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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Satzungen -- Zug nach dem Süden.
launisch und geizig, mehr wagte selbst der Neid nicht, gegen
sie auszusagen.

Monatliches Kündigungsrecht war beiden Theilen vor-
behalten, wurde aber fast nie ausgeübt, überhaupt zeigte sich
das Haus mit Ausnahme der heißen Monate immer gefüllt,
obwohl seine Preise höher als in anderen Anstalten der Art
waren, denn diese galt für ein Muster der Gattung. Und
doch konnte man die Ausstattung keineswegs splendid nennen,
auch die Schüsseln bei Tische sagten der Zunge und dem
Magen zu, glänzten jedoch weder durch Menge noch durch
Namen. Alles bis auf's Kleinste war aber darauf berechnet,
dem Gaste bald nach seinem Eintritt jene wohlthuende
Empfindung zu geben, die ich nicht mit Einem Adjectiv be-
zeichnen kann, sondern für die ich unser comfortable, snug und
Euer "behaglich, wohnlich, gut aufgehoben, traulich, heimisch"
in Anspruch nehme. Vielleicht meint sie Goethe mit dem
Worte "Wohngefühl". Wahrscheinlich hätte ich mein Leben
in dem Hause beschlossen, wenn es nicht durch Familien-
verhältnisse in andre Hände übergegangen wäre. -- --

Wie die Sommerreiselust und der Trieb, durch und auf
Reisen Vergnügen, Erholung, Genesung zu suchen, so
steigert sich auch der winterliche Zug nach dem Süden. Unsre
Singvögel wußten es seit jeher, wie gut sich die Lunge in
der kalten Jahreszeit drüben jenseits der Berge befindet, und
sangen uns jeden Frühling ein Lied davon. Aber wir ver-
standen es nicht, oder wir dachten vielleicht auch, ihr Drosseln,
Nachtigallen, Grasmücken habt gut jauchzen, euch sind
Schwingen gewachsen, euren Tisch findet ihr überall gedeckt,
jeder Baum gibt euch Obdach; oder wir merkten, daß es
nicht lauter lustige Lieder waren, die im Mai von Bäumen
und Büschen ertönten, sondern daß viele Klagelieder sich
darunter mischten. Endlich entschlossen sich aber doch einige
von uns Ungeflügelten -- es waren Engländer -- den
Versuch zu machen, andere folgten, und immer fort wächst
die Zahl der Nordeuropäer und Amerikaner, die dort über-

V. Satzungen — Zug nach dem Süden.
launiſch und geizig, mehr wagte ſelbſt der Neid nicht, gegen
ſie auszuſagen.

Monatliches Kündigungsrecht war beiden Theilen vor-
behalten, wurde aber faſt nie ausgeübt, überhaupt zeigte ſich
das Haus mit Ausnahme der heißen Monate immer gefüllt,
obwohl ſeine Preiſe höher als in anderen Anſtalten der Art
waren, denn dieſe galt für ein Muſter der Gattung. Und
doch konnte man die Ausſtattung keineswegs ſplendid nennen,
auch die Schüſſeln bei Tiſche ſagten der Zunge und dem
Magen zu, glänzten jedoch weder durch Menge noch durch
Namen. Alles bis auf’s Kleinſte war aber darauf berechnet,
dem Gaſte bald nach ſeinem Eintritt jene wohlthuende
Empfindung zu geben, die ich nicht mit Einem Adjectiv be-
zeichnen kann, ſondern für die ich unſer comfortable, snug und
Euer „behaglich, wohnlich, gut aufgehoben, traulich, heimiſch“
in Anſpruch nehme. Vielleicht meint ſie Goethe mit dem
Worte „Wohngefühl“. Wahrſcheinlich hätte ich mein Leben
in dem Hauſe beſchloſſen, wenn es nicht durch Familien-
verhältniſſe in andre Hände übergegangen wäre. — —

Wie die Sommerreiſeluſt und der Trieb, durch und auf
Reiſen Vergnügen, Erholung, Geneſung zu ſuchen, ſo
ſteigert ſich auch der winterliche Zug nach dem Süden. Unſre
Singvögel wußten es ſeit jeher, wie gut ſich die Lunge in
der kalten Jahreszeit drüben jenſeits der Berge befindet, und
ſangen uns jeden Frühling ein Lied davon. Aber wir ver-
ſtanden es nicht, oder wir dachten vielleicht auch, ihr Droſſeln,
Nachtigallen, Grasmücken habt gut jauchzen, euch ſind
Schwingen gewachſen, euren Tiſch findet ihr überall gedeckt,
jeder Baum gibt euch Obdach; oder wir merkten, daß es
nicht lauter luſtige Lieder waren, die im Mai von Bäumen
und Büſchen ertönten, ſondern daß viele Klagelieder ſich
darunter miſchten. Endlich entſchloſſen ſich aber doch einige
von uns Ungeflügelten — es waren Engländer — den
Verſuch zu machen, andere folgten, und immer fort wächſt
die Zahl der Nordeuropäer und Amerikaner, die dort über-

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[148/0162] V. Satzungen — Zug nach dem Süden. launiſch und geizig, mehr wagte ſelbſt der Neid nicht, gegen ſie auszuſagen. Monatliches Kündigungsrecht war beiden Theilen vor- behalten, wurde aber faſt nie ausgeübt, überhaupt zeigte ſich das Haus mit Ausnahme der heißen Monate immer gefüllt, obwohl ſeine Preiſe höher als in anderen Anſtalten der Art waren, denn dieſe galt für ein Muſter der Gattung. Und doch konnte man die Ausſtattung keineswegs ſplendid nennen, auch die Schüſſeln bei Tiſche ſagten der Zunge und dem Magen zu, glänzten jedoch weder durch Menge noch durch Namen. Alles bis auf’s Kleinſte war aber darauf berechnet, dem Gaſte bald nach ſeinem Eintritt jene wohlthuende Empfindung zu geben, die ich nicht mit Einem Adjectiv be- zeichnen kann, ſondern für die ich unſer comfortable, snug und Euer „behaglich, wohnlich, gut aufgehoben, traulich, heimiſch“ in Anſpruch nehme. Vielleicht meint ſie Goethe mit dem Worte „Wohngefühl“. Wahrſcheinlich hätte ich mein Leben in dem Hauſe beſchloſſen, wenn es nicht durch Familien- verhältniſſe in andre Hände übergegangen wäre. — — Wie die Sommerreiſeluſt und der Trieb, durch und auf Reiſen Vergnügen, Erholung, Geneſung zu ſuchen, ſo ſteigert ſich auch der winterliche Zug nach dem Süden. Unſre Singvögel wußten es ſeit jeher, wie gut ſich die Lunge in der kalten Jahreszeit drüben jenſeits der Berge befindet, und ſangen uns jeden Frühling ein Lied davon. Aber wir ver- ſtanden es nicht, oder wir dachten vielleicht auch, ihr Droſſeln, Nachtigallen, Grasmücken habt gut jauchzen, euch ſind Schwingen gewachſen, euren Tiſch findet ihr überall gedeckt, jeder Baum gibt euch Obdach; oder wir merkten, daß es nicht lauter luſtige Lieder waren, die im Mai von Bäumen und Büſchen ertönten, ſondern daß viele Klagelieder ſich darunter miſchten. Endlich entſchloſſen ſich aber doch einige von uns Ungeflügelten — es waren Engländer — den Verſuch zu machen, andere folgten, und immer fort wächſt die Zahl der Nordeuropäer und Amerikaner, die dort über-

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/162>, abgerufen am 24.11.2024.