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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Wohlfeilste schweizer Reise.
den Sie vereinzelt gelegene Hotels an berühmten, vielbesuchten
Punkten (vergl. S. 187), wählen auch in Städten und Dör-
fern möglichst Häuser, wo der Wirth, wenn nicht mit bedient,
doch den Gästen sichtbar und die Machtstellung des Portiers
und des Oberkellners keine unbegrenzte ist. An den Herrn
oder die Frau des Hauses haben Sie sich zu wenden, nicht
beim Eintritt stehenden Fußes, vielmehr bitte ich, sich Zeit
und Platz zu nehmen. Bestellen Sie einen Schoppen des Ge-
tränks, dem Sie andere Gäste zusprechen sehen, das Weitere
eilt nicht. Bevor Ihr Glas geleert, betrachten Sie das Haus
vom Hof aus, thun auch einen Blick in die Küche. Bot sich
nicht bereits Gelegenheit, mit dem Wirthe ein Gespräch an-
zuknüpfen, so lassen Sie ihn herbeicitiren, und jetzt ist es
Sache Ihres Taktes, das Nöthige zu vermitteln. Sprechen
Sie ohne Schüchternheit, ohne die Stimme zu dämpfen, ohne
der Wahrheit oder sich selber zu vergeben; machen Sie kein
Hehl daraus, daß Sie vier Wochen in der herrlichen Schweiz
sich aufhalten, einige Berge zeichnen aber mit sehr wenig Geld
auskommen wollen und müssen. Darum seien Sie entschlossen,
nicht die alten Touristenfußstapfen einzuhalten, sondern nur
an Punkten, die sich zu Standquartieren für Ausflüge eignen,
mindestens einige Tage oder vielmehr Nächte zu verweilen,
vielleicht länger. Ihre Malzeiten würden Sie Abends ein-
nehmen, theils mündlich, theils eingewickelt, um sie Tags
darauf zu verzehren. Da Sie stets zeitig aufbrechen, genüge
als Frühstück ein Glas Milch. Das Zimmer diene nur zur
Schlafstelle, Sie würden daher mit dem bescheidensten Raum
vorlieb nehmen. Zuweilen werde es vielleicht passen, behufs
weiterer Tour eine oder zwei Nächte auswärts zu bleiben, in
solchen Fällen laufe die Zimmermiethe für Ihre Rechnung.
Ich wette, der Angeredete hat bereits Interesse für Sie und
Ihre Zwecke genommen und macht einen Preis, über dessen
Wohlfeilheit Sie staunen. Absichtlich nenne ich keine Zahl,
um der Ueberraschung nicht vorzugreifen. Gerade in der
Schweiz sind die Wirthe meist gewiegte, einsichtige und, falls

VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe.
den Sie vereinzelt gelegene Hôtels an berühmten, vielbeſuchten
Punkten (vergl. S. 187), wählen auch in Städten und Dör-
fern möglichſt Häuſer, wo der Wirth, wenn nicht mit bedient,
doch den Gäſten ſichtbar und die Machtſtellung des Portiers
und des Oberkellners keine unbegrenzte iſt. An den Herrn
oder die Frau des Hauſes haben Sie ſich zu wenden, nicht
beim Eintritt ſtehenden Fußes, vielmehr bitte ich, ſich Zeit
und Platz zu nehmen. Beſtellen Sie einen Schoppen des Ge-
tränks, dem Sie andere Gäſte zuſprechen ſehen, das Weitere
eilt nicht. Bevor Ihr Glas geleert, betrachten Sie das Haus
vom Hof aus, thun auch einen Blick in die Küche. Bot ſich
nicht bereits Gelegenheit, mit dem Wirthe ein Geſpräch an-
zuknüpfen, ſo laſſen Sie ihn herbeicitiren, und jetzt iſt es
Sache Ihres Taktes, das Nöthige zu vermitteln. Sprechen
Sie ohne Schüchternheit, ohne die Stimme zu dämpfen, ohne
der Wahrheit oder ſich ſelber zu vergeben; machen Sie kein
Hehl daraus, daß Sie vier Wochen in der herrlichen Schweiz
ſich aufhalten, einige Berge zeichnen aber mit ſehr wenig Geld
auskommen wollen und müſſen. Darum ſeien Sie entſchloſſen,
nicht die alten Touriſtenfußſtapfen einzuhalten, ſondern nur
an Punkten, die ſich zu Standquartieren für Ausflüge eignen,
mindeſtens einige Tage oder vielmehr Nächte zu verweilen,
vielleicht länger. Ihre Malzeiten würden Sie Abends ein-
nehmen, theils mündlich, theils eingewickelt, um ſie Tags
darauf zu verzehren. Da Sie ſtets zeitig aufbrechen, genüge
als Frühſtück ein Glas Milch. Das Zimmer diene nur zur
Schlafſtelle, Sie würden daher mit dem beſcheidenſten Raum
vorlieb nehmen. Zuweilen werde es vielleicht paſſen, behufs
weiterer Tour eine oder zwei Nächte auswärts zu bleiben, in
ſolchen Fällen laufe die Zimmermiethe für Ihre Rechnung.
Ich wette, der Angeredete hat bereits Intereſſe für Sie und
Ihre Zwecke genommen und macht einen Preis, über deſſen
Wohlfeilheit Sie ſtaunen. Abſichtlich nenne ich keine Zahl,
um der Ueberraſchung nicht vorzugreifen. Gerade in der
Schweiz ſind die Wirthe meiſt gewiegte, einſichtige und, falls

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[196/0210] VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe. den Sie vereinzelt gelegene Hôtels an berühmten, vielbeſuchten Punkten (vergl. S. 187), wählen auch in Städten und Dör- fern möglichſt Häuſer, wo der Wirth, wenn nicht mit bedient, doch den Gäſten ſichtbar und die Machtſtellung des Portiers und des Oberkellners keine unbegrenzte iſt. An den Herrn oder die Frau des Hauſes haben Sie ſich zu wenden, nicht beim Eintritt ſtehenden Fußes, vielmehr bitte ich, ſich Zeit und Platz zu nehmen. Beſtellen Sie einen Schoppen des Ge- tränks, dem Sie andere Gäſte zuſprechen ſehen, das Weitere eilt nicht. Bevor Ihr Glas geleert, betrachten Sie das Haus vom Hof aus, thun auch einen Blick in die Küche. Bot ſich nicht bereits Gelegenheit, mit dem Wirthe ein Geſpräch an- zuknüpfen, ſo laſſen Sie ihn herbeicitiren, und jetzt iſt es Sache Ihres Taktes, das Nöthige zu vermitteln. Sprechen Sie ohne Schüchternheit, ohne die Stimme zu dämpfen, ohne der Wahrheit oder ſich ſelber zu vergeben; machen Sie kein Hehl daraus, daß Sie vier Wochen in der herrlichen Schweiz ſich aufhalten, einige Berge zeichnen aber mit ſehr wenig Geld auskommen wollen und müſſen. Darum ſeien Sie entſchloſſen, nicht die alten Touriſtenfußſtapfen einzuhalten, ſondern nur an Punkten, die ſich zu Standquartieren für Ausflüge eignen, mindeſtens einige Tage oder vielmehr Nächte zu verweilen, vielleicht länger. Ihre Malzeiten würden Sie Abends ein- nehmen, theils mündlich, theils eingewickelt, um ſie Tags darauf zu verzehren. Da Sie ſtets zeitig aufbrechen, genüge als Frühſtück ein Glas Milch. Das Zimmer diene nur zur Schlafſtelle, Sie würden daher mit dem beſcheidenſten Raum vorlieb nehmen. Zuweilen werde es vielleicht paſſen, behufs weiterer Tour eine oder zwei Nächte auswärts zu bleiben, in ſolchen Fällen laufe die Zimmermiethe für Ihre Rechnung. Ich wette, der Angeredete hat bereits Intereſſe für Sie und Ihre Zwecke genommen und macht einen Preis, über deſſen Wohlfeilheit Sie ſtaunen. Abſichtlich nenne ich keine Zahl, um der Ueberraſchung nicht vorzugreifen. Gerade in der Schweiz ſind die Wirthe meiſt gewiegte, einſichtige und, falls

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/210>, abgerufen am 21.11.2024.