Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Graf Zwei -- Störung.
mir meine Namenlosigkeit zu verzeihen und nun seinerseits
den Faden des Gesprächs emsig weiter zu spinnen. Offen-
bar langweilte er sich in Xbad entsetzlich und wünschte nichts
sehnlicher, als von seiner einsamen Höhe herabzusteigen und
Mensch mit Menschen sein zu können, wußte nur die herab-
führende Treppe nicht zu finden. Die nächsten Tage machen
wir unsre Morgenspaziergänge mit einander, tauschen
Cigarren aus und sind gute Cameraden, bis nach einiger
Zeit ein Prinz von Bullerhausen kommt. Ihm schließt
sich der Herr Graf natürlich an und hat die Zartheit, mich
diesem Kreise nicht vorzustellen, denn dessen steifes Cere-
moniell würde mir, dem Ungewohnten, doch nur lästig fallen.
Weiter.

Ein Regenschauer treibt mich in's Borkenhäuschen bei
Z. Da sitzt bereits ein Herr, in der Hand Brieftasche und
Bleistift, welche er einsteckt, als er meiner ansichtig wird.
Vielleicht ein Poet, denke ich, der lieber mit seiner Muse
allein geblieben wäre, und nun verscheuche ich das Götterkind
durch meine profane Gegenwart. Die Störung ist aber
nicht rückgängig zu machen, die Brieftasche beseitigt. Ich
setze mich auf's andere Bankende, ziehe ein Buch aus der
Tasche und lese, um ihm Gelegenheit zu geben, seine schöpfe-
rische Thätigkeit wieder aufzunehmen. Sollte es die Zu-
eignung sein, an der er dichtet und nur die letzten Verse des
Sonetts fehlen noch? Doch die Brieftasche bleibt in ihrem
Versteck und so oft ich aufsehe, begegne ich seinem Blicke.
Hat er etwa das Bedürfniß, seine üble Laune an mir aus-
zulassen? Diese Genugthuung bin ich ihm schuldig. Wohlan
denn, er soll Gelegenheit haben. -- Ich las da eben ....
Ein Gespräch ist bald im Gange und es findet sich, daß
der Mann nicht Lyriker sondern im Gegentheil Landwirth
ist, eben nur mit einer prosaischen Rechnung beschäftigt war
und über mecklenburgische Verhältnisse belehrende Mitthei-
lungen machen kann.

Diese ersten sechs Entdeckungsreisen wären also ohne

VII. Graf Zwei — Störung.
mir meine Namenloſigkeit zu verzeihen und nun ſeinerſeits
den Faden des Geſprächs emſig weiter zu ſpinnen. Offen-
bar langweilte er ſich in Xbad entſetzlich und wünſchte nichts
ſehnlicher, als von ſeiner einſamen Höhe herabzuſteigen und
Menſch mit Menſchen ſein zu können, wußte nur die herab-
führende Treppe nicht zu finden. Die nächſten Tage machen
wir unſre Morgenſpaziergänge mit einander, tauſchen
Cigarren aus und ſind gute Cameraden, bis nach einiger
Zeit ein Prinz von Bullerhauſen kommt. Ihm ſchließt
ſich der Herr Graf natürlich an und hat die Zartheit, mich
dieſem Kreiſe nicht vorzuſtellen, denn deſſen ſteifes Cere-
moniell würde mir, dem Ungewohnten, doch nur läſtig fallen.
Weiter.

Ein Regenſchauer treibt mich in’s Borkenhäuschen bei
Z. Da ſitzt bereits ein Herr, in der Hand Brieftaſche und
Bleiſtift, welche er einſteckt, als er meiner anſichtig wird.
Vielleicht ein Poet, denke ich, der lieber mit ſeiner Muſe
allein geblieben wäre, und nun verſcheuche ich das Götterkind
durch meine profane Gegenwart. Die Störung iſt aber
nicht rückgängig zu machen, die Brieftaſche beſeitigt. Ich
ſetze mich auf’s andere Bankende, ziehe ein Buch aus der
Taſche und leſe, um ihm Gelegenheit zu geben, ſeine ſchöpfe-
riſche Thätigkeit wieder aufzunehmen. Sollte es die Zu-
eignung ſein, an der er dichtet und nur die letzten Verſe des
Sonetts fehlen noch? Doch die Brieftaſche bleibt in ihrem
Verſteck und ſo oft ich aufſehe, begegne ich ſeinem Blicke.
Hat er etwa das Bedürfniß, ſeine üble Laune an mir aus-
zulaſſen? Dieſe Genugthuung bin ich ihm ſchuldig. Wohlan
denn, er ſoll Gelegenheit haben. — Ich las da eben ....
Ein Geſpräch iſt bald im Gange und es findet ſich, daß
der Mann nicht Lyriker ſondern im Gegentheil Landwirth
iſt, eben nur mit einer proſaiſchen Rechnung beſchäftigt war
und über mecklenburgiſche Verhältniſſe belehrende Mitthei-
lungen machen kann.

Dieſe erſten ſechs Entdeckungsreiſen wären alſo ohne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0232" n="218"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Graf Zwei &#x2014; Störung.</fw><lb/>
mir meine Namenlo&#x017F;igkeit zu verzeihen und nun &#x017F;einer&#x017F;eits<lb/>
den Faden des Ge&#x017F;prächs em&#x017F;ig weiter zu &#x017F;pinnen. Offen-<lb/>
bar langweilte er &#x017F;ich in Xbad ent&#x017F;etzlich und wün&#x017F;chte nichts<lb/>
&#x017F;ehnlicher, als von &#x017F;einer ein&#x017F;amen Höhe herabzu&#x017F;teigen und<lb/>
Men&#x017F;ch mit Men&#x017F;chen &#x017F;ein zu können, wußte nur die herab-<lb/>
führende Treppe nicht zu finden. Die näch&#x017F;ten Tage machen<lb/>
wir un&#x017F;re Morgen&#x017F;paziergänge mit einander, tau&#x017F;chen<lb/>
Cigarren aus und &#x017F;ind gute Cameraden, bis nach einiger<lb/>
Zeit ein Prinz <persName ref="nognd">von Bullerhau&#x017F;en</persName> kommt. Ihm &#x017F;chließt<lb/>
&#x017F;ich der Herr Graf natürlich an und hat die Zartheit, mich<lb/>
die&#x017F;em Krei&#x017F;e nicht vorzu&#x017F;tellen, denn de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;teifes Cere-<lb/>
moniell würde mir, dem Ungewohnten, doch nur lä&#x017F;tig fallen.<lb/>
Weiter.</p><lb/>
        <p>Ein Regen&#x017F;chauer treibt mich in&#x2019;s Borkenhäuschen bei<lb/><placeName>Z.</placeName> Da &#x017F;itzt bereits ein Herr, in der Hand Briefta&#x017F;che und<lb/>
Blei&#x017F;tift, welche er ein&#x017F;teckt, als er meiner an&#x017F;ichtig wird.<lb/>
Vielleicht ein Poet, denke ich, der lieber mit &#x017F;einer Mu&#x017F;e<lb/>
allein geblieben wäre, und nun ver&#x017F;cheuche ich das Götterkind<lb/>
durch meine profane Gegenwart. Die Störung i&#x017F;t aber<lb/>
nicht rückgängig zu machen, die Briefta&#x017F;che be&#x017F;eitigt. Ich<lb/>
&#x017F;etze mich auf&#x2019;s andere Bankende, ziehe ein Buch aus der<lb/>
Ta&#x017F;che und le&#x017F;e, um ihm Gelegenheit zu geben, &#x017F;eine &#x017F;chöpfe-<lb/>
ri&#x017F;che Thätigkeit wieder aufzunehmen. Sollte es die Zu-<lb/>
eignung &#x017F;ein, an der er dichtet und nur die letzten Ver&#x017F;e des<lb/>
Sonetts fehlen noch? Doch die Briefta&#x017F;che bleibt in ihrem<lb/>
Ver&#x017F;teck und &#x017F;o oft ich auf&#x017F;ehe, begegne ich &#x017F;einem Blicke.<lb/>
Hat er etwa das Bedürfniß, &#x017F;eine üble Laune an mir aus-<lb/>
zula&#x017F;&#x017F;en? Die&#x017F;e Genugthuung bin ich ihm &#x017F;chuldig. Wohlan<lb/>
denn, er &#x017F;oll Gelegenheit haben. &#x2014; Ich las da eben ....<lb/>
Ein Ge&#x017F;präch i&#x017F;t bald im Gange und es findet &#x017F;ich, daß<lb/>
der Mann nicht Lyriker &#x017F;ondern im Gegentheil Landwirth<lb/>
i&#x017F;t, eben nur mit einer pro&#x017F;ai&#x017F;chen Rechnung be&#x017F;chäftigt war<lb/>
und über mecklenburgi&#x017F;che Verhältni&#x017F;&#x017F;e belehrende Mitthei-<lb/>
lungen machen kann.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e er&#x017F;ten &#x017F;echs Entdeckungsrei&#x017F;en wären al&#x017F;o ohne<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0232] VII. Graf Zwei — Störung. mir meine Namenloſigkeit zu verzeihen und nun ſeinerſeits den Faden des Geſprächs emſig weiter zu ſpinnen. Offen- bar langweilte er ſich in Xbad entſetzlich und wünſchte nichts ſehnlicher, als von ſeiner einſamen Höhe herabzuſteigen und Menſch mit Menſchen ſein zu können, wußte nur die herab- führende Treppe nicht zu finden. Die nächſten Tage machen wir unſre Morgenſpaziergänge mit einander, tauſchen Cigarren aus und ſind gute Cameraden, bis nach einiger Zeit ein Prinz von Bullerhauſen kommt. Ihm ſchließt ſich der Herr Graf natürlich an und hat die Zartheit, mich dieſem Kreiſe nicht vorzuſtellen, denn deſſen ſteifes Cere- moniell würde mir, dem Ungewohnten, doch nur läſtig fallen. Weiter. Ein Regenſchauer treibt mich in’s Borkenhäuschen bei Z. Da ſitzt bereits ein Herr, in der Hand Brieftaſche und Bleiſtift, welche er einſteckt, als er meiner anſichtig wird. Vielleicht ein Poet, denke ich, der lieber mit ſeiner Muſe allein geblieben wäre, und nun verſcheuche ich das Götterkind durch meine profane Gegenwart. Die Störung iſt aber nicht rückgängig zu machen, die Brieftaſche beſeitigt. Ich ſetze mich auf’s andere Bankende, ziehe ein Buch aus der Taſche und leſe, um ihm Gelegenheit zu geben, ſeine ſchöpfe- riſche Thätigkeit wieder aufzunehmen. Sollte es die Zu- eignung ſein, an der er dichtet und nur die letzten Verſe des Sonetts fehlen noch? Doch die Brieftaſche bleibt in ihrem Verſteck und ſo oft ich aufſehe, begegne ich ſeinem Blicke. Hat er etwa das Bedürfniß, ſeine üble Laune an mir aus- zulaſſen? Dieſe Genugthuung bin ich ihm ſchuldig. Wohlan denn, er ſoll Gelegenheit haben. — Ich las da eben .... Ein Geſpräch iſt bald im Gange und es findet ſich, daß der Mann nicht Lyriker ſondern im Gegentheil Landwirth iſt, eben nur mit einer proſaiſchen Rechnung beſchäftigt war und über mecklenburgiſche Verhältniſſe belehrende Mitthei- lungen machen kann. Dieſe erſten ſechs Entdeckungsreiſen wären alſo ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/232
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/232>, abgerufen am 21.11.2024.