Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VII. Dialektstudien -- Gräfenberger Dusche. große Havarie abgelaufen. Als Graf Zwei den Prinzenmir vorzog, las ich zwar in den Mienen meiner anderen Bekannten: "geschieht Ihnen ganz recht", aber auch diese Wunde meiner Eigenliebe hatte bald ausgeblutet. Mustern wir nun die nächsten uns begegnenden Reise- und Bade- genossen. Nummer Sieben, Acht und Neun anzureden, fühlen VII. Dialektſtudien — Gräfenberger Duſche. große Havarie abgelaufen. Als Graf Zwei den Prinzenmir vorzog, las ich zwar in den Mienen meiner anderen Bekannten: „geſchieht Ihnen ganz recht“, aber auch dieſe Wunde meiner Eigenliebe hatte bald ausgeblutet. Muſtern wir nun die nächſten uns begegnenden Reiſe- und Bade- genoſſen. Nummer Sieben, Acht und Neun anzureden, fühlen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0233" n="219"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Dialektſtudien — Gräfenberger Duſche.</fw><lb/> große Havarie abgelaufen. Als Graf Zwei den Prinzen<lb/> mir vorzog, las ich zwar in den Mienen meiner anderen<lb/> Bekannten: „geſchieht Ihnen ganz recht“, aber auch dieſe<lb/> Wunde meiner Eigenliebe hatte bald ausgeblutet. Muſtern<lb/> wir nun die nächſten uns begegnenden Reiſe- und Bade-<lb/> genoſſen.</p><lb/> <p>Nummer Sieben, Acht und Neun anzureden, fühlen<lb/> wir keine Neigung, wiſſen auch ihrer etwaigen Näherung<lb/> auszuweichen durch Vorkehrungen mit den Augen. Da iſt<lb/> aber ein Zehnter, den ich zu einer Unterhaltung veranlaßte,<lb/> die mir bald läſtig fällt. Des Mannes Beredtſamkeit ſtrömt,<lb/> wie eine gräfenberger Duſche, deren Zug ſich verhängt hat.<lb/> Er ſcheint jedoch gutmüthig, laſſen wir ihm eine Weile ſein<lb/> Vergnügen. Sollte ſich nicht aus der Fluth etwas Genieß-<lb/> bares, Erfriſchendes, Erfreuliches herausfiſchen oder deſtilliren<lb/> laſſen? Richtig, ich hab’s: <hi rendition="#g">Dialektſtudien</hi>, beiläufig<lb/> bemerkt, auf Reiſen ein ganz annehmbarer Zeitvertreib.<lb/> Die Mundart des Redſeligen iſt ein Gemiſch, mithin ein<lb/> verwickelter Fall, der Mühe einer Unterſuchung werth. Er<lb/> ſpricht auch gar nicht ſo übel, wie konnte ich ihn nur anfangs<lb/> unerträglich finden? Ungeduld, Ueberhebung, pfui, beſſern<lb/> wir uns. Jetzt aber aufgepaßt! … Zehn Minuten ſind<lb/> verfloſſen, hinweggeſchwemmt von den Redefluthen. —<lb/> „Sie ſind aus dem Anhalt’ſchen gebürtig, dann geraume Zeit<lb/> in <placeName>Holſtein</placeName> geweſen, und nun in <placeName>Deutſch-Ungarn</placeName> anſäſſig.“<lb/> Das Erſtaunen, das dieſe meine Einſchaltung über den<lb/> Mann brachte, war höchſt ergötzlich, denn der Zufall hatte<lb/> es gewollt, daß meine Diagnoſe alle drei Oertlichkeiten,<lb/> ſogar die Reihenfolge richtig getroffen. War die Klappe der<lb/> Duſche bisher nicht zu ſchließen, ſo ſchien es jetzt, als ob ſie<lb/> auf einmal ſich feſt zugeklemmt hätte. Auch ich ſchwieg, denn<lb/> die Lektüre in den Mienen des Redners beluſtigte mich nun<lb/> ebenſo, wie bisher die in den ſprachlichen Ablagerungen.<lb/> Endlich lieferte ich ihm den Schlüſſel meiner Wahrſage-<lb/> kunſt aus. Gewiß wird er die Geſchichte des Wunder-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0233]
VII. Dialektſtudien — Gräfenberger Duſche.
große Havarie abgelaufen. Als Graf Zwei den Prinzen
mir vorzog, las ich zwar in den Mienen meiner anderen
Bekannten: „geſchieht Ihnen ganz recht“, aber auch dieſe
Wunde meiner Eigenliebe hatte bald ausgeblutet. Muſtern
wir nun die nächſten uns begegnenden Reiſe- und Bade-
genoſſen.
Nummer Sieben, Acht und Neun anzureden, fühlen
wir keine Neigung, wiſſen auch ihrer etwaigen Näherung
auszuweichen durch Vorkehrungen mit den Augen. Da iſt
aber ein Zehnter, den ich zu einer Unterhaltung veranlaßte,
die mir bald läſtig fällt. Des Mannes Beredtſamkeit ſtrömt,
wie eine gräfenberger Duſche, deren Zug ſich verhängt hat.
Er ſcheint jedoch gutmüthig, laſſen wir ihm eine Weile ſein
Vergnügen. Sollte ſich nicht aus der Fluth etwas Genieß-
bares, Erfriſchendes, Erfreuliches herausfiſchen oder deſtilliren
laſſen? Richtig, ich hab’s: Dialektſtudien, beiläufig
bemerkt, auf Reiſen ein ganz annehmbarer Zeitvertreib.
Die Mundart des Redſeligen iſt ein Gemiſch, mithin ein
verwickelter Fall, der Mühe einer Unterſuchung werth. Er
ſpricht auch gar nicht ſo übel, wie konnte ich ihn nur anfangs
unerträglich finden? Ungeduld, Ueberhebung, pfui, beſſern
wir uns. Jetzt aber aufgepaßt! … Zehn Minuten ſind
verfloſſen, hinweggeſchwemmt von den Redefluthen. —
„Sie ſind aus dem Anhalt’ſchen gebürtig, dann geraume Zeit
in Holſtein geweſen, und nun in Deutſch-Ungarn anſäſſig.“
Das Erſtaunen, das dieſe meine Einſchaltung über den
Mann brachte, war höchſt ergötzlich, denn der Zufall hatte
es gewollt, daß meine Diagnoſe alle drei Oertlichkeiten,
ſogar die Reihenfolge richtig getroffen. War die Klappe der
Duſche bisher nicht zu ſchließen, ſo ſchien es jetzt, als ob ſie
auf einmal ſich feſt zugeklemmt hätte. Auch ich ſchwieg, denn
die Lektüre in den Mienen des Redners beluſtigte mich nun
ebenſo, wie bisher die in den ſprachlichen Ablagerungen.
Endlich lieferte ich ihm den Schlüſſel meiner Wahrſage-
kunſt aus. Gewiß wird er die Geſchichte des Wunder-
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