Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Sehr enttäuscht -- Hoffnungen und Wünsche -- an junge Aerzte.
manchen kennen gelernt -- es wird deren gewiß eine gute
Anzahl geben -- der sich mit dem Wunsche trug, dem es
ärztlich gerathen, zur Pflicht gemacht wurde, einen oder
einige Winter im Süden zuzubringen, oder ganz dahin über-
zusiedeln, dennoch kommen sie nicht zum Entschlusse. Dieser
und jener hat auch wohl einen Versuch gemacht, ist aber
"sehr enttäuscht" zurückgekehrt. -- Warum? -- Einer hat
eine Stelle gewählt, die nicht weit genug südlich lag, oder
gerade einen sehr ungünstigen Winter getroffen; ein Anderer
hat sich nicht trösten können, daß unser Wiesengrün, unsre
Eichen- und Buchenwälder in jenen Breiten fehlen; ein
Dritter hat seinen heimischen Gewohnheiten dort zu wenig
nachhängen können, Essen und Trinken hat einem Andern
nicht geschmeckt, in seinem Quartier hat es an Sauberkeit,
Bequemlichkeit, freundlichen Wirthsleuten gemangelt, oder
der Aufenthalt hat viel mehr gekostet, als berechnet, die
fremden Sprachen, die ihn umschwirrten, sind ihm lästig
gefallen, ganz besonders, bewußt und eingeständlich oder
nicht, ist Vielen "die Zeit entsetzlich lang geworden", weil
sie zu wenig Ansprache und Anregung fanden. Manches
wird sich hoffentlich durch Wechselwirkung allmählich anders
gestalten: sobald der Besuch noch mehr als bisher gewachsen
ist, werden sich an günstigen Punkten, an denen es nicht
fehlt, mehr und mehr Leute auf den Empfang von Winter-
gästen rüsten, neue Pensionscolonien mit nahezu schweizer
Preisen und Einrichtungen sich bilden, welche auch Minder-
bemittelten Wintercuren ermöglichen, und diese Erleichterungen
wieder ihrerseits den Besuch weiter steigern. In den letzten
Jahren soll bereits in einigen Gast- und Hauswirthen in
Nizza der Glaube an die Ewigkeit und Unverletzlichkeit ihres
Monopols auf milde Winterluft, welches sie in der schnödesten
Weise ausbeuteten, etwas erschüttert sein.

Zu den altbekannten gesellen sich alljährlich neue
Gesundheitsstationen für Wintergäste. Mancher junge
deutsche Arzt
, dessen Brust unter dem nordischen Winter

V. Sehr enttäuſcht — Hoffnungen und Wünſche — an junge Aerzte.
manchen kennen gelernt — es wird deren gewiß eine gute
Anzahl geben — der ſich mit dem Wunſche trug, dem es
ärztlich gerathen, zur Pflicht gemacht wurde, einen oder
einige Winter im Süden zuzubringen, oder ganz dahin über-
zuſiedeln, dennoch kommen ſie nicht zum Entſchluſſe. Dieſer
und jener hat auch wohl einen Verſuch gemacht, iſt aber
„ſehr enttäuſcht“ zurückgekehrt. — Warum? — Einer hat
eine Stelle gewählt, die nicht weit genug ſüdlich lag, oder
gerade einen ſehr ungünſtigen Winter getroffen; ein Anderer
hat ſich nicht tröſten können, daß unſer Wieſengrün, unſre
Eichen- und Buchenwälder in jenen Breiten fehlen; ein
Dritter hat ſeinen heimiſchen Gewohnheiten dort zu wenig
nachhängen können, Eſſen und Trinken hat einem Andern
nicht geſchmeckt, in ſeinem Quartier hat es an Sauberkeit,
Bequemlichkeit, freundlichen Wirthsleuten gemangelt, oder
der Aufenthalt hat viel mehr gekoſtet, als berechnet, die
fremden Sprachen, die ihn umſchwirrten, ſind ihm läſtig
gefallen, ganz beſonders, bewußt und eingeſtändlich oder
nicht, iſt Vielen „die Zeit entſetzlich lang geworden“, weil
ſie zu wenig Anſprache und Anregung fanden. Manches
wird ſich hoffentlich durch Wechſelwirkung allmählich anders
geſtalten: ſobald der Beſuch noch mehr als bisher gewachſen
iſt, werden ſich an günſtigen Punkten, an denen es nicht
fehlt, mehr und mehr Leute auf den Empfang von Winter-
gäſten rüſten, neue Penſionscolonien mit nahezu ſchweizer
Preiſen und Einrichtungen ſich bilden, welche auch Minder-
bemittelten Wintercuren ermöglichen, und dieſe Erleichterungen
wieder ihrerſeits den Beſuch weiter ſteigern. In den letzten
Jahren ſoll bereits in einigen Gaſt- und Hauswirthen in
Nizza der Glaube an die Ewigkeit und Unverletzlichkeit ihres
Monopols auf milde Winterluft, welches ſie in der ſchnödeſten
Weiſe ausbeuteten, etwas erſchüttert ſein.

Zu den altbekannten geſellen ſich alljährlich neue
Geſundheitsſtationen für Wintergäſte. Mancher junge
deutſche Arzt
, deſſen Bruſt unter dem nordiſchen Winter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="150"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Sehr enttäu&#x017F;cht &#x2014; Hoffnungen und Wün&#x017F;che &#x2014; an junge Aerzte.</fw><lb/>
manchen kennen gelernt &#x2014; es wird deren gewiß eine gute<lb/>
Anzahl geben &#x2014; der &#x017F;ich mit dem Wun&#x017F;che trug, dem es<lb/>
ärztlich gerathen, zur Pflicht gemacht wurde, einen oder<lb/>
einige Winter im Süden zuzubringen, oder ganz dahin über-<lb/>
zu&#x017F;iedeln, dennoch kommen &#x017F;ie nicht zum Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e. Die&#x017F;er<lb/>
und jener hat auch wohl einen Ver&#x017F;uch gemacht, i&#x017F;t aber<lb/>
&#x201E;&#x017F;ehr enttäu&#x017F;cht&#x201C; zurückgekehrt. &#x2014; Warum? &#x2014; Einer hat<lb/>
eine Stelle gewählt, die nicht weit genug &#x017F;üdlich lag, oder<lb/>
gerade einen &#x017F;ehr ungün&#x017F;tigen Winter getroffen; ein Anderer<lb/>
hat &#x017F;ich nicht trö&#x017F;ten können, daß un&#x017F;er Wie&#x017F;engrün, un&#x017F;re<lb/>
Eichen- und Buchenwälder in jenen Breiten fehlen; ein<lb/>
Dritter hat &#x017F;einen heimi&#x017F;chen Gewohnheiten dort zu wenig<lb/>
nachhängen können, E&#x017F;&#x017F;en und Trinken hat einem Andern<lb/>
nicht ge&#x017F;chmeckt, in &#x017F;einem Quartier hat es an Sauberkeit,<lb/>
Bequemlichkeit, freundlichen Wirthsleuten gemangelt, oder<lb/>
der Aufenthalt hat viel mehr geko&#x017F;tet, als berechnet, die<lb/>
fremden Sprachen, die ihn um&#x017F;chwirrten, &#x017F;ind ihm lä&#x017F;tig<lb/>
gefallen, ganz be&#x017F;onders, bewußt und einge&#x017F;tändlich oder<lb/>
nicht, i&#x017F;t Vielen &#x201E;die Zeit ent&#x017F;etzlich lang geworden&#x201C;, weil<lb/>
&#x017F;ie zu wenig An&#x017F;prache und Anregung fanden. Manches<lb/>
wird &#x017F;ich hoffentlich durch Wech&#x017F;elwirkung allmählich anders<lb/>
ge&#x017F;talten: &#x017F;obald der Be&#x017F;uch noch mehr als bisher gewach&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t, werden &#x017F;ich an gün&#x017F;tigen Punkten, an denen es nicht<lb/>
fehlt, mehr und mehr Leute auf den Empfang von Winter-<lb/>&#x017F;ten rü&#x017F;ten, neue Pen&#x017F;ionscolonien mit nahezu &#x017F;chweizer<lb/>
Prei&#x017F;en und Einrichtungen &#x017F;ich bilden, welche auch Minder-<lb/>
bemittelten Wintercuren ermöglichen, und die&#x017F;e Erleichterungen<lb/>
wieder ihrer&#x017F;eits den Be&#x017F;uch weiter &#x017F;teigern. In den letzten<lb/>
Jahren &#x017F;oll bereits in einigen Ga&#x017F;t- und Hauswirthen in<lb/><placeName>Nizza</placeName> der Glaube an die Ewigkeit und Unverletzlichkeit ihres<lb/>
Monopols auf milde Winterluft, welches &#x017F;ie in der &#x017F;chnöde&#x017F;ten<lb/>
Wei&#x017F;e ausbeuteten, etwas er&#x017F;chüttert &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Zu den altbekannten ge&#x017F;ellen &#x017F;ich alljährlich neue<lb/>
Ge&#x017F;undheits&#x017F;tationen für Wintergä&#x017F;te. Mancher <hi rendition="#g">junge<lb/>
deut&#x017F;che Arzt</hi>, de&#x017F;&#x017F;en Bru&#x017F;t unter dem nordi&#x017F;chen Winter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0164] V. Sehr enttäuſcht — Hoffnungen und Wünſche — an junge Aerzte. manchen kennen gelernt — es wird deren gewiß eine gute Anzahl geben — der ſich mit dem Wunſche trug, dem es ärztlich gerathen, zur Pflicht gemacht wurde, einen oder einige Winter im Süden zuzubringen, oder ganz dahin über- zuſiedeln, dennoch kommen ſie nicht zum Entſchluſſe. Dieſer und jener hat auch wohl einen Verſuch gemacht, iſt aber „ſehr enttäuſcht“ zurückgekehrt. — Warum? — Einer hat eine Stelle gewählt, die nicht weit genug ſüdlich lag, oder gerade einen ſehr ungünſtigen Winter getroffen; ein Anderer hat ſich nicht tröſten können, daß unſer Wieſengrün, unſre Eichen- und Buchenwälder in jenen Breiten fehlen; ein Dritter hat ſeinen heimiſchen Gewohnheiten dort zu wenig nachhängen können, Eſſen und Trinken hat einem Andern nicht geſchmeckt, in ſeinem Quartier hat es an Sauberkeit, Bequemlichkeit, freundlichen Wirthsleuten gemangelt, oder der Aufenthalt hat viel mehr gekoſtet, als berechnet, die fremden Sprachen, die ihn umſchwirrten, ſind ihm läſtig gefallen, ganz beſonders, bewußt und eingeſtändlich oder nicht, iſt Vielen „die Zeit entſetzlich lang geworden“, weil ſie zu wenig Anſprache und Anregung fanden. Manches wird ſich hoffentlich durch Wechſelwirkung allmählich anders geſtalten: ſobald der Beſuch noch mehr als bisher gewachſen iſt, werden ſich an günſtigen Punkten, an denen es nicht fehlt, mehr und mehr Leute auf den Empfang von Winter- gäſten rüſten, neue Penſionscolonien mit nahezu ſchweizer Preiſen und Einrichtungen ſich bilden, welche auch Minder- bemittelten Wintercuren ermöglichen, und dieſe Erleichterungen wieder ihrerſeits den Beſuch weiter ſteigern. In den letzten Jahren ſoll bereits in einigen Gaſt- und Hauswirthen in Nizza der Glaube an die Ewigkeit und Unverletzlichkeit ihres Monopols auf milde Winterluft, welches ſie in der ſchnödeſten Weiſe ausbeuteten, etwas erſchüttert ſein. Zu den altbekannten geſellen ſich alljährlich neue Geſundheitsſtationen für Wintergäſte. Mancher junge deutſche Arzt, deſſen Bruſt unter dem nordiſchen Winter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/164
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/164>, abgerufen am 21.11.2024.