Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.
So weit der französische Schriftsteller. Gegenüber den Wenn wir aber auch nichts weiter vom Engländer lernen
So weit der franzöſiſche Schriftſteller. Gegenüber den Wenn wir aber auch nichts weiter vom Engländer lernen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <cit corresp="#bib1" xml:id="bib2"> <quote><pb facs="#f0227" n="213"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Kunſt der Reiſebeſchreibung — Comfort.</fw><lb/> Befähigungen, doch eine Summe von Eigenſchaften vorausſetzt, die wohl ſelten in<lb/> einer Perſon vereinigt iſt.“</quote> </cit><lb/> <p>So weit der franzöſiſche Schriftſteller. Gegenüber den<lb/> Anſprüchen, die er an die <hi rendition="#g">Reiſebeſchreibung</hi> ſtellt, iſt<lb/> darauf hinzuweiſen, daß die deutſche Literatur, die bei ihm<lb/> nicht einmal Erwähnung findet, wenn auch weit minder um-<lb/> fangreich, als die engliſche, doch mehre vorzügliche Werke<lb/> beſitzt, und daß nach deutſcher Auffaſſung der mit Recht ge-<lb/> tadelte Dilettantismus bei der Summe von Eigenſchaften,<lb/> die von franzöſiſcher Seite begehrt wird, wohl kaum zu ver-<lb/> meiden iſt. Wir Deutſche ſind deswegen geneigt, auf jene<lb/> Univerſalität zu verzichten, oder vielmehr wir glauben nicht<lb/> an ihre Möglichkeit, verlangen daher von einem Autor nur,<lb/> daß er unter den Gegenſtänden ſeiner Schilderungen die<lb/> Wahl ſo treffe, daß ſie ſeinem Talent entſpricht, und ſchätzen<lb/> ihn um ſo höher, je mehr er uns dafür zu erwärmen verſteht,<lb/> je näher ſeine Intereſſen den unſrigen ſtehen und je mehr wir<lb/> unſre Anſchauungen und Kenntniſſe durch ihn bereichert ſehen.<lb/> Strenge Objectivität, wie ſie das Trauerſpiel, das Epos, die<lb/> wiſſenſchaftliche Darſtellung bedingen, gehört nicht unter die<lb/> Erforderniſſe der Reiſeſchilderung, der Autor mag von ſeiner<lb/> Perſönlichkeit, deren Erlebniſſen, Betrachtungen, Empfin-<lb/> dungen, einmiſchen, was ihm paſſend ſcheint, nur muß alles<lb/> dies der Theilnahme würdig ſein und die Perſon des Ver-<lb/> faſſers darf nicht zwiſchen den Leſer und den Gegenſtand der<lb/> Beſchreibung in der Art treten, wie bei Sonnenfinſterniſſen<lb/> der Mond vor die Sonne, ſo daß von dieſer nur die „Protu-<lb/> beranzen“ zur Erſcheinung kommen.</p><lb/> <p>Wenn wir aber auch nichts weiter vom Engländer lernen<lb/> könnten, als die Bereitung des <hi rendition="#g">Comforts</hi> der Reiſe, ſo<lb/> wäre ſchon das nicht zu verachten. Denn gar viele von uns<lb/> ſind einmal ſo geartet, daß die Unbefangenheit ihrer Betrach-<lb/> tung, die Klarheit, Gegenſtändlichkeit ihres Urtheils beein-<lb/> trächtigt wird, wenn es ihnen nicht gelingt, ſich einen gewiſſen<lb/> Grad von Behagen und Ruhe zu verſchaffen. Dieſe Fertig-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [213/0227]
VII. Kunſt der Reiſebeſchreibung — Comfort.
Befähigungen, doch eine Summe von Eigenſchaften vorausſetzt, die wohl ſelten in
einer Perſon vereinigt iſt.“
So weit der franzöſiſche Schriftſteller. Gegenüber den
Anſprüchen, die er an die Reiſebeſchreibung ſtellt, iſt
darauf hinzuweiſen, daß die deutſche Literatur, die bei ihm
nicht einmal Erwähnung findet, wenn auch weit minder um-
fangreich, als die engliſche, doch mehre vorzügliche Werke
beſitzt, und daß nach deutſcher Auffaſſung der mit Recht ge-
tadelte Dilettantismus bei der Summe von Eigenſchaften,
die von franzöſiſcher Seite begehrt wird, wohl kaum zu ver-
meiden iſt. Wir Deutſche ſind deswegen geneigt, auf jene
Univerſalität zu verzichten, oder vielmehr wir glauben nicht
an ihre Möglichkeit, verlangen daher von einem Autor nur,
daß er unter den Gegenſtänden ſeiner Schilderungen die
Wahl ſo treffe, daß ſie ſeinem Talent entſpricht, und ſchätzen
ihn um ſo höher, je mehr er uns dafür zu erwärmen verſteht,
je näher ſeine Intereſſen den unſrigen ſtehen und je mehr wir
unſre Anſchauungen und Kenntniſſe durch ihn bereichert ſehen.
Strenge Objectivität, wie ſie das Trauerſpiel, das Epos, die
wiſſenſchaftliche Darſtellung bedingen, gehört nicht unter die
Erforderniſſe der Reiſeſchilderung, der Autor mag von ſeiner
Perſönlichkeit, deren Erlebniſſen, Betrachtungen, Empfin-
dungen, einmiſchen, was ihm paſſend ſcheint, nur muß alles
dies der Theilnahme würdig ſein und die Perſon des Ver-
faſſers darf nicht zwiſchen den Leſer und den Gegenſtand der
Beſchreibung in der Art treten, wie bei Sonnenfinſterniſſen
der Mond vor die Sonne, ſo daß von dieſer nur die „Protu-
beranzen“ zur Erſcheinung kommen.
Wenn wir aber auch nichts weiter vom Engländer lernen
könnten, als die Bereitung des Comforts der Reiſe, ſo
wäre ſchon das nicht zu verachten. Denn gar viele von uns
ſind einmal ſo geartet, daß die Unbefangenheit ihrer Betrach-
tung, die Klarheit, Gegenſtändlichkeit ihres Urtheils beein-
trächtigt wird, wenn es ihnen nicht gelingt, ſich einen gewiſſen
Grad von Behagen und Ruhe zu verſchaffen. Dieſe Fertig-
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