von Eiſenoxydul und Thonerde; eben- ſowenig ſeinem Scharfblick, welcher erkannte, daß „ſo förmlich für Heilzwecke geſchaffen“, wie der ſeinige, kein andrer Ort der Welt iſt, daß derſelbe z. B. Bergtriften behufs Bereitung von Molke und Kräuterſäften beſitzt, wie ſie ſonſt auf dem Erdenrund nicht vorkommen, daß ſeine Quelle, die „ſtille Freundin des vegetativen Lebens“, die „ſanft in den Orga- nismus ſich ſchleichende Schmeichlerin“, beim Trinken „ein balſamartiges Gefühl“ bewirke. Und obwohl die Natur juſt auf dieſen Ort das überſchwänglichſte ihrer Füllhörner aus- gegoſſen, ſo ſei dennoch der Vorſtand weit entfernt, deshalb die Hände in den Schooß zu legen, vielmehr unermüdlich beſtrebt, um jeder Anforderung zu genügen, auch alle übrigen Curmittel herbeizuſchaffen. Unter Anderem halte Herr Apo- theker Gaugengiggl ein Lager aller natürlichen und künſtlichen Brunnen, könne auch zum mediciniſchen Gebrauch Trauben aus den beſten Bezugsquellen beſorgen. Dem genannten Herrn ſei es ferner gelungen, ein chemiſch reines natrum sulphuricum — der Credit dieſes bekannten thätigen Stoff- wechſelagenten würde leiden, wenn ſtatt ſeines wiſſenſchaft- lichen Titels ſein Vulgarname Glauberſalz genannt würde — darzuſtellen, welches als Zuſatz zum Mineralwaſſer, die „discret eröffnende“ Wirkung ſteigernd, treffliche Dienſte leiſte.
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V. Balneologie und Klimatologie.
Jetzt noch ein paar Laienbemerkungen über balneolo-
giſche Literatur. Daß bei Verfaſſern von Monographien
der Localpatriotismus immer ſehr ſtark entwickelt iſt, Miß-
ſtände des eigenen Orts und Vorzüge anderer, mit denen er
verglichen wird, ihnen entgehen, ſoll Niemand zum ſchweren
Vorwurf gemacht werden. Der Patriotismus hat einmal
mit dem Egoismus jene optiſchen Täuſchungen gemein, von
denen das Gleichniß vom Splitter und Balken ſpricht. Auch
ſoll unſre Anerkennung der Gründlichkeit ſo manches Mono-
grammatikers nicht vorenthalten werden, mit der er alle
Beſtandtheile ſeines Mineralwaſſers auffand, bis auf 0,001
Extractivſtoff, Spuren von Eiſenoxydul und Thonerde; eben-
ſowenig ſeinem Scharfblick, welcher erkannte, daß „ſo förmlich
für Heilzwecke geſchaffen“, wie der ſeinige, kein andrer Ort
der Welt iſt, daß derſelbe z. B. Bergtriften behufs Bereitung
von Molke und Kräuterſäften beſitzt, wie ſie ſonſt auf dem
Erdenrund nicht vorkommen, daß ſeine Quelle, die „ſtille
Freundin des vegetativen Lebens“, die „ſanft in den Orga-
nismus ſich ſchleichende Schmeichlerin“, beim Trinken „ein
balſamartiges Gefühl“ bewirke. Und obwohl die Natur juſt
auf dieſen Ort das überſchwänglichſte ihrer Füllhörner aus-
gegoſſen, ſo ſei dennoch der Vorſtand weit entfernt, deshalb
die Hände in den Schooß zu legen, vielmehr unermüdlich
beſtrebt, um jeder Anforderung zu genügen, auch alle übrigen
Curmittel herbeizuſchaffen. Unter Anderem halte Herr Apo-
theker Gaugengiggl ein Lager aller natürlichen und künſtlichen
Brunnen, könne auch zum mediciniſchen Gebrauch Trauben
aus den beſten Bezugsquellen beſorgen. Dem genannten
Herrn ſei es ferner gelungen, ein chemiſch reines natrum
sulphuricum — der Credit dieſes bekannten thätigen Stoff-
wechſelagenten würde leiden, wenn ſtatt ſeines wiſſenſchaft-
lichen Titels ſein Vulgarname Glauberſalz genannt würde —
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/150>, abgerufen am 16.02.2025.
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