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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Ewiger Mai -- deutscher und schweizer Unternehmungsgeist.
wintern. So schlimm, wie den kleinen gefiederten Sängern
ergeht es ihnen drüben zwar nicht, sie werden nur gefangen
und gerupft *), nicht dazu noch gebraten und verschlungen.
Vielleicht wird es aber auch damit einmal besser. Denkt man
doch bereits an internationale Verträge zum Schutze der Zug-
vögel, warum sollte nicht auch unter den Gast- und Hauswirthen
der Riviera di Ponente endlich die Einsicht erwachen, daß
das zur Zeit noch vorherrschende Ausbeutungssystem ihnen
nicht zu dauerndem Vortheil gereicht? Auch am Genfersee
hat erst die mit der Frequenz steigende Concurrenz die jetzigen
gesunden, den Lebensmittelpreisen und dem Grundwerthe im
Ganzen angemessenen Pensionsbedingungen hervorgerufen,
hoffen wir, daß dies bald auch in dem Lande geschehe, wo
"still die Myrthe, hoch der Lorbeer steht". Auf der ganzen
Halbinsel sind übrigens die Preise nirgend so übertrieben,
als im französischen Stück Italien.

Deutschem und schweizer Unternehmungs-
geist
eröffnet sich dort ein gutes Feld, versäumen wir nicht,
hierauf aufmerksam zu machen. Seitdem durch die Brenner-
bahn der Weg nach dem Süden geebnet und auch auf der
Halbinsel das Schienennetz nahezu vollständig geworden,
kann es nicht fehlen, daß die Mittelmeerküsten, Fest-
land und Inseln, mit Pensionshäusern mehr
und mehr besiedelt werden
. Unter Engländern,
Amerikanern, Russen, Deutschen, Schweden habe ich so

*) Damit es Euch, die Ihr zurückbleiben müßt im nordischen Winter, nicht
an weiterem Troste fehle und Ihr uns Andere nicht allzusehr beneidet: bedenkt,
daß im Süden, wo der Lenz dem Herbst die Hand reicht und die Zeit der Früchte
unmittelbar in die der Blüten übergeht, die Frühlingswonne nicht so tief gefühlt
wird, als im Norden, weil die Contrastwirkung fehlt. Von deutschen,
englischen, schottischen Dichtern sind die schönsten Frühlingslieder gesungen worden,
nicht dort, wo ein "ewiger Mai" herrscht. Der Südländer scheint auch für
landschaftlichen Reiz überhaupt minder empfänglich, als der Bewohner des
Nordens. Ueberall ist gesorgt, daß es uns auf der Erde nicht gar zu wohl,
aber auch nicht gar zu übel werde, und wo viele Entbehrungen und wenig Ge-
nüsse sind, werden diese um so lebhafter empfunden.

V. Ewiger Mai — deutſcher und ſchweizer Unternehmungsgeiſt.
wintern. So ſchlimm, wie den kleinen gefiederten Sängern
ergeht es ihnen drüben zwar nicht, ſie werden nur gefangen
und gerupft *), nicht dazu noch gebraten und verſchlungen.
Vielleicht wird es aber auch damit einmal beſſer. Denkt man
doch bereits an internationale Verträge zum Schutze der Zug-
vögel, warum ſollte nicht auch unter den Gaſt- und Hauswirthen
der Riviera di Ponente endlich die Einſicht erwachen, daß
das zur Zeit noch vorherrſchende Ausbeutungsſyſtem ihnen
nicht zu dauerndem Vortheil gereicht? Auch am Genferſee
hat erſt die mit der Frequenz ſteigende Concurrenz die jetzigen
geſunden, den Lebensmittelpreiſen und dem Grundwerthe im
Ganzen angemeſſenen Penſionsbedingungen hervorgerufen,
hoffen wir, daß dies bald auch in dem Lande geſchehe, wo
„ſtill die Myrthe, hoch der Lorbeer ſteht“. Auf der ganzen
Halbinſel ſind übrigens die Preiſe nirgend ſo übertrieben,
als im franzöſiſchen Stück Italien.

Deutſchem und ſchweizer Unternehmungs-
geiſt
eröffnet ſich dort ein gutes Feld, verſäumen wir nicht,
hierauf aufmerkſam zu machen. Seitdem durch die Brenner-
bahn der Weg nach dem Süden geebnet und auch auf der
Halbinſel das Schienennetz nahezu vollſtändig geworden,
kann es nicht fehlen, daß die Mittelmeerküſten, Feſt-
land und Inſeln, mit Penſionshäuſern mehr
und mehr beſiedelt werden
. Unter Engländern,
Amerikanern, Ruſſen, Deutſchen, Schweden habe ich ſo

*) Damit es Euch, die Ihr zurückbleiben müßt im nordiſchen Winter, nicht
an weiterem Troſte fehle und Ihr uns Andere nicht allzuſehr beneidet: bedenkt,
daß im Süden, wo der Lenz dem Herbſt die Hand reicht und die Zeit der Früchte
unmittelbar in die der Blüten übergeht, die Frühlingswonne nicht ſo tief gefühlt
wird, als im Norden, weil die Contraſtwirkung fehlt. Von deutſchen,
engliſchen, ſchottiſchen Dichtern ſind die ſchönſten Frühlingslieder geſungen worden,
nicht dort, wo ein „ewiger Mai“ herrſcht. Der Südländer ſcheint auch für
landſchaftlichen Reiz überhaupt minder empfänglich, als der Bewohner des
Nordens. Ueberall iſt geſorgt, daß es uns auf der Erde nicht gar zu wohl,
aber auch nicht gar zu übel werde, und wo viele Entbehrungen und wenig Ge-
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[149/0163] V. Ewiger Mai — deutſcher und ſchweizer Unternehmungsgeiſt. wintern. So ſchlimm, wie den kleinen gefiederten Sängern ergeht es ihnen drüben zwar nicht, ſie werden nur gefangen und gerupft *), nicht dazu noch gebraten und verſchlungen. Vielleicht wird es aber auch damit einmal beſſer. Denkt man doch bereits an internationale Verträge zum Schutze der Zug- vögel, warum ſollte nicht auch unter den Gaſt- und Hauswirthen der Riviera di Ponente endlich die Einſicht erwachen, daß das zur Zeit noch vorherrſchende Ausbeutungsſyſtem ihnen nicht zu dauerndem Vortheil gereicht? Auch am Genferſee hat erſt die mit der Frequenz ſteigende Concurrenz die jetzigen geſunden, den Lebensmittelpreiſen und dem Grundwerthe im Ganzen angemeſſenen Penſionsbedingungen hervorgerufen, hoffen wir, daß dies bald auch in dem Lande geſchehe, wo „ſtill die Myrthe, hoch der Lorbeer ſteht“. Auf der ganzen Halbinſel ſind übrigens die Preiſe nirgend ſo übertrieben, als im franzöſiſchen Stück Italien. Deutſchem und ſchweizer Unternehmungs- geiſt eröffnet ſich dort ein gutes Feld, verſäumen wir nicht, hierauf aufmerkſam zu machen. Seitdem durch die Brenner- bahn der Weg nach dem Süden geebnet und auch auf der Halbinſel das Schienennetz nahezu vollſtändig geworden, kann es nicht fehlen, daß die Mittelmeerküſten, Feſt- land und Inſeln, mit Penſionshäuſern mehr und mehr beſiedelt werden. Unter Engländern, Amerikanern, Ruſſen, Deutſchen, Schweden habe ich ſo *) Damit es Euch, die Ihr zurückbleiben müßt im nordiſchen Winter, nicht an weiterem Troſte fehle und Ihr uns Andere nicht allzuſehr beneidet: bedenkt, daß im Süden, wo der Lenz dem Herbſt die Hand reicht und die Zeit der Früchte unmittelbar in die der Blüten übergeht, die Frühlingswonne nicht ſo tief gefühlt wird, als im Norden, weil die Contraſtwirkung fehlt. Von deutſchen, engliſchen, ſchottiſchen Dichtern ſind die ſchönſten Frühlingslieder geſungen worden, nicht dort, wo ein „ewiger Mai“ herrſcht. Der Südländer ſcheint auch für landſchaftlichen Reiz überhaupt minder empfänglich, als der Bewohner des Nordens. Ueberall iſt geſorgt, daß es uns auf der Erde nicht gar zu wohl, aber auch nicht gar zu übel werde, und wo viele Entbehrungen und wenig Ge- nüſſe ſind, werden dieſe um ſo lebhafter empfunden.

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/163>, abgerufen am 21.11.2024.