Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.V. Geographie der Langenweile. emporragen über den Dunstkreis der Langenweile; ihr Geistarbeitet in ihnen, für sie, sie brauchen nicht Hand noch Fuß zu regen, um ihn zu spornen, wieder andere gibt es, die nur ein dumpfes Pflanzenleben führen und sich nicht bis zur Höhe der Langenweile erheben, wir Uebrigen jedoch, die Mehrzahl der Culturmenschen, bedürfen irgend einer Art von Arbeit. In den Ländern, wo die Sonne wärmere Strahlen hat *) Auch dabei scheint der Einfluß der freien Luft, mit welcher alle diese Völker-
stämme auf vertrauterem Fuße leben, als wir Nordländer, sich geltend zu machen, wenngleich noch andere Dinge mitwirken mögen, wie z. B. daß der Süden in geistigen Anstrengungen und geistigen Getränken mäßiger ist, als der Norden. V. Geographie der Langenweile. emporragen über den Dunſtkreis der Langenweile; ihr Geiſtarbeitet in ihnen, für ſie, ſie brauchen nicht Hand noch Fuß zu regen, um ihn zu ſpornen, wieder andere gibt es, die nur ein dumpfes Pflanzenleben führen und ſich nicht bis zur Höhe der Langenweile erheben, wir Uebrigen jedoch, die Mehrzahl der Culturmenſchen, bedürfen irgend einer Art von Arbeit. In den Ländern, wo die Sonne wärmere Strahlen hat *) Auch dabei ſcheint der Einfluß der freien Luft, mit welcher alle dieſe Völker-
ſtämme auf vertrauterem Fuße leben, als wir Nordländer, ſich geltend zu machen, wenngleich noch andere Dinge mitwirken mögen, wie z. B. daß der Süden in geiſtigen Anſtrengungen und geiſtigen Getränken mäßiger iſt, als der Norden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="154"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Geographie der Langenweile.</fw><lb/> emporragen über den Dunſtkreis der Langenweile; ihr Geiſt<lb/> arbeitet in ihnen, für ſie, ſie brauchen nicht Hand noch Fuß<lb/> zu regen, um ihn zu ſpornen, wieder andere gibt es, die nur<lb/> ein dumpfes Pflanzenleben führen und ſich nicht bis zur Höhe<lb/> der Langenweile erheben, wir Uebrigen jedoch, die Mehrzahl<lb/> der Culturmenſchen, bedürfen irgend einer Art von Arbeit.</p><lb/> <p>In den Ländern, wo die Sonne wärmere Strahlen hat<lb/> und die Erde befliſſen iſt, den Menſchen aller Mühe zu ent-<lb/> heben, mag man vom <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">dolce</hi> far niente</hi> ſprechen, noch weiter<lb/> gen Mittag mögen Tauſende die Tage hinbringen, ihre<lb/> Naſenſpitze zu betrachten, Millionen ſich in Nirvana ein-<lb/> wiegen, wir Nordländer ſind einmal auf Thätigkeit an-<lb/> gewieſen. Die Menſchheit iſt in’s Mannesalter getreten,<lb/> die Cultur hat ſich in nördlichen Breiten angeſiedelt, weit ab<lb/> vom irdiſchen Paradieſe, die Sehnen unſres Körpers und<lb/> Geiſtes ſollen ſtraffer werden, wir ſollen lernen, mehr zu<lb/> arbeiten und weniger zu ruhen. Wiſſenſchaft, Kunſt, Handel,<lb/> Induſtrie haben ſich aus allen jenen „geſegneten“ Ländern<lb/> der Milch und des Honigs, der Datteln, der Feigen und der<lb/> Trägen zurückgezogen und ihren Sitz dorthin verlegt, wo<lb/> Eiſen und Kohlen wuchſen, wo der Menſch alle Kräfte auf-<lb/> bieten muß, um dem Boden Brod abzugewinnen. Auch der<lb/> Gott der Schlachten begünſtigt den Norden, ſo in <placeName>Deutſch-<lb/> land</placeName>, in <placeName>Italien</placeName>, in <placeName>Amerika</placeName>. Während auf der einen Seite<lb/> der Fleiß ſich belohnt ſieht durch materielle und geiſtige Güter,<lb/> droht auf der andern der Trägheit die Strafe. Ueber die<lb/> Schlaffen ſchwingt ihre furchtbare Geißel die Langeweile,<lb/> eine Zuchtruthe, die in unſren Zeiten und Zonen gefährliche<lb/> Wunden ſchlägt, in ihrem Gefolge Lebensüberdruß, Irrſinn<lb/> und Selbſtmord. Alle dieſe Schrecken waren in alten Zeiten<lb/> und ſind noch heute im Süden ſelten. <note place="foot" n="*)">Auch dabei ſcheint der Einfluß der freien Luft, mit welcher alle dieſe Völker-<lb/> ſtämme auf vertrauterem Fuße leben, als wir Nordländer, ſich geltend zu machen,<lb/> wenngleich noch andere Dinge mitwirken mögen, wie z. B. daß der Süden in<lb/> geiſtigen Anſtrengungen und geiſtigen Getränken mäßiger iſt, als der Norden.</note></p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [154/0168]
V. Geographie der Langenweile.
emporragen über den Dunſtkreis der Langenweile; ihr Geiſt
arbeitet in ihnen, für ſie, ſie brauchen nicht Hand noch Fuß
zu regen, um ihn zu ſpornen, wieder andere gibt es, die nur
ein dumpfes Pflanzenleben führen und ſich nicht bis zur Höhe
der Langenweile erheben, wir Uebrigen jedoch, die Mehrzahl
der Culturmenſchen, bedürfen irgend einer Art von Arbeit.
In den Ländern, wo die Sonne wärmere Strahlen hat
und die Erde befliſſen iſt, den Menſchen aller Mühe zu ent-
heben, mag man vom dolce far niente ſprechen, noch weiter
gen Mittag mögen Tauſende die Tage hinbringen, ihre
Naſenſpitze zu betrachten, Millionen ſich in Nirvana ein-
wiegen, wir Nordländer ſind einmal auf Thätigkeit an-
gewieſen. Die Menſchheit iſt in’s Mannesalter getreten,
die Cultur hat ſich in nördlichen Breiten angeſiedelt, weit ab
vom irdiſchen Paradieſe, die Sehnen unſres Körpers und
Geiſtes ſollen ſtraffer werden, wir ſollen lernen, mehr zu
arbeiten und weniger zu ruhen. Wiſſenſchaft, Kunſt, Handel,
Induſtrie haben ſich aus allen jenen „geſegneten“ Ländern
der Milch und des Honigs, der Datteln, der Feigen und der
Trägen zurückgezogen und ihren Sitz dorthin verlegt, wo
Eiſen und Kohlen wuchſen, wo der Menſch alle Kräfte auf-
bieten muß, um dem Boden Brod abzugewinnen. Auch der
Gott der Schlachten begünſtigt den Norden, ſo in Deutſch-
land, in Italien, in Amerika. Während auf der einen Seite
der Fleiß ſich belohnt ſieht durch materielle und geiſtige Güter,
droht auf der andern der Trägheit die Strafe. Ueber die
Schlaffen ſchwingt ihre furchtbare Geißel die Langeweile,
eine Zuchtruthe, die in unſren Zeiten und Zonen gefährliche
Wunden ſchlägt, in ihrem Gefolge Lebensüberdruß, Irrſinn
und Selbſtmord. Alle dieſe Schrecken waren in alten Zeiten
und ſind noch heute im Süden ſelten. *)
*) Auch dabei ſcheint der Einfluß der freien Luft, mit welcher alle dieſe Völker-
ſtämme auf vertrauterem Fuße leben, als wir Nordländer, ſich geltend zu machen,
wenngleich noch andere Dinge mitwirken mögen, wie z. B. daß der Süden in
geiſtigen Anſtrengungen und geiſtigen Getränken mäßiger iſt, als der Norden.
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Zitationshilfe: | Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/168>, abgerufen am 16.02.2025. |