Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VI. Augenblendwerk -- Wirthscongresse. Ein anderer Wirthswahn ist, daß alle Begehungs- und Hoffen wir, daß Vieles nun bald besser werde durch die VI. Augenblendwerk — Wirthscongreſſe. Ein anderer Wirthswahn iſt, daß alle Begehungs- und Hoffen wir, daß Vieles nun bald beſſer werde durch die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0189" n="175"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Augenblendwerk — Wirthscongreſſe.</fw><lb/> <p>Ein anderer Wirthswahn iſt, daß alle Begehungs- und<lb/> Unterlaſſungsſünden der Küche geſühnt würden, wenn zu-<lb/> weilen koſtſpielige Beliebtheiten, wie Forellen, Salblinge,<lb/> Turbot, Haſelhuhn, Schneehuhn, Faſan, Artiſchocken, ſtäm-<lb/> miger Spargel, Schildkrötenſuppe, Ananasgefrorenes u. dgl.<lb/> auf dem Tiſch erſcheinen, während doch durch Außergewöhn-<lb/> liches nur Dilettanten ſich beſtechen laſſen, der Beifall des<lb/> Kenners hingegen durch die Ordinaria erworben wird, wenn<lb/> ſie in Stoff und Bereitung nichts wünſchen laſſen: das<lb/> Fleiſch mürbe und ſaftig, Suppen und Saucen kräftig und<lb/> ſchmackhaft, nicht lang und dünn ſind, die verwendete Butter<lb/> friſch, Salat mit feinem Oel und Weineſſig kunſtgerecht be-<lb/> netzt, nicht in ein tiefes Bad von gemeinem Eſſig verſenkt<lb/> iſt, u. ſ. w. In den beſſeren H<hi rendition="#aq">ô</hi>tels iſt alles das längſt<lb/> erkannt und die Beſitzer haben ſich den Anſprüchen der Reiſe-<lb/> welt theils anbequemt, theils einen Compromiß geſchloſſen<lb/> und gefunden, daß ſie ſich gut dabei ſtehen. Ich kann deshalb<lb/> nicht einſtimmen in die Klage einzelner Schriftſteller, daß die<lb/> meiſten anſpruchsvolleren Gaſthöfe der verſchiedenen Länder<lb/> „uniformirt“ ſind. Wer Landeseigenthümlichkeiten in voller<lb/> Urſprünglichkeit kennen lernen will, darf ſie nicht im H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel<lb/> ſuchen, welches ſeiner Natur nach kosmopolitiſch iſt. Berech-<lb/> tigt erſcheint eine Klage nur, wenn, wie es allerdings nur zu<lb/> oft vorkommt, an Stelle einfacher, kernhafter Bürgerlichkeit<lb/> der Küche eine mit franzöſiſchen Namen und Bereitungs-<lb/> fineſſen verbrämte, durch Menge und Aufputz der Schüſſeln<lb/><hi rendition="#g">auf Augenblendwerk angelegte Armſeligkeit<lb/> der Subſtanz</hi> getreten iſt.</p><lb/> <p>Hoffen wir, daß Vieles nun bald beſſer werde durch die<lb/> fleißig abgehaltenen Wirthscongreſſe, denn in allem Geſchäfts-<lb/> verkehr gilt ja der Grundſatz, daß auf die Dauer kein Theil<lb/> ſich wohl ſteht, wenn er nicht auch auf den anderen billige<lb/> Rückſicht nimmt. Wollen die Herren nicht in’s eigene Fleiſch<lb/> ſchneiden, ſo dürfen ſie z. B. im Zuſchnitt von Fleiſch und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [175/0189]
VI. Augenblendwerk — Wirthscongreſſe.
Ein anderer Wirthswahn iſt, daß alle Begehungs- und
Unterlaſſungsſünden der Küche geſühnt würden, wenn zu-
weilen koſtſpielige Beliebtheiten, wie Forellen, Salblinge,
Turbot, Haſelhuhn, Schneehuhn, Faſan, Artiſchocken, ſtäm-
miger Spargel, Schildkrötenſuppe, Ananasgefrorenes u. dgl.
auf dem Tiſch erſcheinen, während doch durch Außergewöhn-
liches nur Dilettanten ſich beſtechen laſſen, der Beifall des
Kenners hingegen durch die Ordinaria erworben wird, wenn
ſie in Stoff und Bereitung nichts wünſchen laſſen: das
Fleiſch mürbe und ſaftig, Suppen und Saucen kräftig und
ſchmackhaft, nicht lang und dünn ſind, die verwendete Butter
friſch, Salat mit feinem Oel und Weineſſig kunſtgerecht be-
netzt, nicht in ein tiefes Bad von gemeinem Eſſig verſenkt
iſt, u. ſ. w. In den beſſeren Hôtels iſt alles das längſt
erkannt und die Beſitzer haben ſich den Anſprüchen der Reiſe-
welt theils anbequemt, theils einen Compromiß geſchloſſen
und gefunden, daß ſie ſich gut dabei ſtehen. Ich kann deshalb
nicht einſtimmen in die Klage einzelner Schriftſteller, daß die
meiſten anſpruchsvolleren Gaſthöfe der verſchiedenen Länder
„uniformirt“ ſind. Wer Landeseigenthümlichkeiten in voller
Urſprünglichkeit kennen lernen will, darf ſie nicht im Hôtel
ſuchen, welches ſeiner Natur nach kosmopolitiſch iſt. Berech-
tigt erſcheint eine Klage nur, wenn, wie es allerdings nur zu
oft vorkommt, an Stelle einfacher, kernhafter Bürgerlichkeit
der Küche eine mit franzöſiſchen Namen und Bereitungs-
fineſſen verbrämte, durch Menge und Aufputz der Schüſſeln
auf Augenblendwerk angelegte Armſeligkeit
der Subſtanz getreten iſt.
Hoffen wir, daß Vieles nun bald beſſer werde durch die
fleißig abgehaltenen Wirthscongreſſe, denn in allem Geſchäfts-
verkehr gilt ja der Grundſatz, daß auf die Dauer kein Theil
ſich wohl ſteht, wenn er nicht auch auf den anderen billige
Rückſicht nimmt. Wollen die Herren nicht in’s eigene Fleiſch
ſchneiden, ſo dürfen ſie z. B. im Zuſchnitt von Fleiſch und
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